Burg Gleichenstein (1935)

Die Burg Gleichenstein liegt auf einem nach drei Seiten schroff und steil abfallenden Vorsprung der im Durchschnitt 450 Meter hohen Muschelkalkhochfläche, welche den östlichen Teil des Obereichsfeldes bildet. Nur von Osten her konnte ein Angriff auf die Burg erfolgen, die an dieser Stelle durch Wallgräben geschützt war. Die heutigen Gebäude des Schlosses sind erst nach dem Dreißigjährigen Krieg erbaut worden. Als der Gleichenstein noch eine der festesten Burgen des Eichsfeldes war, deckte ein viereckiger Verteidigungsturm den Toreingang; ein zweiter, runder Turm, von dem noch Reste erhalten sind, war der Bergfried und Luginsland. Das äußere Burgtor weist ein Wappen mit dem Mainzer Rad und die Jahreszahl 1740 auf. Am inneren Burgtor, das in den kleineren inneren Burghof führt, erblickt der Besucher ein Steinbildnis, welches den heiligen Martin und den um ein Almosen flehenden Bettler darstellt, sowie zwei Wappen, die unter den Witterungseinflüssen gelitten haben; doch sind da Mainzer Rad und ein quadrierter Schild erkennbar.

Auf einem Wege, der um die Schlossmauer herumführt, ist das Betreten eines Altans ermöglicht, der eine herrliche Aussicht auf das Dorf Martinfeld, den Greifenstein, den in der Ferne aufsteigenden Klotz der Goburg, den Meißner und die Höhen des Eichsfeldes gewährt. Dieser Blick ist von so überraschender Wirkung auf den Besucher, dass man dem Aussichtspunkt den Namen „Das Blaue Wunder“ gegeben hat. Die Überlieferung berichtet, dass hier ein Esel, der vom tief im Tal liegenden Eselsbrunnen Wasser auf die Burg tragen musste, abgestürzt sei, ohne Schaden zu nehmen.

Gegen 200 Jahre ist die Burg Gleichenstein im Besitz der Grafen von Gleichenstein gewesen. Dieses in Thüringen reichbegüterte Grafengeschlecht tritt in der Geschichte unserer Heimatlandschaft zuerst um das Jahr 1050 auf. Damals führten die Grafen noch den Namen „von Tonna“, „de Donnaha“ oder „de Tonna“. Ihr Wohnsitz war der Ort Tonna, der nach den Grafen auch Gräfentonna genannt wurde. Helinburgis, eine Gräfin von Tonna, stiftete 1131 das Kloster Volkenroda. Ein Graf Ernst wurde 1162 der Stifter der Zisterzienser-Abtei Reifenstein. Der Bruder dieses Grafen, Erwin, führte damals schon den Namen „de Glychen“ nach dem Schloss Gleichen, welches die Familie als Lehen der Erzbischöfe von Mainz schon vor dem Jahre 1137 erhalten hatten. Auf dem Eichsfeld erscheinen die Grafen von Gleichen zuerst 1154 als Schirmvögte des einst bedeutenden Klosters Gerode. Etwa 100 Jahre später scheint eine Teilung der gräflichen Besitzungen stattgefunden zu haben. Die eine der beiden gräflichen Linien, welche die eichsfeldischen Güter erhalten hatte, führte seit 1246 den Namen „de Gleichenstein“ oder „Glichen von Gleichenstein“. Die andere Linie nannte sich fortan „de Glichen“ oder „von Gleichen“.

Die Eichsfelder Gleichen gerieten bald infolge der Teilnahme an den Fehden und Kriegen ihrer Zeit in große finanzielle Bedrängnis, sodass sich Graf Heinrich II. von Gleichenstein 1294 veranlasst sah, die drei Burgen Gleichenstein, Scharfenstein und Birkenstein nebst den dazu gehörenden Dörfern an den Erzbischof Gerhard von Mainz zu verkaufen. Der Kaufschilling betrug 1100 Mark feinen Silber und 500 Mark Freiberger Silber nach Erfurtischem Gewicht.

Seitdem wurde die Burg Gleichenstein durch einen kurmainzischen Amtmann verwaltet, dem die folgenden Dörfer unterstanden: Beberstedt, Büttstedt, Dingelstädt, Helmsdorf, Kalteneber, Kefferhausen, Küllstedt, Silberhausen, Wachstedt und Zella. Die Gerichtsbarkeit der Gleichensteiner Amtleute erstreckte sich auch auf die Dörfer Effelder und Struth, die dem Benediktinerinnen-Kloster Zella gehörten, auf die Anrödischen Dörfer Bebendorf und Bickenriede, auf Bernterode und Ascherode, ehemalige Besitzungen der Herren von Tastungen und das Bodungische Gerichtsdorf Martinfeld. Das zur Burg Scharfenstein gehörende Gebiet bildete eine besondere Amtsmannschaft. Von dem Gleichensteinischen Schlosse Birkenstein, welches sich 1323, wie der eichsfeldische Geschichtsforscher Wolf berichtet, im Jahre 1323 noch in gutem Zustand befunden haben soll, kennt man heute nicht einmal die genaue Lage. Es soll auf dem ´Wingert´ südlich vom Dorf Birkungen gestanden haben.

Neben dem Rusteberg war die Burg Gleichenstein eine der festesten Burgen des Eichsfeldes; daher spielte sie auch während des Dreißigjährigen Krieges eine wichtige Rolle. Schon im Jahre 1625, als der „tolle“ Christian von Halberstadt, Herzog von Braunschweig, seinen dritten Raubzug gegen das Eichsfeld unternahm, besetzten kaiserliche Truppen die Burg und setzten sie in Verteidigungszustand. Als dann das Eichsfeld unter schwedische weimarische Herrschaft kam, wurde 1632 der Gleichenstein von dem schwedischen Oberst von Schlammersdorf erobert und nach dem Abzug der Schweden von den Truppen des Herzogs Wilhelm von Weimar, welcher anordnete, „den Gleichenstein bis aufs äußerste zu halten“, besetzt. Nach dem Prager Separatfrieden 1635, dem auch der Herzog Wilhelm beitrat, räumten die Weimaraner das Eichsfeld; doch schon 1639 wurde dieses aufs Neue von den Schweden besetzt. Der General Königsmark zwang nach heftiger Beschießung die 124 Mann starke Besatzung des Gleichensteins zur Übergabe. Der Oberamtmann Griesheim wurde gefangen nach Erfurt abgeführt, der Gleichenstein aber von den Schweden stark befestigt. Als aber 1641 die Kaiserlichen unter dem Erzherzog Leopold und dem General Piccolomini die Stadt Göttingen belagerten, traf der Oberst Spork mit einer Heeresabteilung vor Duderstadt ein, um diesen Stützpunkt den Schweden zu entreißen. Das Unternehmen glückte, und mit Duderstadt wurde auch die Burg Gleichenstein an die Kaiserlichen übergeben. Die Besetzung des Eichsfeldes durch die kaiserlichen Truppen, die aus den Dörfern verpflegt werden mussten, führte bald zu Unzuträglichkeiten und lebhaften Klagen der Bevölkerung bei dem Landesherren des Eichsfeldes, dem Erzbischof und Kurfürsten von Mainz. Dieser sah sich genötigt, schon im nächsten Jahre den Abzug der kaiserlichen Truppen zu erbitten. Er versprach, Duderstadt und den Gleichenstein selbst besetzen zu lassen und ernannte den Oberstleutnant von Westernhagen zum Befehlshaber der beiden festen Plätze. Duderstadt aber wurde bald darauf von dem schwedischen General Königsmark eingenommen, und dieser forderte von den eichsfeldischen Landständen die Schleifung der Festungswerke von Duderstadt und der Burg Gleichenstein binnen sechs Wochen. Falls diesem Befehl nicht nachgekommen würde, drohen die Schweden, das ganze Eichsfeld zu verwüsten. Notgedrungen musste der Kurfürst von Mainz die Forderung des Feindes bewilligen. Im Jahre 1643 wurden die Festungswerke der Burg Gleichenstein niedergerissen; nur die Gebäude blieben erhalten. An Kriegsvorräten fanden sich vor:  11 ½ Fass Pulver, 9 Bund Lunten, 225 gefüllte Handgranaten, 4 Mulden Blei, 2 Kanonen, 13 Doppelhaken, 100 Kanonenkugeln, 2000 Doppelhaken – und Musketenkugeln, 12 Pechkränze und 25 gefüllte Kartuschen.

Im Jahre 1646 schenkte die Königin Christina von Schweden, die Tochter des bei Lützen gefallenen Königs Gustav Adolf, das Eichsfeld dem Landgrafen Friedrich von Hessen als Mannlehen. Daraufhin besetzten schnell kaiserliche Truppen unter dem General Melander von Holzapfel das Eichsfeld. Melander ließ die Festungswerke des Gleichensteins wieder herstellen und legte eine Besatzung von 100 bis 160 Dragonern in die Burg. Alsbald schritt der Landgraf von Hessen zur Belagerung der Festung. Der Oberst Douglas rückte mit 2000 schwedischen Reitern, Fußsoldaten und einigen Batterien vor den Gleichenstein, wurde aber schon am nächsten Tag durch einen Musketenschuss schwer verwundet, und die Belagerung musste wieder aufgehoben werden. Im Jahre 1648, kurz vor dem Friedensschluss aber schickte der schwedische General Wrangel den Obersten Sigismund Prisinsky gegen die Burg, die nur von 150 Musketieren verteidigt wurde. Tapfer schlug die kleine Besatzung mehrere Stürme ab. Erst als die Festungswerke zusammengeschossen worden waren, kapitulierte der tapfere Hauptmann Böttiger und erhielt freien Abzug. Die Schweden hielten die Burg einige Zeit besetzt und rissen sie dann bis auf den Grund nieder. Später wurde der Gleichenstein wieder hergestellt.

Die Burg blieb bis zum Jahre 1802 kurmainzischer Besitz und fiel dann mit dem Fürstentum Eichsfeld und den freien Reichsstädten Mühlhausen und Nordhausen durch den Reichsdeputationshauptschluss an Preußen. Nach der Niederlage Preußens bei Jena und Auerstädt und dem Schmachfrieden von Tilsit gründete Napoleon das Königreich Westphalen, zu dem auch das Eichsfeld gehörte. Unter der Herrschaft des Bruders des französischen Kaisers, Jerome, kam das Schloss 1809 an die Gemeinde Wachstedt.

Im lauschigen Waldwinkel versteckt liegt unter dem alten Schlosse die Kapelle Hagis oder das Klüschen, d. h. Die Klause, mit der dicht dabeistehenden Küsterwohnung. Wenige Kapellen der deutschen Gaue können schöner gelegen sein als dieser katholische Wallfahrtsort des Obereichsfeldes, der am Sonntag nach Mariä Heimsuchung (2. Juli) die Katholiken der Umgegend beim Gottesdienst vereint sieht. Die heutige kleine Kirche ist 1751 erbaut worden. Eine starke Quelle sprudelt am Fuße des Burgberges auf der Grenze zwischen den Muschelkalt- und Buntsandsteinschichten zu Tage. Der „Eselsbrunen“ lieferte den Burgbewohnern von Gleichenstein das Wasser, das von den Eseln auf den Schlossberg getragen werden musste.

Bernhard Klett
(Quelle: „Mühlhäuser Kampf“, Ausgabe vom 27.05.1935)

Anmerkung: Für die Abschrift des Aufsatzes bedankt sich der Webmaster dieser Seite bei Herrn Matthias Stude.