Bewegte Reformationsgeschichte des Eichsfelds (2024) (mit Erwähnung der Heilandskapelle in Lengenfeld unterm Stein)
Bewegte Reformationsgeschichte des Eichsfelds
In der Frühzeit ist die Region ein Nährboden für die Lehren von Martin Luther
Das heute mehrheitlich katholisch geprägte Eichsfeld hatte schon früh Kontakte zur reformatorischen Bewegung. Bereits 1521 war mit Heinrich Pfeiffer ein nachweislich lutherisch predigender Kleriker in den Mauern und im Umfeld der Burg Scharfenstein, verweist der Historiker Thomas T. Müller in einem Aufsatz über die Hansteiner.
Mehrere Adelsgeschlechter und damit auch deren Untertanen nahmen den neuen Glauben an. Bis heute streiten sich Historiker darüber, welches Geschlecht zuerst evangelisch wurde, so Müller. „Allgemein geht die Forschung bislang davon aus, dass die von dem Hagen als erste einen protestantisch gesinnten Prediger einstellten“, hält der katholische Theologe Arno Wand 1998 in seinem Werk über Reform und Gegenreformation im kurmainzischen Eichsfeld fest. Schon vor 1525 soll im Wasserschloss Deuna ein Thomas Hofen lutherisch gepredigt haben.
Der Eichsfelder Adel treibt die Reformation voran
Christoph von Hagen, so heißt es bei Müller weiter, könnte Luther während seines Studiums in Erfurt kennengelernt haben. Später habe er durch eine überaus großzügige Spende dafür gesorgt, dass Luthers Bibeln gedruckt wurden. Dafür soll der Reformator Hagen ein Exemplar gewidmet haben. Es gilt seit 1850 als verschollen.
Bis heute ist nicht geklärt, ob Luther bei einem seiner Besuche der frühen Reformationsstadt Nordhausen auch in Deuna im Eichsfeld weilte. Lange Zeit war in dem dortigen Schloss eine Lutherstube nach dem nicht gesicherten Ereignis benannt. Fest steht, dass große Teile des Eichsfeldes ziemlich schnell Luthers Lehre folgten. Um das Jahr 1575 soll es nur noch sechs katholische Pfarrer gegeben haben. Und 23 Adelsfamilien und ihre Territorien sollen evangelisch geworden sein. Seit 1515 war kein Bischof mehr in diesem Teil des Erzbistums gewesen. Doch den Kurmainzern gelang es, das Rad auch dank der Jesuiten zurückzudrehen.
Bis heute blieben von der Reformierung Adeliger Spuren in den Gemeinden um die Burgen Hanstein und Bodenstein zurück. So sind beispielsweise Bornhagen und Lindewerra sowie Kirchohmfeld und Wintzingerode noch immer evangelisch geprägt. Als Kurator der Ausstellung „Gegen-Reformation“ erklärte der Kirchenhistoriker Torsten Müller 2017 gegenüber dem Deutschlandfunk, dass die Niederadelsgeschlechter des Eichsfeldes den neuen Glauben mit großer Freude angenommen hätten. „Sie haben darin einen Punkt gesehen, wo sie sich zusätzlich noch emanzipieren können vom Mainzer Kurfürsten, von ihrem Landesherrn. Die evangelischen Geistlichen waren vor allem gute Prediger.“
Mit immerhin 39 lutherischen Kirchen verfügen die Kirchenkreise Mühlhausen und Südharz über ein relativ dichtes Netz im Eichsfeld. Zahlreiche davon kamen im 19. und 20. Jahrhundert hinzu. Am 1. Januar 1804 wurde der erste evangelische Gottesdienst in „St. Martin“ in Heiligenstadt unter großer Beteiligung der Bevölkerung gefeiert, wie Horst Sievers als langjähriger Vorsitzender des Gemeindekirchenrates erinnert. Die Katholiken
zeigten sich vielfach sehr offen, den evangelischen Gläubigen nicht nur Räume für ihre Gottesdienste zur Verfügung zu stellen, sondern auch beim Bau eigener Kirchen zu unterstützen.
Ein Gotteshaus für evangelische Beamte auf der Höhe
Weil sich mit dem Bahnanschluss von Küllstedt im Jahr 1880 auch evangelische Beamte und Unternehmer in dem Ort auf der Eichsfelder Höhe angesiedelt hatten, baute man dort 1908 eine eigene Kirche. Der Kaufmann Carl Müller bat um die Baugenehmigung für eine evangelische Kapelle in Küllstedt als Filialkirche des Pfarramtes Dingelstädt. Als Fürsprecher für die etwa 80 bis 90 Angehörigen evangelischer Konfession in den umliegenden Orten konnte Carl Müller das ehrgeizige Projekt Wirklichkeit werden lassen. Er hatte bereits im Jahr 1903 das Baugrundstück dafür erworben.
Auch in Lengenfeld unterm Stein sorgte die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts für Bevölkerungswachs aus anderen Regionen. So siedelten sich dort mit der 1893 entstandenen Zigarrenfabrik auch 20 evangelische Christen an. Nachdem Wilhelm und Hedwig Ripke als damalige Besitzer von Schloss Bischofstein ein Baugrundstück erworben hatten, wurde am 18. Oktober 1925 der Grundstein für ein eigenes Kirchlein am Ortsrand gelegt. Nur ein Jahr später wurde die Heilandskapelle feierlich eingeweiht. Sie hat in Form des Altars und der Kanzel, die vermutlich aus der Kapelle des Hanstein’schen Gutes Oberstein stammen, sogar spätbarocken Schmuck.
Reiner Schmalzl
(Quelle: „Thüringer Allgemeine“, Ausgabe vom 30.10.2024)