Bonifatius-Jubiläum auf dem Hülfensberg (1924)

Die alte deutsche Kultstätte ist durch die Erinnerung an die Fällung der Donnereiche durch St. Bonifatius im Jahre 724 in den Mittelpunkt des kulturgeschichtlichen Interesses getreten. Wieder einmal streiten nach deutscher Art und Gründlichkeit die Gelehrten über die Frage, wo in aller Welt, bei welchem Geismar Bonifatius die Eiche fällte, den Sieg des Christentums äußerlich krönte, ob bei Fritzlar, Hofgeismar oder bei dem dritten Geismar, auf dem Hülfensberge im Eichsfelde. Gerade in diesem Jahre mußte der alte Streit auflodern, wo das Volk sich zur 1200-Jahr-Feier rüstete. Wissenschaftlich wird die Frage nie endgültig gelöst werden. Darauf kommt es dem Volk aber auch gar nicht an. Ihm geht die Tradition über die gelehrte Forschung. Und die Tradition spricht für den Hülfensberg.Schon die Lage gibt ihm die günstigsten Voraussetzungen. Dort wo an der Hessengrenze die Werra sich nach Nordwesten wendet, überragt ein 450 m hoher Bergkegel die Landschaft. Der Blick schweift gen Süden zum Thüringer Walde und zur Rhön, ruht im Westen auf dem gewaltigen Massiv des Meißners und reicht im Norden bis zum Brocken hinauf. Zu Füßen liegen ihm Wanfried und Eschwege, vor allen aber in nördlicher Richtung die Hügelketten der eichsfeldischen „Schweiz“. In neblige Täler eingebettet, zeigen sich ein paar Dutzend fröhliche Dorfbilder, jedes ein Idyll. Von einer Bergnase lugt aus dem Hochwalde die altersgraue Burg Gleichenstein herüber. In der Mittagssonne glitzert der Spiegel der Werra, die langsam und in graziösen Windungen ihres Weges zieht. Heer- und Handelsstraßen, die Norden und Süden verbanden, führten am Hülfensberge vorüber, der wie ein König die ganze Gegend beherrscht. Daß in heidnischer Zeit das enge Bergplateau mit seinen wundervollen Fernsichten dem Götterkult gedient haben mag, liegt nahe und wird nicht angezweifelt. Ebenso nahe liegt naturgemäß, daß St. Bonifatius, der 724 unweit das Kloster Ohra (Ohrdruf in Thüringen) gründete, in Wanfried und andern Siedlungen an Werra und Fulda war, den Berg bestieg. Auch daran zweifelt niemand ernstlich. Warum sollte die heilige Eiche des Thor nicht dort oben ihren Standort gehabt haben? Kein anderes Geismar hat eine ähnliche Stelle aufzuweisen. Es fehlt ihnen außerdem die Volks-überlieferung. Auf dem Hülfensberge stand schon früh eine christliche Kirche, ursprünglich eine Kapelle aus Holz. Sie war Salvator, dem Erlöser geweiht. Nach dem Volksglauben hat St. Bonifatius sie selbsterbaut. Im 12. Jahrhundert etwa wurde schon die erste Kirche aus Stein errichtet. Am Gewölbe deswiederholt ausgebesserten und erweiterten Gotteshauses befindet sich ein von Würmern zerfressenes Eichenstück, ein Andenken an die Holzkapelle. Im Volksglauben ist es eine Reliquie von der Donnereiche, die zum Bau der ersten Christenkirche verwandt wurde. Die umliegenden Dörfer begruben ihre Toten bei der Kirche in luftiger Höhe. Schon im frühen Mittelalter muß der Hülfensberg einen großen Rufgenossen haben; denn zu ihm kamen Wallfahrer selbst aus dem hohen Norden. Vor einigen Jahren erstwurde ein Opferstock ausgegraben, der Denare aus dem 12. und Brakteaten aus dem 13. Jahrhundertenthielt, Münzen aus den Hansastädten, Pommern, Stargard, aber auch aus Schwaben, Niedersachsen und Thüringen. In der Nähe des Hülfensberges erinnern unendlich viele Dinge an Bonifatius, Brunnen, Wege, Steinkreuze und Flurnamen. Zu Wanfried, das seit der Reformation nicht mehr katholisch ist, ist die Erinnerung an Winfried Bonifatius und dessen Verehrung so lebendig geblieben, daß niemand der Bevölkerung sie aus dem Herzen zu reißen vermöchte. So sehr waren die Hessen mit dem Hülfensberge verwachsen, daß ihnen noch lange nach der Reformation immer wieder die Wallfahrt zu ihm strenge verboten werden mußte. Bei Wiederherstellungsarbeiten sind 1923 in der Kirche auf dem Hülfensberge wertvolle Funde gemacht worden. Ein Schlußstein aus dem 12. Jahrhundert stellt den Kopf Karls des Großen dar. Freskenaus dem Mittelalter zeigen das jüngste Gericht nach damaliger Auffassung, eine Kreuzigungsgruppe und die Eichenfällung. Das letzte Bild wird der Kunstperiode um 1400 zugeschrieben. Selbst wenn nicht soviel Momente zugunsten des Hülfensberges ausschlügen, und wenn auch die Wissenschaft ihm alle seine Ansprüche streitig machen sollte, das Volk des Eichsfeldes und im benachbarten Hessen – ob katholisch oder evangelisch— würde nicht einen Deut von seinem ererbten Glauben an die Anwesenheit des Apostels der Deutschen und den Götzensturz auf seinem Gipfel preisgeben. In diesem Jubiläumsjahre zog es zu Tausenden hinauf. Der Hülfensberg bleibt sein Heiligtum.

Von Karl Löffelholz
(Quelle: Hildener Rundschau, 25.10.1924)

Bildunterschriften

  • Anläßlich des großen Jubiläums hielt der bekannte Franziskaner Erasmus Baumeister die Festrede, vor der Grotte Bischof Kaspar von Paderborn.
  • Der Hülfensberg bei Geismar (Eichsfeld).
  • Die Bonifatius=Kapelle auf dem Hülfensberge bei Geismar (Eichsfeld).