Das Hochwasser im Frühjahr 1909

Heiligenstadt, 5. Februar
Der gestrige 4. Februar wird in der Geschichte des Eichsfeldes als ein Unglückstag erster Ordnung verzeichnet werden müssen. Eine Hochwasser-Katastrophe, wie sie sich seit Menschengedenken nicht zugetragen hat, – ein Unglück, das das der Jahre 1852 und 1856 bei weitem in den Schatten stellt – brach über die Metropole des Eichsfeldes Heiligenstadt, die Hauptstadt des Untereichsfeldes Duderstadt, sowie über zahlreiche Dörfer und Flecken herein und richtete in kurzer Zeit großen, im Augenblick nich unberechenbaren materiellen Schaden an. Mit bangen Befürchtungen hatte man in den Tagen vom 27. Januar bis 2. Februar die ungeheuren Schneemassen auf Berg und Flur sich auftürmen sehen. Als dann am Abend des Festes Mariä Lichtmeß Tauwetter, verbunden mit Regenfall, eintrat, verdichteten sich diese Befürchtungen zu ernster Sorge. Wie berechtigt diese war, das sollte sich zeigen in der Nacht vom 3. zum 4. Februar: „Die durch die doppelte Wirkung der Schneeschmelze und des unablässig niedergehenden Regens angeschwollenen Bäche und Rinnsale der Berge verwandelten sich bald in reißende Bäche, die ihrerseits wieder sämtliche eichsfeldische Gewässer: Leine, Geislede, Lutter, Beber, Asbach, Birkenbach, Steinbach und Rustebach im Kreise Heiligenstadt, Rhume Kahle, und Brehme in den Kreisen Duderstadt und Worbis, sowie Bode und Wipper und Unstrut im Kreise Mühlhausen derart mit Wasserfluten anfüllte, daß dieselben aus ihren Ufern treten und weite Gebiete überschwemmen mußten. Sowohl nach ihrem Charakter, als auch ihrem Umfange nach übersteigt also die gestrige Katastrophe auch diejenige des 11. Juli 1906, wo wolkenbruchartiger Regen vor allem in 18 obereichsfeldischen Dörfern beträchtliche Verheerungen anrichtete. Im Einzelnen ist folgendes zu berichten:

Lengenfeld
Am 3. Febr. nachmittags fiel hier starker Regen; infolgedessen kam von den Bergen das geschmolzene Schneewasser. Um 10 Uhr drang das Wasser im Oberdorfe schon durch die Gebäude; das Vieh mußte fortgebracht werden. Gegen 11 Uhr war der höchste Stand erreicht, so daß auch im Mitteldorfe das Vieh fortgeschafft werden mußte. Die Leute brachten ihre Kinder in den Oberstock. Das Eis hatte sich vor einem Zaun gestaut und stieg das Wasser rapid, so daß es in alle Stuben trat. Die Dorfstraße ist gänzlich aufgerissen und Löcher von einem Meter Tiefe durchsetzen dieselbe, so daß der Gemeinde ein großer Schaden erwachsen ist. Es wäre zu wünschen, daß im Oberdorfe der sogenannte Blankentalsgraben reguliert würde, um künftigen Verheerungen vorzubeugen.

Quelle: Mitteldeutsche Volkszeitung Eichsfeldia,
Heiligenstadt, 5. Februar 1909