Bischofstein vor 30 Jahren (1952)

Beim Durchblättern der Weihnachtschronik 1952 ergreift einen die Mühe und Plage, die Hedwig und Wilhelm Ripke auf ihre alten Tage auferlegt wurde, und man empfindet dankbar den beschaulichen Ruhestand, der den meisten von uns heute beschieden ist.

Immer seltener fanden Besucher den Weg in das Grenzgebiet. Die Briefe früherer Schüler und Lehrer kündeten davon, dass diese nach und nach im westlichen „Wirtschaftswunderland“ wieder Fuß gefasst hatten.

In Bischofstein aber kreisten alle Gedanken um die Zukunft des Schlosses und die Bewältigung der Feldarbeiten. Nur eine Reise führte Ripkes für wenige Tage nach Berlin zu Besprechungen mit dem Bundesvorstand des FDGB, der im Schloss ein Fortbildungs- und Erholungsheim für Lehrer eingerichtet hatte. Sonst füllte ihre Zeit voll die Plagerei in dem kleinen Gutsbetrieb aus.

Der Kreis der Hilfskräfte war immer kleiner geworden. Die Flüchtlinge, die in den ersten Nachkriegsjahren hier untergekommen waren, hatten anderswo eine neue Heimat gefunden. Vollwertige Arbeitskräfte konnten von den bescheidenen Einkünften nicht bezahlt werden, ihr Einsatz beschränkte sich auf Gespannführer und Viehpfleger. Es war schon ergreifend zu erleben, wie sich Hedwig Ripke – damals 71-jährig – allein oder mit zwei Getreuen daran machte, bei brütender Hitze die Rüben zu verziehen, einsam auf einem Acker, über den einstmals 90 Jungen herfielen. Und die hatten nicht ein so langes Kreuz, krochen auf allen Vieren und ließen schon mal Doppelrüben und Unkräuter stehen.


Frau Ripke schreibt in der Chronik 1952:

„Ich gestehe, dass mir manchmal jämmerlich bange zu Mute war, wenn wir so vor den großen Feldern, den langen Reihen standen, die behackt, gerodet oder sonstwie bearbeitet werden mussten, und ich dachte: das schaffen wir nie. Aber dann das Glücksgefühl, wenn die Arbeit doch bewältigt wurde, wenn das Feld sauber gehackt dalag, die Getreidehocken schnurgerade (Billos Spezialität) aufgestellt waren, und endlich die berühmten „grünen und braunen Häufchen“ das Rübenfeld bedeckten. Eine besondere Freude war es auch, wenn es gelang, ein Fuder Heu oder Getreide trotz des drohenden Regens trocken heimzubringen.“


Wilhelm Ripke beschrieb die durch Wetterlaunen und unter der Peitsche eines für Großbauern erhöhten Ablieferungssolls stehenden Schwierigkeiten dieses Jahres:

„Die Bischofsteiner Landwirtschaft Anno Domini 1952.
Diese Überschrift ist eigentlich etwas zu allgemein gehalten; sie müsste, wenn man sich auf die wichtigsten Ereignisse beschränkt, richtiger lauten: Weihnachtsweizen, Novemberkartoffeln, Schneerunkeln.

Es gilt ja im Allgemeinen als unschicklich, vom Wetter zu reden, aber wenn es sich hierbei nicht um ein Verlegenheitsthema handelt, sondern um Ereignisse, die alle betriebswirtschaftlichen Pläne, jede landwirtschaftliche Tradition und Gepflogenheit über den Haufen werfen, wenn Gemüt und Verstand durch atmosphärische Vorgänge ständig okkupiert und blockiert werden, dann kann man über diese Dinge nicht schweigen, auch wenn Ihr wahrscheinlich Ähnliches erlebt habt.

Nach der langen Dürrezeit des Hochsommers, die bei uns nur einen einzigen Schnitt der Luzerne zuließ und die schlimmsten Befürchtungen wegen des Ausfalls der Hackfruchternte aufkommen ließ, setzte schon während der Getreideernte die Regenzeit ein, die bis in den November anhielt, nur von wenigen niederschlagsfreien Tagen unterbrochen. Aufgrund meiner täglichen Aufzeichnungen hatte der September 5, der Oktober 7 Tage ohne Regen ... Unsere diesjährige Kartoffelernte war am 28. Oktober und die Runkelernte am 15. November (bei Schneegestöber) beendet. Mit einer Schilderung des Verlaufs dieser Erntearbeiten, die sich nicht nur dreimal so lange als sonst hinzogen, sondern auch einen Monat später als in normalen Jahren ihren Abschluss fanden, will ich Euch nicht langweilen. Nur einiges möchte ich herausgreifen: An einem Vormittag haben wir, erfrischt durch fünfmalige Regengüsse, mit insgesamt 10 Arbeitskräften nicht mehr als 15 Zentner Kartoffeln geschafft, also etwa den fünften Teil einer sonst bei uns üblichen Leistung; denn man musste ja nicht nur jede einzelne Kartoffel von dem ihr anhaftenden Dreck reinigen, sondern auch die Finger, auf die er von den Kartoffeln übergegangen war, entweder an den Körben oder, wie ich es meist tat, an den Hosen abstreifen.

 – Einen anderen Vormittag werde ich nicht so bald vergessen: Es wehte nach vorangegangenem Nachtfrost ein eisiger Nordost. Meiner Frau, an deren verzweifeltes Gesicht ich immer denken muss, liefen die Tränen über die Backen, ein Tröpfchen glänzte an der Nase. Ihre Finger waren so erstarrt, dass ich sie alle 10 Minuten reiben musste, um die Verkrampfung zu lösen. Trotz allem hielt sie tapfer den ganzen Vormittag durch.

Trotz all dieser Schwierigkeiten konnte das Liefersoll am Ende erfüllt, bei Milch, Fleisch und Eiern sogar überfüllt werden.

Beim Bericht über mein eigentliches Steckenpferd, den Geflügelhof, muss ich wieder etwas „angeben“: mein Eiersoll betrug rund 2.000 Stück; ich habe 4.500 abgeliefert. Diese Übersolleier werden bis zum 1. August mit 40 Pfennig, danach mit 50 Pfennige je Stück bezahlt. Ich habe also für 2.500 überlieferte Eier mehr eingenommen als für den gesamten Weizen (118 Zentner) und etwa so viel wie für 6 innerhalb des Solls abgegebene Mastschweine.

Beim Rückblick auf 1952 muss ich sagen: Das ablaufende Jahr hat uns durch den abnormen Witterungsverlauf manche Enttäuschungen, manch sorgenvolle Tage und Nächte, viele schwere, harte, entsagungsvolle Arbeit gebracht; dass wir sie zusammen mit unseren Arbeitskameraden trotz allem bewältigt haben, das erfüllt uns mit Freude und Dankbarkeit.“


(Quelle: Bischofsteiner Rundschreiben, Weihnachten 1982, S. 12 - 13)