Das "Herrode" bei Großbartloff - einst Treffpunkt der Jugend

Die Geschichte und die Inhaber desselben

Das Herrode, volkstümlich auch „Heirödchen" genannt, liegt 1700 m südwestlich in der in die Fluren von Lengenfeld und Geismar hineinragenden Südspitze der Großbartloffer Gemarkung, links an der Landstraße L 2032. Vor der Zusammenlegung der beiden Eichsfeld-kreise wurde 500 m weiter südlich, durch einen Grenzpfahl an der rechten Straßenseite, das Ende des Kreises Worbis angezeigt. Von hier trennen uns nur noch 200 m von der Entenmühle.

Der Name Herrode steht für eine Orts- und Flurwüstung. 1358 heißt es in den Urkunden:
„zu deme Rodichene desolato". (Hier wird dieser Ort bereits wüst genannt) Im 15. Jahrhundert begegnet uns in den Urkunden: „eine Wüstung die heißt zu dem Rode", 1469 Rodech. Im 19./20. Jahrhundert wird der Name entstellt zu „Gretchen, Heirätchen, Herode", und auf der Wüstungskarte von Prof. Dr. Reischel lesen wir mundartlich „Häiredchn". Rödchen bedeutet eine kleine Rodung. Bei dieser Rodung wurden auch die Wurzelstök-ke der Bäume mit ausgegraben. Wo jedoch innerhalb dieser ziemlich großen, jetzt im Herrode genannten Fläche das ehemalige Dorf lag, ist nicht festzustellen. Irgendwelche Nachrichten über einen Ort „Heyrode" oder „Herode" bei Großbartloff oder Bischofstein, wurden bis jetzt noch nicht gefunden. Der nördlich des Herrode gelegene Berg heißt Heiligenberg. Unterhalb des Berges und Dorfes vermutet man die Lage des ehemaligen Siechenhauses.

Vielleicht war dieses Siechenhaus ein Überbleibsel des Hofes der Johanniter-Ritter in Großbartloff, welche diesen im Jahre 1329 von dem Grafen Heinrich von Henneberg gekauft haben sollen. So wie die um das Siechenhaus bei Tastungen gelegenen Äcker den Namen Thunrode führten, ist möglicherweise der Name Herrode für die Umgebung des Großbartloffer Siechenhauses gebräuchlich gewesen (Wintzingeroda-Knorr: Die Wüstungen der Kreise Duderstadt, Heiligenstadt, Mühlhausen und Worbis).

Das heute noch bewohnte Haus in Herrode wurde im Jahr 1853 gebaut und hat äußerlich kaum Veränderungen erfahren. Von den einstmals sechs großen Linden, die vor dem Gebäude entlang der Straße standen, sind leider nur noch zwei übrig geblieben. Früher wurden solche Bäume nicht nur aus optischen Gründen gepflanzt, sondern meist in der Nähe der Hausbrunnen zur Hebung des Grundwasserspiegels. Dem Wohnhaus gegenüber, also auf der anderen Straßenseite und etwa 30 m höher, stand früher noch eine große Scheune mit einem in unserer Gegend recht seltenen Göpelschuppen. (Göpel= durch im Kreis herumgehende Tiere bewegte Antriebsvorrichtung von Arbeitsmaschinen). Im Herrode wurde der Göpel lediglich zum Antrieb der Futtermaschine eingesetzt. Eine Person führte die Tiere im Kreis, während die andere mit dem Futterschneiden beschäftigt war. So einfach diese Technik damals auch war, sie funktionierte hundertprozentig. Störungen sind nie bekannt geworden. Mit dem Anschluss des Herrode an das Stromnetz, wurde der Göpel, welcher nahezu 100 Jahre den Bewohnern ein unentbehrliches Hilfsmittel war, überflüssig. Ein handwerklich-technisches Denkmal ist damit für alle Zeit verloren gegangen.

Die Wasserversorgung des Herrode wird über einen eigenen Hausbrunnen, der sich ca. 6 m vom Haus entfernt unter den Lindenbäumen befindet, gesichert. Er hat ein Fassungsvermögen von 8 Kubikmetern, einen Durchmesser von 110-120 cm und eine Tiefe von etwa 10 m. Für eine Notwasserversorgung der Gemeinde Großbartloff war dieser Brunnen, laut vertraulicher Dienstsache vom 7.5.1973 vorgesehen. Auch der in unmittelbarer Nähe befindliche Weidenborn war dafür avisiert. Während der Kriegsjahre, etwa ab 1942, musste der Brunnen wegen defekt gewordener Pumpe und nicht zu beschaffender Ersatzteile stillgelegt werden. Als dann noch eine Kuh durch die mittlerweile brüchig gewordene Abdeckung einbrach, beschloss der seinerzeitige Inhaber August Kirchberg diesen zu verfüllen, um dadurch weiteres Unheil abzuwenden. In den folgenden 30 Jahren musste nun das Wasser für Mensch und Tier mittels eines großen, 1000 l Zinkfasses vom nahe gelegenen Weidenborn herbeigeschafft werden. Das war nicht immer einfach, besonders im Winter.

Als dem Sohn Bernhard eines Tages in der Nähe der Quelle Verunreinigungen auffielen, beschloss er im Jahre 1972, den eigenen Brunnen wieder freizulegen. Damit ein kontinuierlicher Wasserzufluss garantiert war, wurde der Schacht noch um 2 m vertieft.
Die Beleuchtung des Herrode erfolgte über Karbid- und später dann vor allem Petroleumlampen. Das Petroleum lieferte ein Großhändler aus Eschwege. Durch den Anschluss unseres Dorfes an die Überlandzentrale Mühlhausen im Jahr 1941 war es grundsätzlich möglich geworden, auch das Herrode an das öffentliche Stromnetz anzuschließen.

Doch es war Krieg, der mit seinen großen Problemen den Gedanken an einen Anschluss zunichte machte. Nach dem Krieg sah die Situation ähnlich aus. Dem Antrag des damaligen Herrode - Eigentümers August Kirchberg auf Anschluss an das Stromnetz konnte nicht entsprochen werden. Da hatte dieser eine Idee: Er fuhr nach Mühlhausen in das E-Werk, sprach mit den Verantwortlichen und stellte unter dem Siegel der Verschwiegenheit, bei Realisierung des von ihm gewünschten Anschlusses, ein fettes Schwein als „Trinkgeld" in Aussicht. Das zog in dieser verhungerten Zeit ungemein, und es dauerte gar nicht lange, bis die Monteure kamen und die erforderlichen Arbeiten verrichteten, so erstrahlte in den Jahren 1948/49 erstmals im Herrode das elektrische Licht. Noch heute ist der Haken zu sehen, an dem einst die Petroleumlampe ihren Platz hatte.

Wer sich dem Herrode nähert, fragt sich zunächst, ob es sich um einen Gast- oder einen Bauernhof handelt, in früheren Zeiten hätte man beides bejahen müssen. In erster Linie lebten die Besitzer natürlich von der Landwirtschaft, und der Gaststättenbetrieb war nur ein Nebenerwerb. Das Gastzimmer befand sich am Eingang links, und an der Hauswand draußen war bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts in großen Lettern zu lesen: Zigarren, Zigaretten und Flaschenbierverkauf.

Nach der Jahrhundertwende wurde das Herrode zum Treffpunkt der Jugendlichen aus Geismar und Wilbich. Auch Familienfeiern, wie Hochzeiten und Geburtstage wurden unter den großen, Schatten spendenden Linden gefeiert. Aus Anlass der sogenannten „Hülfenstage" kamen die großen Prozessionen am Herrode vorbei, doch nur die Prozession aus dem benachbarten Effelder hielt an, kehrte ein und nahm eine Erfrischung. Am 2. Ostertag war es Sitte, dass die Großbartloffer mit Kind und Kegel in das Herrode gingen um dort einen gemütlichen Nachmittag zu verbringen. Für den Ausschank an solchen Tagen musste jedoch eine Konzession beim Amtsvorsteher Pudenz in Ershausen eingeholt werden, denn das Herrode hatte nur Flaschenbierverkauf. Für Schnaps herrschte offiziell Ausschankverbot. Doch wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter.

Von meinem Urgroßvater Martin Fiege - geb. 1840 in Geismar, gest. 1884 in Großbartloff - wird berichtet, dass er sich eines Tages aufmachte, um in seinem Geburtsort Geismar sein Vermögen zu holen. Auf dem Heimweg kehrte er im Herrode ein und vertrank dort das gesamte Erbteil. Wie hoch dieses war, darüber ist nichts bekannt. Dieser Exzess machte fortan aus ihm einen Menschen, der nie wieder Alkohol anrührte. Er strafte sich selber auch damit, dass er von Gründonnerstagmorgen bis Karsamstagabend nichts aß und nur Wasser trank. Erst wenn am Karsamstag die Sterne am Himmel standen - so ist es mir von meiner Mutter überliefert - nahm er erstmalig wieder Nahrung zu sich.

In den Kriegsjahren des 2. Weltkrieges wurde der Ausschank im Herrode für immer eingestellt und das ehemalige Gastzimmer als Wohnraum umfunktioniert.

Inhaber des Herrode in chronologischer Reihenfolge:

  • 1. Müller, Adam - Schankwirt und Handelsmann - geb. am 26.2.1830 in Lengenfeld, gest. am 30.3.1890 in Großbartloff. Ehefrau: Hübenthal, Christine, geb. 18.5.1836 in Geismar, gest. 21.03.1895 in Großbartloff an Altersschwäche. Adam Müller machte „das große Geld" mit dem Ausschank während der Zeit des Eisenbahnbaues der Bahnstrecke Leinefelde Eschwege, in der Zeit zwischen 1875-1880.
  • 2. Müller, Ernst - Sohn von Nr. 1 - geb. am 8.7.1863 in Lengenfeld, gest. am 22.10.1942 in Großbartloff. Ehefrau: Buchardt, Dorothea, geb. am 6.1.1866 in Großbartloff, gest. am 16.3.1941 in Großbartloff. Ernst Müller übernahm das Herrode nach dem Tode des Vaters und war Eigentümer bis zum Jahr 1934.
  • 3. Kirchberg, August - Landwirt - geb. 19.1.1902 in Dingelstädt, gest. 10.8.1975 in Großbartloff. Ehefrau: Rohmund, Rosa, geb. 15.9.1909 in Marth, gest. 9.10.1982 in Großbartloff. August Kirchberg übernahm das Herrode im Jahre 1935. Typisch für die Kirchbergs war, dass sie ihre Würste nicht räucherten. Das kannte man in Großbartloff nicht. Mit dem Gesangbuch auf dem Gepäckträger ihrer Fahrräder, dem damals üblichen Fortbewegungsmittel, erschien die Familie regelmäßig zum sonntäglichen Gottesdienst.
  • 4. Kirchberg, Bernhardt - ältester Sohn von Nr. 3 - geb. am 10.10.1931 in Marth. Ehefrau: Lins, Irmgard, geb. am 5. 7.1935 in Wachstedt. Bernhard Kirchberg übernahm das Herrode vom Vater und sollte die Landwirtschaft, die jedoch 1960 durch Gründung der LPG zwangskollektiviert wurde, übernehmen. So wurde nichts daraus. Die Familie Bernhard Kirchberg wohnte noch bis 1986 im Herrode und zog dann nach Geismar. Nach dem Wegzug stand das Herrode bis 1989 leer.
  • 5. König, Ulrich - Schlosser - geb. am 11.4.1964 in Großbartloff. Ehefrau: Schreiber, Martina, geb. am 8.3.1967 in Großbartloff. Martina Schreiber ist ein Enkelkind von August Kirchberg, Nr. 3. Familie König kaufte im Jahre 1987 Herrode und zog 1990 dort ein. Nach eigenen Angaben fühlen sie sich dort wohl und würden nicht mit den Bewohnern des Dorfes tauschen. Sie wohnen zwar allein dort, sind aber dennoch nicht einsam.

Bernd Homeier,
Großbartloff

Benutzte Literatur:
A. Höppner: Amt Bischofstein.
Eigene Befragungen.