Der 1. Weltkrieg (1914 - 1918) – Aus der Chronik des südeichsfeldischen Dorfes Großbartloff, aufgezeichnet von Nikolaus Görich 1923 (Auszug)

Nach dem siegreichen Französischen Kriege folgte eine Periode des Friedens von mehr als 40 Jahren, zunächst kamen die Gründerjahre in wirtschaftlicher Beziehung und die Kulturkampfjahre in religiöser Hinsicht, hierauf erfolgte ein Umschlag. Nach der wirtschaftlichen Blüte, die sich bei uns in Großbartloff speziell äußerte in den tollen Jahren des Bahnbaus, trat seit ca. 1880 – 1900 die Zeit der größten landwirtschaftlichen Not ein und religiös die Zeit der Befreiung von der staatlichen Unterdrückung und Bevormundung, in industrieller Hinsicht jedoch hatten wir fast ununterbrochen, ungeahnten Aufstieg. Die Erinnerung an den Krieg und an Waffenlärm wurde den Bewohnern immer wieder wachgehalten, einerseits durch die alljährlichen Rekrutenaushebungen mit ausgelassenen Trinkgelagen meist in der hl. Fastenzeit, andererseits durch die jährlichen Kontrollversammlungen in Geismar, durch Kriegsvereinsveranstaltungen, und durch häufige Heeresmanöver, welche im Herbst abgehalten wurden und wobei es Einquartierungen gab.

In unserem Dorfe 1891 anlässlich des Mühlhäuser großen Kaisermanövers, sodann 1902 bei dem großen Manöver des Grafen Waldersee zwecks Anlegung eines Truppenübungsplatzes bei Wachstedt-Flinsberg, 1906 Einquartierung von Fuldaer Artillerie, 1911/12 solche von Hofgeismarschen Dragonern. An der Expedition nach China nahm kein Bartloffer Soldat teil, wohl aber an der Unterdrückung des Negeraufstandes in Deutsch-Afrika, Karl Schmidt und Norbert Henning (1906).

Die gewaltige Steigerung der deutschen Militärmacht und des deutschen Wohlstandes steigerte auch immer mehr die Besorgnis des stolzen, meerbeherrschenden Englands, des rachedurstigen Frankreichs und des beutegierigen Russlands und bewirkte umso mehr dadurch, dass manche frühere Machthaber und Führer große politische Unklugheiten begingen, eine solche Isolierung Deutschlands und eine solche politische Gewitterschwüle, die nichts Gutes ahnen ließ. Als dann Ende Juni 1914 der Thronfolger Österreichs, unseres treuen Bundesgenossen, anscheinend nicht ohne Mitwirken der Feinde meuchlings ermordet wurde, da kam das schon lange drohende Unwetter zur fürchterlichen Entladung.

Am Nachmittag des 31. Juli verkündeten Extrablätter, dass der Kriegszustand vom deutschen Kaiser verhängt sei.

Tiefgehende Erregung bemächtigte sich allen Gemütern, die noch erhöht wurde durch die Mobilmachung am folgenden Tage.

Der Krieg ward erklärt. Es war Abend 7 Uhr am 1. August, am Vorabend des Portiunkulasonntags, da meldete auf einmal stürmisch die Glocke des Gemeindedieners, dass die bange Ahnung zur grausen Wirklichkeit geworden und der Krieg über uns gekommen sei, es ging ein Zittern uns allen durch die Glieder, die Kirchenglocken erdröhnten und verkündeten den Völkersturm, ein Weinen und Schluchzen erhob sich in der Kirche unter den Gläubigen, die vordem Beichtstuhl standen, denn manchem stieg der wehe Gedanke auf, es kann das Todesläuten sein für manchen lieben Sohn der Familie.

Der Andrang zu den hl. Sakramenten war groß, es war ein erhebender Anblick als am andren Morgen, dem Portiunkulafeste, der größte Teil der wehrfähigen Männer und Jünlinge voll Ernst und Andacht zum Tisch des Herrn ging. Als dann im Hochamt der Ortspfarrer herzliche Worte des Trostes sprach und den scheidenden Kriegern Gottes Schutz und Beistand im Leben und – sollte es sein – auch im Sterben wünschte, da blieb kaum ein Auge tränenleer.

Gefasst und gottergeben nahmen viele noch an demselben Tage Abschied von den Lieben, ein großer Teil der Dorfbewohner gab ihnen Geleite zum Bahnhof, denn niemand wusste, ob sie wieder kämen, ein letztes Händeschütteln, ein letztes Winken mit Hand und Tüchlein und fort rollte der Zug, die humorvollen Sprüche, mit Kreide an die Eisenbahnwagen geschrieben, bekundeten die gute Stimmung der Soldaten. Diese wurde auf den Hauptbahnhöfen noch verstärkt durch Festesschmuck mit Girlanden und Fahnen, mit reichlich angebotenen Liebesgaben (Wurstbrötchen, Zigaretten usw.).

Die meisten Krieger lebten in dem Glauben, dass der Krieg zwar höchst blutig, aber bei den modernen Waffen höchst kurz sein würde, große Kirmes, spätestens, aber Weihnachten würde er vorüber sein. Aber es kam anders. Einberufung folgte auf Einberufung.

Die Eisenbahn konnte die Arbeit kaum schaffen, viele Güterzüge mit Kriegsmaterial, mit Kanonen usw. rollten vorüber auf unsrer Bahn, die Züge fuhren meistens mit Verspätung, wenigstens anfangs, sonst aber in voller Ruhe und Ordnung, ohne Überhastung.

Für die Sicherheit der Bahnlinien waren Bahnwachen in den ersten 4 Monaten aus bewaffneten Soldaten aufgestellt, ca. 100 Mann lagen davon einquartiert in unserem Dorfe. Für die Sicherheit der Landstraßen sorgten bewaffnete Männer und Burschen an den Dorfeingängen beim Untertor, besonders fahndete man auf angeblich französische Autos mit Goldlieferungen für das feindliche Russland.

Als aber weder von Spionen noch von Goldautowagen oder ähnlichen Dingen in unserer Gegend etwas festgestellt wurde, stellte man die Wachen an den Dorfeingängen und an den Bahnlinien wieder ab. [...]


Nikolaus Görich
(Quelle: Ortschronik von Großbartloff, Dingelstädt: J. Heinevetter, 1923, S. 65 – 67)