Das Zickel'schen war eine willkommene Abwechslung
In der Zeit vor und nach Ostern war es wohl zur Zeit der Ziegenhaltung Brauch, daß man die jungen Ziegenlämmer – auch „Zickel“ genannt – schlachtete. Ihr Braten war eine angenehme Bereicherung des Küchenzettels, war doch das zarte und bekömmliche Fleisch der Junglämmer sehr magenfreundlich. Eichsfelder Familien, die keine Ziegen hielten, empfanden es immer als eine feine Geste, wenn sie innerhalb der Verwandtschaft zum Lammbraten eingeladen wurden.
Mit dem Schlachten hat sich auch ein lohnender Erwerbszweig aufgetan, nämlich der Fellhandel. Leinefelde lag darin ehedem an der Spitze. Wie aber der I. Weltkrieg so manches zunichte machte, so ist damals auch dem Fellhandel nur eine kurze Dauer beschieden gewesen. Durch die Rauchwaren-Auktionen und hauptsächlich auch durch die Fachzeitschriften, die preisbestimmend waren, hat dieser Handel sich in das Gegenteil verkehrt.
Besonders auch aus den Talgemeinden Lengenfeld unterm Stein und Faulungen kamen die Fellhändler oder Zickelschlachter in die Höhendörfer. Ihr Beförderungsmittel war der große Rucksack und später auch das Fahrrad. So zogen sie im Frühjahr von Dorf zu Dorf, und ihre vorausgegangene Lehrzeit war folgende: Wenn der Knabe aus der Schule entlassen war, begab er sich, bewaffnet mit einem scharfen Messer in die umliegenden Orte, um die Zicklein zu schlachten und die kleinen Felle in gegenseitiger Verrechnung zu kaufen. Zunächst ging er im Anfang mit einem bereits erfahrenen älteren Schlächter, um das Schlachten und Enthäuten einwandfrei abzugucken. Das lernte er meistens schnell und kehrte am Abend reich beladen zurück. Zu Hause wurden die Felle sofort zum Trocknen aufgehängt.
Die Saison dauerte so lange, bis die sogenannte „Zickelzeit“ vorüber war. Im Herbst zur Zeit der Kirmessen wurde eine neue Schlachtperiode begonnen. Mittlerweile besaß der junge Mann die Fähigkeit, allein weite Reisen und größere Einkäufe zu machen.
Nicht immer war der Fellhandel ein einträgliches Geschäft, sondern hatte auch üble Folgen. Wegen des Konjunkturverlaufs ist aber in den seltensten Fällen eigenes Verschulden an der Verarmung des Fellhändlers schuld gewesen. Grosse Kredite mussten in Anspruch genommen werden, und oft geriet der heimische Fellhändler in die Konkurse der Gerber mit hinein. Indes, der Beruf eines Fell- und Wollhändlers war ein sauberer und ehrlicher, und eine Statistik besagt, dass in keinem einzigen Fall eine strafrechtliche Verfolgung zu verbuchen war.
Maßgeblich an der Förderung des Fell- und Zickelhandels war der Leinefelder Kaufmann K. Hentrich VI. beteiligt, der - kaum der Schule entwachsen - mit seinem Vater in dieser Branche viele deutsche Gebiete durchreiste. So gab es zum Beispiel in Arnstadt, Pößneck und Mühlhausen 100 Gerbereien, die von den Fellhändlern beliefert wurden.
Die Gerber, die damals auch die Postkutsche zu ihren Reisen benutzten oder auch zum größten Teil die Touren zu Fuß zurücklegten, fanden in den Leinefelder Gasthäusern stets gute Aufnahme und Verpflegung. So hatte der Handel mit Zickel- und anderen Fellen mehrere Seiten.
Freilich ist heute im Zug der Umgestaltung unserer Landwirtschaft der Brauch des Zickelschlachtens stark zurückgegangen, doch dürfte er hier und dort in manchen Gebieten noch vereinzelt an das Schlachten von Lämmern – nicht zuletzt als österliches Symbol (Osterlamm) – erinnern.
Vinzenz Hoppe (1975)