Biologisch-experimentelle Forschungen an Schmetterlingen (1958)



Aus der Vogelkunde, der Ornithologie, wissen wir, dass es guten Vogelzüchtern des Öfteren gelungen ist, durch eine fruchtbare Kreuzung zweier verschiedener Vogelarten „Artbastarde“ zu ziehen. Aus der freien Wildbahn jedoch sind nur wenige – teils mutmaßliche, teils zweifellose – Artbastarde bekannt geworden.

Ähnlich verhält es sich in der Insektenkunde, der Entomologie. Nur ist in der Öffentlichkeit weniger bekannt, dass man auch Schmetterlinge, bei diesen sogar die höhere Ordnung – die „Gattung“ – fruchtbar kreuzen kann.

Es gehört – genau wie bei den Vogelkundigen – sehr viel Erfahrung, Liebe und besonders große Geduld dazu, solche interessanten biologischen Experimente erfolgreich und nutzbringend für die Wissenschaft durchzuführen.

So geben z. B. solche Experimente dem tiefer schürfenden Forscher besser begreifliche Erkenntnisse der Entwicklungs- und Stammgeschichte (Phylogenese) der Schmetterlinge überhaupt – auch sind sie einer der wenigen Prüfsteine der Richtigkeit ihrer Systematik.

Besonders aber zeigen uns diese und andere Experimente wie Temperatur, abnorme Fütterungen und Zuchtversuche die Richtigkeit der Deszendenztheorie, das heißt die Wahrnehmbarkeit solcher Umbildungen, Abspaltungen und Abwandlungen der Schmetterlinge noch jetzt in der erdgeschichtlichen Gegenwart.

Unter Hybridation verstehen wir die fruchtbare Kreuzung von Individuen verschiedener Abstammung. Gehören die beiden Elterntiere verschiedenen Arten oder Gattungen an, spricht man im engeren Sinne von Hybridation, gehören sie aber nur verschiedenen Formen derselben Art an, wird hierfür in der Wissenschaft der Ausdruck Mongrelisation gebraucht.

Zwischen diesen Kreuzungen bestehen. weitgehende Unterschiede bezüglich des Aussehens und der Fortpflanzungsfähigkeit ihrer Nachkommen. Die Tatsache nämlich, dass sich die Gattungs- und Arthybriden untereinander nicht mehr weiter fortpflanzen können, beweist uns, dass durch solche Kreuzungen keine neue Art entstehen kann, auch dann nicht, wenn solche Kreuzungen zufällig in der freien Natur erfolgt wären. Bei den wenigen Weibchen unter diesen Hybriden sind die Geschlechtsdrüsen zurückgebildet; auch die männlichen Hybriden sind nur bedingt fruchtbar und können nur mit Weibchen eines ihrer Elterntiere zurückgekreuzt werden. Hierbei schlagen jedoch die Nachkommen wieder in ihre Ausgangsarten zurück.

Vielleicht ist die Annahme berechtigt, dass die Nachkommen aus Mongrelisation, die sich schon immer innerhalb ihrer Art fruchtbar kreuzten, im Laufe der jetzigen und eventuell noch kommenden Erdzeit-Perioden Anwärter für die Neubildung von Arten sind. Hierbei denke ich besonders an die „Mutanten“ – Lokalrassen und Saisonformen innerhalb der eigenen Art. Die Abwandlung zu einer neuen Art geht nicht nur von einer Einzelursache, wie die des Genetischen (Geschlechtlichen) aus, sondern hierzu. sind besondere Ursachen, äußere Einflüsse und auch große Zeiträume nötig.

Nun zurück zu den Hybriden. Es bleibt das große Verdienst Professor Standfuß (Universität Jena, später Zürich), auch in der Experimentalbiologie mit Schmetterlingen bahnbrechend gewirkt zu haben. Er stellte fest:

Gehören beide Elterntiere genuinen, d.h. ursprünglichen, der Natur entnommenen Arten, an, so stellt das Hybridationsprodukt eine etwas schwankende Zwischenform der Elterntiere dar, die jedoch mehr das Gepräge jenes Elterntieres zeigt, welches der stammesgeschichtlich (phylogenetisch) älteren Art angehört.

Später hat sich Dr. Denso (Universität Genf) sehr erfolgreich mit der Hybridation, besonders mit den Gattungen Deilephila (Wolfsmilchschwärmer) und Pergesa (Weinschwärmer) befasst. Bei diesen Versuchen hat sich auch die Tatsache ergeben, dass Individuen, welche weit voneinander entfernten Gattungen angehören, sich fruchtbar kreuzen, was mit Rücksicht darauf, dass nur die Hybridation den wahren Prüfstein für den Grad der Blutsverwandtschaft darstellt, zu der Annahme berechtigt, dass hier die Systematik zu weit gegangen ist.

Auch mir gelang es in den Jahren 1930 – 1935, die beiden in den Bildern dargestellten Hybridationen, erfolgreich durchzuführen. Auf Bildtafel I sehen wir an dem Hybriden harmuthi (Kreuzungsprodukt zwischen Deilephila – Wolfsmilchschwärmer und Pergesa – Weinschwärmer) deutlich das vorherrschende Gepräge der stammesgeschichtlich älteren Gattung Pergesa.

Zur Art-Hybridation S. ocellata x S populi stellte Professor Standfuß Folgendes fest: Besonders auffallend tritt der größere männliche Einfluss in einer Kreuzung zwischen einem Pappelschwärmerweibchen, der stammesgeschichtlich älteren Art, und einem Männchen des Abendpfauenauges, der stammesgeschichtlich jüngeren Art, zutage. Am Hybridationsprodukt überwiegt jederzeit der Pappelschwärmercharakter als der der stammesgeschichtlich älteren Art.

Betrachten wir auf Bildtafel II das Kreuzungsprodukt, den Hybriden hybridus, so fällt das Überwiegen des männlichen Zeichnungselementes auf. Aber viel wichtiger als die Zeichnungselemente ist eine Gestaltsveränderung, die an den Hybriden in Erscheinung trat. Die seinerzeit von mir gezogenen 36 Stück Harmuthi-Hybriden hatten alle, wie auf Tafel II deutlich sichtbar ist, den körperlichen Zustand der Mutter geerbt: Die am Außenrand gezackten Flügel der Pappelschwärmer-Art.


Lambert Rummel, Lengenfeld u. Stein
(Quelle: „Mühlhäuser Warte“, Ausgabe 1958/04, S. 40-42)


Anmerkungen des Verfassers:

  • Überlegungen Prof. Standfuß und Dr. Denso aus: Berges Schmetterlingswerk, Stuttgart, Seite A. 78.
  • Überlegungen über Entstehung neuer Arten vom Verfasser.
  • Bildobjekte ¼ verkleinert aus der Sammlung des Verfassers.
  • Bilder: Foto-Hardegen, Lengenfeld u. St.


Anmerkung der Redaktion:
Wir möchten nicht unterlassen, unseren Lesern bekanntzugeben, dass der Verfasser vorstehenden Artikels 81 Jahre alt ist.