Das Unwetter vom Jahre 1852

Am 26. Mai 1852 wurden manche Teile des Eichsfeldes und der angrenzenden Gebiete, insbesondere die Ortschaften im Unstruttale von einem schrecklichen Unwetter heimgesucht. Im Frühling dieses Jahres sah es sehr schlecht aus mit dem Saatenstande, da derselbe durch die allzugroße Nässe des Winters und durch die ungewöhnliche Kälte im Monat April sehr gelitten hatte. Erfreulicherweise trat gegen Mitte Mai ein günstiger Umschwung in der Witterung ein, so daß alsbald der anfangs so schwache Saatenstand sich erholte und zu den schönsten Ernteaussichten berechtigte.

Aber vom 20. Mai an stellten sich täglich heftige Gewitter ein. Sie vermochten zuerst nicht, die drückende Temperatur, welche an einzelnen Tagen über 20 Grad Réaumur gestiegen war, abzukühlen. Auch am 26. Mai herrschte wieder eine für diese Jahreszeit abnorme Hitze, aber keiner ahnte das drohende Unheil. Gegen 4 Uhr mittags stiegen im Südwesten schwarze, teilweise grünlich und gelblich aussehende Gewitterwolken auf, von dumpf rollendem Donner begleitet. Anfangs schien es, als ob das Unwetter vorüberziehen wolle. Da stiegen gegen Süd und Ost neue Gewitter auf, welche sich mit dem ersteren vereinigten, und es begann ein Unwetter, wie es wohl seit einem Jahrhundert im Unstruttale nicht gewütet hat. Der Regen fiel in Strömen, Hagel in dicken Massen herab, und dabei brauste der Sturmwind so gewaltig, daß das ununterbrochene Donnern teilweise gar nicht gehört wurde. Infolge dieses bis 6 Uhr dauernden Unwetters waren die Saatenfelder, soweit sie vom Hagelschlag getroffen waren, gänzlich vernichtet, die Bäume waren ihrer Blüten und Blätter beraubt und lagen teilweise entwurzelt am Boden, das lockere Erdreich an den Abhängen war hinweggeschwemmt, kahle Felsen wurden auf den Ländereien sichtbar, die Wiesentäler waren dagegen einige Fuß hoch mit Schlamm und Geröll bedeckt.

Jedoch kaum hatten die Anwohner der Unstrut gegen 6 Uhr abends wieder freien Atem geschöpft, da sollten sie noch Schrecklicheres erfahren. Große Wassermassen kamen infolge des anhaltenden starken Regens von den Bergen und Höhen herabgestürzt, verwandelten die sonst friedliche Unstrut in einen reißenden Strom und richteten unterwegs die größten Verwüstungen an. So wurde Kefferhausen von Wassermassen gleichsam überschüttet, viele Gebäude wurden unter Wasser gesetzt und Brücken und Steg mitfortgerissen. In Dingelstädt nahm die Unstrut 5 Häuser mit, deren Bewohner sich dadurch zu retten suchten, daß sie die Wände einschlugen und sich in fester gebaute Nachbarwohnungen flüchteten. In einem dieser Häuser befand sich eine kranke Frau, die mit dem Bett von den Fluten hinweggeschwemmt wurde und dabei ihren Tod fand. In Silberhausen richtete die Unstrut weniger Schaden an Gebäuden an, weil da ihr Tal breiter ist; jedoch um so größer wurden ihre Verwüstungen bei Helmsdorf, wo ihr Tal wieder enger wird und wo ein größeres Nebengewässer, die Wüsterott, sich mit ihr vereinigt. Wüsterott wird jenes Gewässer genannt, das bei der Wolkramshäuser Mühle aus den beiden Bächen „Mörtel“, an der Küllstedter Grenze entspringend, und „Bach“, aus der Dingelstädter Flur kommend, zusammenfließt. Diese beiden Bäche hatten schon vor Helmsdorf das ärgste Unheil angerichtet. So hatte der „Bach“ die Dingelstädter Schafherde, nahe an 600 Stück, mit sich fortgerissen und in seinen Fluten begraben.

Selbst sieben Menschen fanden in seinen Fluten den Tod. Damals wurde nämlich die Chaussee von Dingelstädt nach Küllstedt gebaut; mehrere Arbeiter waren gerade mit dem Brückenbau beschäftigt; bei dem Unwetter hatten sie sich in die dort errichtete Hütte geflüchtet, um Schutz zu suchen. Da sie von der heranströmenden Wassermasse des „Baches“ keine Ahnung hatten, so wurden sieben von den Arbeitern plötzlich von den Fluten mit weggeschwemmt und ertranken. Von den Leichen wurden vier in der Helmsdorfer Flur gefunden, nämlich die des Philipp Montag aus Küllstedt, des Joseph Sander aus Kefferhausen und die des Nikolaus Freund aus Kreuzeber; die vierte Leiche, die des Georg Kirchberg aus Dingelstädt, fand sich erst einige Zeit nachher, als die Brücke bei der Wolkramshäuser Mühle erneuert werden sollte, wo sie im Schlamme geborgen lag. Der andere Bach, „der Mörtel“, war noch stärker angeschwollen. Bei der Wolkramshäuser Mühle, wo das Tal sich engt, kamen die Fluten zusammen, stauten sich vor der Brücke und setzten die Fabrikräume des Joseph Kunckell in der Mühle unter Wasser, einen Schaden von 5000 Talern verursachend. Von da kam das Wasser, nach dem Zusammenflusse beider Bäche „Wüsterott“ genannt, verheerend nach Helmsdorf, wo es, mit der Unstrut vereinigt, den Ort teilweise in einen See verwandelte.

Viele Gebäude stürzten ein, die meisten durch eindringendes Wasser beschädigt, viel Vieh ertrank, arge Beschädigungen entstanden in den Gärten, an den Wegen und Brücken. Wie hoch damals das Wasser gestanden hat, kann man daraus erkennen, daß selbst die Kirchenbücher im Wasser geschwommen haben und noch jetzt Spuren davon an sich tragen.

Auch in anderen Ortschaften im Unstruttale hat das Unwetter ähnliches Unheil angerichtet. So wurden z. B. in Zella zwei Wohnungen und einige Stallungen vom Wasser fortgerissen, viele Wohnhäuser konnten fürs erste nicht mehr bewohnt werden. In Ammern wurde die Mühle weggeschwemmt, und beim Einsturz der Brücke büßten fünf Menschen das Leben ein.                

Wilhelm Klingebiel
(Quelle: Unser Eichsfeld, 4. Band, 1909 – 1910, S. 140 – 141)