Bischofsteiner Erinnerungen: Die Ernte 1916
Der Roggen war schon eingefahren, als wir aus den großen Ferien zurückkamen. Die Gerste war zum Teil gemäht, und so konnte die Arbeit gleich beginnen. Da das Getreide etwas nass geworden war, wurde zuerst gewendet, wobei natürlich etliche Harken ihr Leben lassen mussten, dann gebunden und Hocken aufgestellt. „Vorwärts, arbeiten!“, ertönte es aus irgendeiner Ecke des Feldes. „B. du bist faul, S. du schläfst, A. du tust nichts“, und andere ermunternde Zurufe hörte man.
Der Himmel war grau, und es konnte jeden Augenblick anfangen zu regnen. Wir mussten alle auf das Feld, um so schnell wie möglich die Gerste aufzuladen. Ungebunden wurde sie eingefahren, was zum Dreschen des Getreides und Binden des gedroschenen Strohes etwas hinderlich war. Von dem Tage ab regnete es eine ganze Woche.
Endlich wurde uns das Wetter wieder gnädig. Doch als der Hafer gemäht war, fing es wieder an zu regnen. Wir gaben jedoch die Hoffnung auf gutes Wetter nicht auf, da schon am anderen Tage die Sonne von neuem schien. Eben hatten wir die Garben gebunden, als der Regen noch einmal anfing. Auch dieses Mal hörte er bald auf, und wir konnten mit dem Einfahren anfangen. Eine Fuhre nach der andern gelangte auf den Hof. Wir waren in vier Abteilungen geteilt. Die erste belud den Wagen, die zweite harkte das Feld, die dritte lud den Wagen ab, und die vierte drosch. Wie bei uns in Norddeutschland die Möwen hinter dem Pfluge her sind, um Engerlinge und Regenwürmer aufzupicken, so liefen hier die Frauen und Kinder aus dem Dorfe hinter den Harkern her, um zurückgelassene Ähren aufzusammeln.
Da das Wetterglas plötzlich stark gefallen war und der Himmel sehr bedenklich aussah, wurde alles daran gesetzt, den Weizen trocken herein zu bekommen. Deswegen fiel an diesem Tage der Unterricht ganz aus. Vormittags wurde noch der letzte Rest Hafer eingefahren und gedroschen, und dann ging es an den Weizen. Wir arbeiteten ohne Unterbrechung von 2 Uhr an. Um 4 Uhr wurde Kaffee auf das Feld gebracht, und wir rasteten eine kurze Zeit. Dann wurde weiter geharkt und auf- und abgeladen. Die Zeit verging schnell, und allmählich dämmerte es. Es war schon 7 Uhr. Wir mussten es aber unbedingt schaffen, und so arbeiteten wir mit äußerster Geschwindigkeit weiter. Sexta bis Quarta ging um 7:30 Uhr fort. Endlich um 8:30 Uhr hatten wir das Feld leer. Der letzte Wagen war übervoll, und die Pferde hatten schwer zu tun. Von allen Seiten wurde er gestützt, um ein Umkippen zu verhüten.
Hungrig stürzten wir uns an diesem Abend auf das Essen. Wir nahmen uns nicht einmal die Zeit, die Kartoffeln ordentlich zu pellen.
Alles, was auf dem Tische stand, hatten wir aufgegessen, aber satt waren wir darum noch nicht. So rückte denn Frau Doktor noch einen ganzen Holländer-Käse heraus. Nach dem Essen wurde uns verkündet, dass wir am anderen Tage keine Schule hätten und ausschlafen durften. Da war natürlich die Freude groß.
An den folgenden Tagen wurde in drei Abteilungen zu je zwei Stunden gedroschen. Doch traten hin und wieder Kunstpausen ein. Entweder war der Riemen los oder die Maschine verstopft. Einmal war der Riemen sogar gerissen, wodurch zwei Stunden verloren gingen. So wanderte allmählich ein Sack nach dem andern zum Boden hinauf, bis schließlich das letzte Stroh gebunden war, und die Erntearbeit damit ein Ende hatte.
Chr. Pagels
(Quelle: Bischofsteiner Chronik, Herbst – Winter 1916)