Bischofsteiner Erinnerungen: Was man hier vom Kriege merkt (1915)

Kommen wir von den Ferien aus der Großstadt zurück, weiß jeder etwas vom Kriege und dem jetzigen Stadtleben zu erzählen. „Hier merkt inan aber auch gar nichts vom Krieg“, heißt es dann. Aber der alte Bischofsteiner, der das schöne Leben hier zur Friedenszeit kannte, der alle allmählichen Veränderungen, die der Krieg hier hervorgebracht, miterlebt hat, denkt anders darüber.

Ich erinnere mich noch deutlich der ersten Kriegsmonate hier. Nicht wie sonst an einem Tage, sondern nacheinander kamen die Schüler, noch voller Eindrücke der letzten Wochen. „Ist der schon da, oder der?“, so erkundigte man sich nach seinen Kameraden. Und als alle Schüler mittags zum Appell zum ersten Male als „vollzählig“ antraten, merkten wir erst, wie viele Mitschüler der Krieg uns entrissen hatte.

Doch nach einiger Zeit ging alles wieder seinen gewohnten Gang. Das einzige, was man vom Kriege sah, waren die vielen Militärzüge, die auf unserer „Kanonenbahn“ vorbeirollten, und die militärische Bewachung des Bahnkörpers, sowie die Einquartierung im Schlosse. Oft standen wir um den netten Unteroffizier herum und lauschten seinen Erzählungen.

Wunderschön waren die Abende, die wir in der Aula zubrachten, wo jeder, der singen konnte, sein Bestes tat, die Siege durch Vaterlandsgesänge zu feiern.

Später kam noch etwas dazu, was einen jederzeit, allerdings sehr oberflächlich, an den Krieg erinnern musste: die Brotmarken. Da wurde zuerst manches Gesicht länger. Freilich anfangs war es auch ziemlich hart, erinnerte man sich der früheren Zeiten. Aber wer hätte es nicht gerne getan, wenn er an die Gründe und Ursachen dieser Einrichtung dachte. Und jetzt sind wir es schon gewohnt, wir wissen‘s nicht mehr anders.

So verging das erste Kriegsjahr. Und jetzt erst fanden die ersten größeren Veränderungen statt. Das Vaterland brauchte noch Leute, seine Grenzen zu verteidigen. Da wurden noch einige unserer alten Lehrer zu den Fahnen gerufen, und neue Lehrer kamen, von denen einer nach kurzer Lehrtätigkeit auch einrücken musste.

Infolge des Mangels an Mehl und anderen ähnlichen, nötigen Dingen war auch bei uns die Kriegsküche an Stelle der alten getreten. Die schönen Dampfnudeln sind von der Bildfläche verschwunden. Statt des Grieses und Mehls wird jetzt Sago verwendet, und vor allem ist eine neue Brotspeise zu nennen. Und allen schmeckt diese neue Kriegsküche!

Sehr beträchtlich ist jetzt unter den Schülern die Zahl der Zeitungsabonnenten gestiegen. In manchen „Buden“ findet man auch Karten von den Kriegsschauplätzen, meistens auf der Türe. Auch im Speisesaal hängt jetzt eine gute Wochenkarte, auf der man Orte und Marschschilderungen aus Feldpostbriefen aufsucht und verfolgt.

Jetzt hat die Kriegslektüre jede andere verdrängt, und auch an den Tischleseabenden wird sie bevorzugt. Jeder Tisch hat übrigens eine Kasse gegründet, in die kleinere Vergehen, wie etwa ein Fremdwort oder ein Fleck auf dem Tischtuch, bezahlt werden müssen. Aus dieser Kasse werden dann Pakete mit Schokolade, Würsten und anderen guten und nützlichen Dingen ins Feld gesandt, an Soldaten, die niemanden mehr haben, der für sie sorgen kann. Da kommen oft die herzlichsten Dankesbriefe zurück, die uns viel Freude machen.

Manchmal kommt ein alter Bischofsteiner aus dem Felde zu Besuch. Und wir freuen uns immer sehr darüber. Denn man tauscht dann alte Erlebnisse aus, Erlebnisse, bei denen man noch in blauen Spielhosen steckte, nicht wie jetzt im stattlichen Feldgrau. Und die Hauptsache, wir erfahren Neues von draußen.

So war auch Herr Schieferstein, einer unserer Lehrer, so freundlich, uns eines Abends von seinen Erlebnissen im Felde zu erzählen. Wir erlebten bei diesen Schilderungen alles ordentlich mit. Solch ein lebhaftes Erzählen wirkt doch mehr und macht auch mehr Eindruck als die vielen Schilderungen in den Zeitungen.

Zur Zeit der Rübenernte waren im Dorfe und auch bei uns gefangene Franzosen zur Arbeit da. Zuerst neugierig betrachtet, wagten sich die mutigsten heran, um es dann mit ihren Sprachkenntnissen zu versuchen.

O. Niederberger
(Quelle: Bischofsteiner Chronik, Sommer – Herbst – Winter 1915)