Chronika der Geburt des Dorfjungen und wie er zu seinem Namen kam
Der gemeinte Dorfjunge bin ich. Als ich dazumalen geboren wurde, war ich leider, wie alle anderen Dorfjungen, noch zu dumm, um alle Eindrücke, die der Eintritt in das Lebens –und Kindheitsparadies auf mich gemacht haben mag, zu behalten. Muss wohl so sein, dass ich die Gedanken nicht alle bei einander gehabt habe die Zeit. Ich erinnere mich an gar nichts. Was ich darüber weiß, habe ich vom Hörensagen. Darum mag ein Anderer die Sache berichten, wie er sich derselben erinnert. Eine Verantwortung für die unbedingte Richtigkeit lehne ich. Übrigens ist es nötig, einige Personen in dem Drum und Dran umzutaufen. Nur meinen Namen mag er richtig nennen, wie er im Kirchenbuche eingeschrieben steht. Mag wohl so kommen, dass ich dabei hier und da bloßgestellt werde. Aber es macht nichts aus. Ich komme dabei nicht aus der Gewohnheit. Also mag "Er" berichten.
- Es war am 25. April Anno domini... -
Wer nun ein schönes Abreißkalenderlein hat, könnt' nach genanntem Datum nachblättern, weil auf vielen Blättern fein hingedruckt steht, ob da Anno... ein "Großer" geboren oder gestorben ist. Aber in unserem Falle könnt's Kalenderlein doch versagen und du merkst zunächst nichts. Und dennoch soll just an dem Datum Anno... ein Großer gestorben sein. Und der war kein Geringerer, als der Evangelimann St. Markus. Das steht im Kalenderlein, sofern es ein christkatholisches ist, fein aufgemerkt. Aber ein anderes steht nicht darauf aufgemerkt, nämlich, dass am selbigen Datum Anno... ein Kleiner geboren wurde. Das ist nun auch ganz in der Ordnung, weil's Kalenderlein sich mit Kleinigkeiten nit befassen kann. Also just da, als man fürbitteweise den Großen anrief im St. Markusprozessionszuge, wurde der Kleine geboren.
Die Fahnen flatterten im Winde, just wo am Ausgang der Schlucht der alte verwitterte Bildstock steht, da tat der Kleine im Hügelhäuschen den ersten Weltschrei. Am Geflank des Bildstockes standen dazumalen noch zwei uralte Lindenbäume. Jetzt sind sie weg. Der Kleine, von dem ich erzähle, hat sie aber noch ganz gut gekannt, die alten Bäume, und hat selbsten darauf gesessen und den guten Brusttee, die Lindenblüten, gerupft und im Sacktüchlein heimgetragen.
Später sind, wie schon gesagt, die Bäume da weggekommen und auch der Schwarzkirschenbaum, der etwas rückwärtig stand. Der Schwarzkirschenbaum gehörte einem Manne, der Simon hieß. Daher vermeinte der Junge, von dem ich erzähle, in ihm den Simon von Zyrene, der dem Heiland das Kreuz hat tragen helfen. Der Bildstock inmitten der Bäume war in seiner Nische mit einem Bilde ausgeschmückt, das die Kreuztragung darstellte.
Wenn nun der Dorfbub', von dem ich erzähle, nach Jahr und Tag hinter dem Markustag seiner Geburt auf Simons Schwarzkirschenbaume die Hosen strapazierte und so nebenbei auch Schwarzkirschen probierte, vergaß er auch das Äugen, hauptsächlich in der Nordrichtung, nicht, weil von daher schon damals der schärfste Wind herkam und das noch manchmal zu einer Zeit, wo der alte verrostete Kirchturmgöckel trügerisch nach Süd oder West schaute. Und scharfer Wind wehte dann bald am Bildstock, um Kirch- und Lindenbaum, wenn das behäbig-runde Männchen, eben der Simon, den Schluchtweg daherschritt.
Soviel hatte das Jüngelchen schon heraus, dass der Simon nicht daherkam, um es seinem himmlischen Patron, dem Simon von Zyrene, gleichzutun und dem Herrn das Kreuz tragen zu helfen in dem Bildstock. Somit glitt er mit katzenartiger Geschmeidigkeit den Schwarzkirschenbaum hinab, schlüpfte hinter einen Hagedornbusch und überließ den Simon seelenruhig der Schätzung seiner Schwarzkirschenernte. Soviel nur eben über das Drum und Dran des Bildstockes. Also da vorbei flatterten dazumalen die Fahnen.
Im Hügelhäuschen war's Kind da. Derzeit ist die Büttner-Marthe die Wehmutter gewesen und der verdankt der Dorfjunge, um den es sich dreht, die ersten Senge auf den von Natur dazu bestimmten rückwärtigen Körperteil. Da hat der Kleine den ersten wehen Weltschrei getan und weil’s ihm ansonsten nichts geschadet hat, vielmehr genutzet, dass er die Augen aufgetan hat ins Wirkliche, so sind dieser ersten lebenserweckenden Einreibung später noch öfters andere nachgefolgt.
Die Büttner-Marthe soll damals denn aber gemeint haben - und andere hätten dem zugestimmt: Das Kind, Kathrin, glaube ich nicht, dass d's behältst. - Nun wäre es wohl nicht verwerflich gewesen, den Jungen "Markus" zu heißen. Wäre dem Jungen selbsten wohl recht gewesen, solch frommer Name. Aber das ging nit, weil in der Verwandtschaft rundum und wohl im ganzen Kirchdorf kein Markus war, der hätte Pate stehen können. Solche Namenhoffart, wie heutzutag' trieb man derzeit aber noch nicht. Namenspatron konnte da nur ein zuverlässiger, solider Kalenderheiliger werden, deren genugsam auch aufgezeichnet stehen. Der Pfarrherr hätte da wohl auch ein schönes aufgespielt, wenn einer auf seine von Amtswegen gestellte Frage: Wie soll das Kind heißen? geantwortet hätte: Männe, Maxel, Fanny, Wolf oder ähnliches dergleichen.
Markus ist das Jüngelchen also nicht geheißen worden, sondern Adam. Das mag nit jedem gefallen; aber es waren schon ein Rümmelchen da und der Adam war grad das letzte Kind. Wenn einer unter solchen Verhältnissen geboren wird, muss er mit jedem halbwegenen Namen fürlieb nehmen. Wohl hätte können noch bei der Namenswahl erwogen werden, dass der Adamstag auf dem Kalender mit Fischen gezeichnet ist. Fische bedeuten Fasten.
In der eichsfeldischen Heimat des Adam aber kann man sich eine Namenstagsfeier nicht gut ausdenken ohne anständiges Wurstessen. Ich weiß nicht, ob man das alles damals, als das Jüngelchen seinen Namen erhielt, erwogen hat. -Mag sein; aber die Büttner-Marthe-Wehmutter hatte den Ausspruch getan: "Ich glaube nit, Kathrin, dass d' das Kind behalten tust", und andere hatten dem beigestimmt. Vielleicht waren sie deshalb allesamt der durchaus irrigen Meinung geworden, das Büblein komme wohl gar nit mal in Verlegenheit und Versuchung, auf Adenstag Dispens aufs Abstinenzen einzuholen. Zudem werden wohl auch betreffs der Gevatterschaft vor der Geburt des Jüngelchens schon Abmachungen getroffen worden sein. Und weil der Pate Aden hieß, so heiß man auch das Jüngelchen so.
Übrigens kann der Adam bezeugen, dass man keine schlechte Wahl getan hat. Spielzeug an Helm und Holzpferd, Nüssen, Brezeln und Apfelsinen, Schul- und Schuhwerk hat er genugsam von den Paten, deren es zwei, ein Mann- und ein Fraupate, waren, erhalten. Also hat der Adam da im Hügelhausparadies in der großen "Hotzen" gelegen und gestrampelt.
Vom Hügelhausparadies konnte sich der Herrgott die Worte ersparen: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei, weil er schon fürgesorgt hatte. Es waren noch acht andere da. Garten und Hofstatt des Hügelhausparadieses hatten auch viele Bäume. Der Baum des Lebens aber stand mitten drin im Hügelhausparadies. Es war der Webebaum auf des Vaters Beiderwandgestell. Und weil das Gestell lustig klapperte von früh bis spät, so hatten alle Insassen zu "leben". Also war der Webebaum der "Baum des Lebens".
Fehlt der Baum der Erkenntnis, meint ihr. Der war auch da. War ein Birkenbäumelein mit weißscheckiger Stammrinde und kaffeebraunen Ästelein. Davon haben sie allesamt verkostet, soweit sie in untergeordneter Stellung waren im Hügelhaus, weil Mutter Kathrin und Vater Joachim da die Birkenruten hernahmen. Im Nachfolgenden mag nun der Adam selbst erzählen, was er noch erlebt hat in seiner Dorfheimat.
Nur wollt ich noch dieses sagen. Das Jahr, wo der Adam am St. Markustage geboren wurde, sind die Kartoffeln erst im Mai ins Bergstück bei den Tannen eingelegt worden. Durch die Geburt des Jungen war diese Ausbestellarbeit etwas ins Hintertreffen gekommen. "O weh", sagten die Leute - "ob das wohl noch geratet!" Und was denkt Ihr! Sie haben das Jahr mordsche Kartoffeln gekriegt bei den Tannen. Darum haben sie's alle fernere Zeit so gehalten mit dem Auslegen im Mai; 's ist halt für solches Land im April noch Unzeit.