Dar ahle Eichsfaller un d'r junge Dokt'r

Oberhalb der Brücke, wo schäumend und plätschernd die Lutter in ihrem Flussbett der nahen Frieda zueilt, schritt vor einigen Jahrzehnten auf der staubigen weißen Kalkstraße ein alter Eichsfelder entlang. Dort wurde er von einem Auto eingeholt. Der Fahrer, ein junger Arzt, der wegen seiner Volkstümlichkeit und auch als Arzt sehr beliebt war, befand sich von einem Krankenbesuche in einem der kleinen eichsfeldischen Unterdörfer auf dem Heimwege. Kurzer Hand hielt er an, öffnete die Wagentür und lud den Alten zum Mitfahren ein. Zögernd kletterte dieser in den Wagen und nahm neben dem Arzt Platz.

Der Arzt fragte den Fahrgast: „Wo wollen Sie denn hin?“ – „Wall mo bin’n Dokt‘r“, war die kurze Antwort des Alten. „So, zum Doktor wollen Sie“, sagte interessiert der Arzt. Der Alte erwiderte: „Benn Laabtages in min‘n draiundachtzig Johren na nit bim Dokt’r gewaesen, abber hitte muß ich gräid mo hen, de loßen meh drhaim sonst kenne Ruibe. – „Dreiundachtzig sind Sie schon alt? Das sieht Ihnen keiner an – Sie sind noch sehr rüstig!“ sagte der Arzt. Und weil ihm die Unterhaltung Spaß machte, ließ er den Wagen langsamer laufen und fragte: „Zu welchem Doktor wollen Sie denn?“ – „Ich geh bin dan Ahl‘n, dar äß wohl‘n bißchen darb, abber ha äß nit so nuimoodsch we dar annere un ich mäine, ha verstett ä meh wesö an junger Mäinsch.“

Inzwischen war das Dorf erreicht. Der Arzt hielt vor dem Hause des alten Kollegen, öffnete lächelnd die Wagentür und sagte im gemütlichen Tone: „So, nun müssen sie aussteigen, hier wohnt der alte Doktor – und der junge hat Sie gefahren!“ – zog die Tür zu und fuhr lächelnd grüßend davon. Der alte Eichsfelder stand ganz verdattert auf der Stelle, sah dem davonfahrenden Auto nach und murmelte vor sich hin: „Ha muß dach geschäiter seh, we ich doochte“.

Nach einer Stunde verließ der Eichsfelder das Sprechzimmer des alten Arztes, nahm seinen Lindewerraer Knotenstock und ging über den Entenberg nach Hause. Dort angelangt, fragte seine Frau: „Na, Wilm, waos hett ar dann aongegann?“ – „Schwick still, wall nischt meh heere, han genukg dovune“ – klang es kurz zurück. „Je, eß s dann so schlemm met dich?“ fragte besorgt die Frau. – „Dar junge Dokt’r eß an guter und geschaiter Mann, schlemm genugk, daos ich am Unracht getonn han“, sagte der Alte, und im energischen Tone setzte er noch hinzu: „So getts, wann me uff üch Wieber heert. Daos sage ich dich, Dortlies! Bin’n Dokt‘r krieste mich Laabtaoges nit werr hen.“

Heinrich Richwien
(Quelle: Lengenfelder Echo)