Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen (2003) - Erinnerungen an die Weihnachtszeit nach dem 1. Weltkrieg

Wenn man jetzt in der vorweihnachtlichen Zeit in Kaufhäuser und Supermärkte kommt, über Weihnachtsmärkte und Einkaufszonen der Innenstädte bummelt, so findet man ein Riesenangebot an Aren und Geschenkartikel vor.

Die Werbeslogans vom „Preishammer“ über den „Dinosaurier“ er staunt, die „Möbelpiraten, die Preise entern usw. überschlagen sich in konkurrierender Form des Wettbewerbs in der „freien Marktwirtschaft“.

Für Geld – wer welches hat – kann man heute alles, aber auch alles kaufen. Aber auch mancher fällt hierbei auf die Nase, bei Nutzung von verführerischen „Billigangeboten“. Vieles artet hierdurch auch in einen großen Rummel aus und stresst und nervt sogar diesen und jenen von uns. Wenn man bedenkt, dass Anfang Oktober schon Pfefferkuchen und Weihnachtsgebäck im Angebot sind, daß „Stille Nacht“ am laufenden Band heruntergeleiert wird, so merkt man: das Weihnachtsfest ist fast nur noch Kommerz und Geschäft.

Persönlich lasse ich daher meine Gedanken in dieser vorweihnachtlichen Zeit gerne mal wieder in meine Kindheit schweifen. Damals gab es weder das überschwängliche Warenangebot, noch war der Geldbeutel der Eltern dazu angetan, im Übermaß Weihnachtsgeschenke für Kinder und Enkel unter den Christbaum zu legen. Ob das heutige üppige Angebot aber gerade dazu angetan ist, uns Menschenkinder glücklicher zu machen, bezweifele ich sehr. Aber wir alle – fast ohne Ausnahme – sitzen auf diesem „Konsumkarussell“ und man muss schon besonderen Mut und Energie aufbringen, von diesem abzuspringen.

Wie war es denn nun, vor ca. 70 Jahren – in den dreißiger Jahren – vor dem Krieg? Es war die Zeit meiner Kindheit.

Der 1. Weltkrieg war vorbei! Doch seine Folgen wie Revolution, Inflation, Massenarbeitslosigkeit und der herannahende Faschismus prägten das Bild der Zeit. Doch wir Kinder merkten und verspürten dies nicht und erlebten die Weihnachtszeit mit fröhlichen und erwartungsvollen Kinderherzen. Wir hatten ja auch noch keine andere und bessere Zeit erlebt. Die Mutter war nach einem langen, arbeitsreichen Tag dabei, Plätzchen, Pfefferkuchen und Christstollen zu backen. Manchmal durften wir dann ein Stündchen länger aufbleiben, den Wolf fürs Spritzgebäck drehen oder Weihnachtsengel und Sterne vom ausgerollten Teig ausstechen. Allzugern naschte ich dann vom süßen Teig. Wenn es dann des Guten zu viel wurde, mussten meine Geschwister und ich ins Bett marschieren. Bauchschmerzen in der Nacht waren oft die Folge der heimlichen Nascherei. Der Hefeteig für ein ganzes Dutzend Christstollen wurde in einer übergroßen Mulde angerührt und geknetet und im „Altdeutschen“ Backofen beim Bäcker gebacken. Diese noch warmen Christstollen waren dann immer so schön knusprig und dufteten so verführerisch, sodass wir auch heimlich etwas von der Rinde abbrachen und verzehrten.

Meine größeren Brüder bastelten und laubsägten wochenlang hinter verschlossenen Türen, denn es sollte schließlich eine Überraschung für die Kleineren werden. Eine Weihnachtskrippe, mit der Laubsäge ausgesägt, beleuchtet durch eine kleine Birne mit Taschenlampenbatterie. Eine Überraschung und ein Geschenk für die ganze Familie. Oder für mich, einen kleinen Bauernhof mit Pferdestall aus dünnen Brettchen gebastelt. Für die kleine Schwester eine Wiege für die Puppe, die auch handwerklich gefertigt war. Von den Eltern bekamen wir meistens ein Geschenk, das praktisch und auch nützlich war und dringend gebraucht wurde. Einen Pullover, Trainingsanzug, dicke Handschuhe oder gar ein paar derbe Schuhe, die nach Weihnachten mit dicken Nägeln beschlagen wurden, damit die Ledersohlen nicht so schnell abgelaufen wurden.

Das Christkind kam immer am Heiligen Abend in einem langen, weißen Kleid, mit weißen Handschuhen und einer goldenen Krone auf dem Kopf und machte die Bescherung mit uns. Gesprochen hat es sehr wenig mit uns. Unsere Mutter meinte, es wäre erkältet. leider war unser Vater immer verhindert und bei der Bescherung nicht dabei???

Wenn der Vater dann nach der Bescherung wieder da war, erzählten wir ganz aufgeregt, wie das Christkind ausgesehen und was es für Geschenke gebracht hatte. Ist Kinderglaube schön!

Am 1. Weihnachtstag gingen wir früh um 5 Uhr zur Christmette. Meistens war es klirrend kalt und die neuen Wollsachen durften wir dann schon anziehen. Am Nachmittag gingen wir dann zu unseren Taufpaten, tranken dort Kaffee und das Wichtigste: nahmen unsere Geschenke in Empfang. An eine Begebenheit kann ich mich noch genau erinnern:

Mein Pate war Tischler und hatte mir einen schönen, stabilen Schubkarren aus Holz gehandwerkt, den das Christkind dann gebracht hatte. Ich freute mich wohl sehr über das Geschenk – den Schubkarren – nahm in aber Weihnachten nicht mit nach Hause und sagte stolz: „Wiehnachten fahr ich nit met em Schübkarrn derchs Derf.“

Abholen tat ich ihn erst am nächsten Werktag. Für mein eigenwilliges Verhalten wurde ich jahrelang von meinen Geschwistern gefoppt und gehänselt: „Willi es söi stolz un fährt Wiehnachten nit met em Schübkarrn derchs Derf.“

Am Abend fanden wir uns alle wieder im Elternhaus ein und begutachteten kritisch die Geschenke untereinander. Das war dann immer nochmals besonders aufregend, machte viel Spaß und die Eltern freuten sich mit uns. Die soziale Situation bei den Nachbarn, Verwandten und Schulkameraden war fast gleich gelagert. Es gab in unserem Dorf überwiegend kinderreiche Familien. Mit den bescheidenen Mitteln, die unseren Eltern zur Verfügung standen, haben sie unsere Kinderherzen jedes Jahr aufs Neue wieder glücklich gemacht, und unsere Augen strahlten immer wieder erwartungsfroh.

Im Verhältnis zu unserer heutigen Großzügigkeit im Schenken waren wir aber damals in unseren bescheidenen Verhältnissen auch glücklich und zufrieden. Ich wage zu behaupten, es gab viel weniger Neid als heute in unserer Überfluss- und Wegwerfgesellschaft.

Um einen Ausspruch von Hermann Gmeiner zu verwenden:

„Das Glück und die Zufriedenheit wachsen nicht mit dem Überfluss.“

Deshalb denke ich auch heute noch gerne an diese fröhliche Zeit – für uns Kinder unbeschwert – unserer Kindheit in einer großen Familie zurück.

Sicher haben viele Menschen meines Alters ähnlich schöne Erinnerungen.

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern des „Lengenfelder Echos“ ein recht frohes und gesundes Weihnachtsfest, sowie alles Gute im Neuen Jahr.

Willi Tasch
(Quelle: „Lengenfelder Echo“, Dezember-Ausgabe 2003)