Beginn und Durchführung des Lengenfelder Kirchenneubaues von 1882 – 1884: Ein Auszug aus der Kirchchronik von Walther Fuchs (1984)

Endlich war es nun so weit! Ein langgehegter Wunsch aller Lengenfelder Einwohner ging in Erfüllung. Nach langwierigen Verhandlungen, die unsere Pfarrer Johann Michael Huschenbeth von 1852 bis 1858, Heinrich Adam Spieß von 1858 bis 1878 und Nicolaus Großheim von 1878 bis 1882 und auch der jeweilige Kirchenvorstand mit dem Kommissariat in Heiligenstadt und der Königlichen Regierung in Erfurt in 32 langen Jahren führten, wurden am 6. März 1882 mit dem Kirchenneubau begonnen.

An diesem Tage fand in der alten Kirche der Schlussgottesdienst in Beisein des Dechanten Franz Gerhardy von Struth und des Pfarrers Joseph Strecker von Hildebrandshausen statt. Der Andrang der Lengenfelder Bevölkerung war so groß, so dass ein großer Teil der Kirchenbesucher auf dem Vorplatz dem Gottesdienst beiwohnen musste. In seiner Predigt dankte unser damaliger Pfarrer Großheim all denen, die in selbstloser Weise ihre Arbeit in den Dienst der Kirche gestellt und auf diesen von allen so sehr erwarteten Tag haben. Beim letzten Segen in dieser alten Kirche bat er die Mutter Gottes, die Namenspatronin unserer Kirche, dass sie ihre Hände segnend über das nun begonnene Werk zum Wohle der ganzen Gemeinde ausbreiten möge.

Als nun nach dem Gottesdienst das Allerheiligste in einer Prozession unter einer sehr großen Beteiligung der Bevölkerung in die Notkirche in der Backgasse überführt wurde, läuteten zum letzten Male die drei Glocken, von denen die „große“ und die „mittlere“ Glocke fast dreihundert Jahre die Einwohner zum Gottesdienst in dieser Kirche gerufen hatten.

Die Abbrucharbeiten, die nun gleich am 7. März 1882 begonnen worden sind, waren bereits anfangs April beendet.           

Da der Platz um die alte Kirche jeher bis zum 13. September 1857 als Friedhof genutzt worden ist, tauchte vor Beginn der Ausschachtungsarbeiten das Problem auf, was mit den dort liegenden Überresten der Toten geschehen sollte. Man einigte sich mit der Regierung wie folgt:

„Seit der ersten Zeit des Christentums ist es Sitte gewesen, die Kirchen über Grabstätten zu erbauen, und in den Domkirchen werden noch jetzt die kirchlichen Würdenträger unter dem Fußboden beigesetzt. Es kann also unmöglich gegen die Pietät sein, wenn wir die Gebeine der schon vor fünfundzwanzig Jahren beerdigten Toten unter der neuen Kirche ruhen lassen. Die Gebeine aber, die beim Ausheben der Fundamentgruben gefunden werden, sollen gesammelt und in geweihter Erde auf dem neuen Friedhof in der Goldgasse wieder bestattet werden.“

Als unter Anleitung des Mauermeisters Joachim Friedrich mit den Ausschachtungsarbeiten zu den Fundamenten anfangs April begonnen wurde, trafen schon die ersten Sondergüterzüge mit Quadern aus Heiligenstädter Sandstein in Lengenfeld ein.

Die Eisenbahndirektion erlaubte in großzügiger Weise, dass zum Ausladen dieser Baumaterialien südlich hinter dem Bauplatz der Kirche eine Haltestelle eingerichtet wurde. Für die unteren Fundamente wurde der harte Struther Kalkstein verwendet, der von dort mit Pferdegespannen (7 km) gefahren wurde.

Obwohl nach dem für den Kirchenbau ausgearbeiteten Projekt und Kostenanschlag der alte Turm der Kirche erhalten und später durch einen Aufbau dem Stil der neuen Kirche entsprechend ausgebaut werden sollte, ergab sich beim Ausheben der Fundamentgruben für die an die an den Turm anstoßenden Mauern, dass der Turm ungenügend fundamentiert war. Daher stand am 21. April 1882 nochmals die Frage, den Turm ebenfalls abzutragen und im Verband mit dem neuen Mauerwerk neu aufzubauen, oder wenigstens die Fundamente desselben zu unterfangen und zu verstärken.

Am 23. April 1882 fasste man den Beschluss, das Fundament zu vertiefen, zu unterfangen und zu verstärken, um durch diese Maßnahme den alten Turm beizubehalten.

Da am 1. Mai 1882 die Fundamente gesetzt waren, bat der Kirchenvorstand das Bischöfliche Kommissariat zu Heiligenstadt in einer Eingabe, den baldigen Termin für die Weihe des Grundsteins festzulegen. Daraufhin wurde vom Kommissariat der 24. Mai 1882, am Fest „Maria Hülf“, als Weihetag festgesetzt.

An diesem Weihetag war der Bauplatz mit Tannen aus dem Heiligenholz und Girlanden festlich geschmückt und ein transportabler Altar aufgestellt worden.

Gegen 8:30 Uhr dieses Festtages traf der Kommissarius Dr. Konrad Zehrt aus Heiligenstadt bei der Notkirche ein, wo sich der größte Teil der Lengenfelder Einwohner mit ihrem Pfarrer Nikolaus Großheim, allen Bauleuten und zahlreichen Gästen bereits versammelt hatte, um von dort aus in gemeinsamer Prozession zum Bauplatz zu gehen. Dort hielt der Kommissarius Zehrt eine Predigt und weihte anschließend den Grundstein, in den dann die Weiheurkunde und ein Grundriss der Kirche eingemauert wurde. Anschließend wurde ein feierliches Levitenamt vom Kommissarius gehalten. Diese erhabene Feier schloss mit dem „Te Deum“.

Nachstehende Urkunde wurde in den Grundstein der neuen Kirche zu Lengenfeld unterm Stein am 24. Mai gelegt:

Dem Leser Heil im Herrn!

Im Jahre unseres Herrn Jesus Christus 1882, am 24. Mai, am Marienfest „Maria Hülfe“ der Christen;

es leitete die Hl. Kirche unser glorreich regierender Hl. Vater Papst Leo XIII., es regierte Seine Majestät, der erhabene und mächtige Kaiser in Deutschland und König von Preußen, Wilhelm I., der Paderborner Bischofsstuhl war durch den Tod des Hochwürdigsten Bischofs Konrad Martin verwaist und wurde durch den Hochwürdigsten Kapitelsvikar und Domherrn Franz Kaspar Drobe versehen, der Hochwürdige Pfarrer Nikolaus Großheim verwaltete die Pfarrei Lengenfeld mit der zugehörigen Filiale Faulungen, das Landratsamt des Kreises Heiligenstadt verwaltete der Freiherr von Hanstein; der Hochwürdigste Herr und Dr. der Theologie Konrad Zehrt und Bischöflicher Kommissarius, segnete den Grundstein für die Pfarrkirche in Lengenfeld und setzte ihn nach den kirchlichen Vorschriften.

Damals leitete die Politische Gemeinde Lengenfeld der Schulze Nikolaus Hahn mit den Schöffen Ernst Hildebrand und Peter Lorenz.

Die Kirchenkasse verwalteten Johannes Dunkelberg, Wilhelm Höppner, Anton Grundmann, Ernst Hildebrand, Peter Hahn und Franz Schade.

Die kirchliche Gemeindevertretung waren: Nikolaus Hahn, Peter Lorenz, Nikolaus Schade, Heinrich Dunkelberg, Karl Hildebrand, Nikolaus Ochsenfahrt, Joseph Lorenz, Johannes Steinwachs, Anton Hahn, Martin Mähler, Edmund Hahn, Karl Lorenz, Joseph Fick, Johannes Wehenkel, Wilhelm Schwarzmann, Christoph Hahn.

Küster und 1. Lehrer war Christian Wehenkel, 2. Lehrer Christoph Kalbhenn, 3. Lehrer Karl Lorenz.

Der Kirchenbau wird errichtet unter Leitung des Königlichen Bauinspektors Baedeker und seines Mitarbeiters, des Bauführers Braun, von Mauermeister Joachim Friedrich und Zimmermeister Johannes Weinrich.

Die Baukosten betragen 75 000,00 Mark, nach Abzug von 15 000,00 Mark, die die Kirchenkasse gibt, bezahlt 1 Drittel die Gemeinde und 2 Drittel der Fiskus.


Lengenfeld, den 24. Mai 1882
Siegel des Bischöflichen Kommissariates in Heiligenstadt


Dr. Conrad Zehrt,
Bischöflicher Geistlicher Kommissarius               

von Hanstein, Königlicher Landrat


Zeugen:

  • Aloys Hildebrand, Pfarrer von Bleicherode, geboren in Lengenfeld
  • Nikolaus Großheim, Pfarrer in Lengenfeld
  • Joseph Strecker, Pfarrer in Hildebrandshausen
  • Theodor Sander, Pfarrer in Treffurt
  • Georg Franz Lotze, Dechant Dekanat Wiesenfeld
  • G. Baedecker, Königlicher Bauinspektor
  • K. Jacobi, Pfarrer in Diedorf
  • L. A. Braun, Königlicher Bauführer
  • Franz Gerhardy, Dechant Dekanat Lengenfeld, Pfarrer in Struth
  • J. Friedrich, Maurermeister
  • Joseph Mähler, Priester
  • Schollmeyer, Kaplan
  • Heinrich Großheim, Priester der Diözese Augsburg, z. Zt. zur Erholung in der Heimat
  • Johannes Weinrich, Zimmermeister


Nach der Grundsteinlegung ging der Kirchenbau rüstig voran, so dass anfangs August 1883 das Einziehen der Gewölbedecke beendet war und Mitte des gleichen Monats das Kirchendach gerichtet werden konnte.

Aus diesem Anlass wurde zur Freude aller Bauleute in der Gemeindeschenke ein zünftiges Richtfest gefeiert, bei dem für Essen und Getränke 65 Mark ausgegeben worden sind.

Als nun Ende des Jahres 1883 das Dach der Kirche fertiggestellt war, wurde allen klar, besonders aber dem Bauinspektor Beisner, dass der alte Turm mit seinem obersten auch schon baufälligen Fachwerkstock neben dem Mauerwerk der neuen gotischen Kirche einen sehr hässlichen Anblick bot.

So stellte die Kirchengemeinde am 15. Januar 1884 an das Kommissariat in Heiligenstadt den Antrag, das obere Fachwerk des Turmes abzureißen, den massiven Teil auszubessern, um 7 Meter massiv höher zu bauen und einen 8 Meter hohen achteckigen Helm aufzusetzen. Von diesen zusätzlich entstehenden Kosten sollten die Regierung als Patron 2/3 und die Gemeinde 1/3 übernehmen.

Daraufhin verlangte das Kommissariat am 29. Januar 1884 eine Nachforschung darüber abzustellen, welche Kosten aus der Kirchenkasse für den Aufbau des alten Kirchturms bzw. für dessen Reparatur von der Kirchenkasse bisher aufgebracht worden sind.

Den Beweis, dass die Kosten für den Aufbau des alten Kirchturms und alle daran notwendigen Reparaturen von der Kirchengemeinde selbst gezahlt worden sind, erbrachte der Pfarrer Großheim mit dem Schreiben vom 11. Februar 1884 an das Kommissariat in Heiligenstadt, das ich nachstehend hier anführe:

Lengenfeld, den 11. Februar 1884


Gemäß der Aufforderung des Hochwürdigen Bischöflichen Kommissariats zu Heiligenstadt vom 29. Januar, Nachsuche darüber anzustellen, ob und welche Kosten aus der hiesigen Kirchenkasse für Kirchturm Bauten und Reparaturen bestritten sind, habe ich im Auftrage des Kirchenvorstandes das hiesige Pfarrarchiv durchsucht und Folgendes zu berichten:

Die Thürme sind seit 300 Jahren stets von der Kirchenkasse in Bau und Besserung erhalten. Abgesehen von kleineren Ausgaben, daraus eine sich schon in der Rechnung von 1580 findet, sind größere Summen für folgende Reparaturen resp. Neubauten zu verzeichnen:
 

  • 1611 sind die Ausgaben für das Decken und Verschalen des Thurmes speziell angegeben;
  • 1654 geschahen verschiedene Reparaturen am Thurm;
  • 1661 ist die Erbauung eines neuen Thurmes – jedenfalls des jetzigen – aus der Kirchenkasse bestritten worden;
  • 1672 wurde eine Ausbesserung vorgenommen;
  • 1793 sind 30 Thaler für Thurmreparaturen an einen Schieferdecker gezahlt;
  • 1804 ist der kleine Kirchturm abgebrochen und der große einer bedeutenden Reparatur unterworfen.
     

Dieses ist jedenfalls die letzte größere Reparatur am Kirchthurm gewesen, denn seit jener Zeit findet sich nichts weiter, als dass 1859 für eine neue Thür an den Thurm 3 Thaler und 12 Groschen und 6 Pfennige ausgegeben sind.

Auch der gegenwärtige Zustand des Holzstockwerkes und des Daches, welcher so schlecht ist, dass, wenn der Thurm nicht ausgebaut wird, für ganz nothwendige Reparaturen über 1 000 Mark ausgegeben werden müssen, gibt ganz deutlich dafür Zeugnis, dass seit sehr geraumer Zeit für die Ausbesserung nichts geschehen ist.

Der allgemeine Satz des Eichsfelder Provinzialrechtes, dass die Kirchthürme von der Zivil Gemeinde erbaut resp. unterhalten werden müssen, findet demnach was den Thurm betrifft in hiesiger Gemeinde keine Anwendung, da ein entgegengesetztes herkommen nachweisbar ist.

Dasselbe lässt sich auch von der Anschaffung der Glocken und der Thurmuhr nachweisen. (Die großen Glocken sind 1597 und 1599 und die Uhr 1804 von der Kirchenkasse angeschafft worden).

An das Hochw. Bisch. Commissariat richte ich nun die gehorsame Bitte, auf Grund vorstehenden Beweismaterials die Königliche Regierung zur Leistung des 2/3 Kostenantheils bewegen zu wollen. Die beiden wichtigsten Aktenstücke - die Kirchenrechnungen von 1661 und 1804 sende ich gleich mit ein, damit kein Zeitverlust entsteht und der Ausbau des Thurmes im Frühjahr noch begonnen werden kann.“

Daraufhin ersuchte am 21. Februar das Kommissariat die Regierung in Erfurt als Patronats-Fiskus auf Grund der sogenannten „conventis de alternative mensium“ 2/3 der entstehenden Kirchenturmbaukosten in Lengenfeld zu übernehmen. Die Gemeinde selbst soll für das bleibende Drittel nebst Hand- und Spanndiensten eintreten.

Die in dem Antwortschreiben vom 9. März 1884 von der Regierung in Erfurt zur Einsichtnahme geforderten Kirchenrechnungen von 1611, 1654, 1661, 1663/1664, 1672, 1793, 1803/1804 und 1859 wurden am 19. März 1884 nach dort über das Kommissariat in Heiligenstadt vom Kirchenvorstand eingereicht.

Endlich am 21. April 1884 erklärte sich die Regierung, Abt. für Kirchen- und Schulwesen in Erfurt bereit, die zur Herstellung des Kirchturmes zu Lengenfeld erforderlichen Kosten mit 2/3 auf das Patronats- Bau- Fonds zu übernehmen, während das weitere 1/3 der baren Kosten sowie der Kosten der Hand- und Spanndienste von der Gemeinde zu leisten sind. Dieser Beschluss wurde am 29. April 1884 durch ein Schreiben vom Kommissariat als rechtskräftig erklärt.

Sofort wurde mit den Abbrucharbeiten begonnen, der Helm des Turmes und das schlechte Holzstockwerk abgerissen; der massive Teil des Turmes blieb stehen.

Nachdem als Baumaterial der harte Kalkstein von Struth mit Pferdegespannen herangefahren war, wurde mit dem Aufbau des Turmes am 24. Juni 1884 begonnen. Bereits schon am 11. September 1884 konnte der Turmknopf aufgesetzt und darin nachstehende Urkunde eingeschlossen werden:

Ad perpetuam rei memoriam! (lat., „zum immerwährenden Gedächtnis“, „zum ewigen Angedenken“ frei übersetzt: „Zur Nachricht für unsere Nachkommen!“)
 

1. Geschichte des Kirchenbaues

Die alte einschiffige Pfarrkirche mit Tonnengewölbe, welche wahrscheinlich im Anfange des 16. Jahrhunderts erbaut und mehrmals vergrößert und repariert war - verschiedene Stellen der Mauern trugen die Jahreszahlen: 1517, 1609, 1661 und 1719; anno 1611 wurde sie vom Suffraganbischof Cornelius von Erfurt konsekriert laut Kirchenrechnung- genügte für die Zahl der Kirchenbesucher schon längst nicht mehr (3090 qu Fuß incl. der unteren und oberen Empore) und war sehr baufällig geworden.

Nachdem in früheren Jahren – seit 1852 – verschiedene Bauprojekte aufgestellt aber nicht zur Ausführung gekommen waren, wurde der im Jahre 1868 entworfene Plan des leider vor kurzem verstorbenen Baumeisters Hartmann zu Worbis vom Kirchenvorstande akzeptiert und vom Bischöflichen Commissariate zu Heiligenstadt, sowie von der Königlichen Preußischen Regierung als Patron genehmigt. Verschiedene Umstände, insbesondere der Bau der Berlin - Koblenzer - Eisenbahn, welche die hiesige Flur in einem großen Bogen durchschneidet und auf einem 26 Meter hohen Viadukte über die Mitte des Dorfes geht, - angefangen im Frühjahr 1875, eröffnet Pfingsten 1880 - bewirkten indes die Verschiebung des Baues bis zum Jahre 1882. Am 6. März 1882 fand der Schlußgottesdienst in der alten Kirche statt in Gegenwart des Dechant Gerhardy von Struth und des Pfarrers Strecker von Hildebrandshausen, wonach sofort mit dem Abbruch begonnen wurde. Vom 19. März an wurde der Gottesdienst in einer provisorischen Kirche, welche in der Backgasse vor dem alten Brauhause aus Brettern ausgeführt war, abgehalten. Der Grundstein der neuen Kirche wurde eingesegnet am 24. Mai 1882 - derselbe liegt neben der Seitentür nach Osten - durch den Bischöflichen Commissarius Dr. Conrad Zehrt von Heiligenstadt in Gegenwart des Königlichen Landrats Freiherrn von Hanstein, des Königlichen Bauinspectors Bädeker, der Geistlichkeit des Lengenfelder Landkapitels und der Umgegend, sowie einer großen, von allen Seiten herbeigeströmten Volksmenge. Das Dorf war auf das Festlichste geschmückt. Das Dach wurde im August 1883 errichtet, wobei den Arbeitern von Seiten der Gemeinde ein Richtschmaus gegeben wurde. Voraussichtlich wird der Bau bis September 1884 fertiggestellt sein.

Die Ausführung des Baues haben geleitet die Königlichen Bauinspektoren zu Heiligenstadt: 1.) Baedeker, welcher leider im Sommer 1882 starb und 2.) Beisner, welcher bei großer Sachkenntnis unermüdlich tätig war, um den Bau schön und stilgerecht zu gestalten.

Die Bauunternehmer waren: Mauermeister Joachim Friedrich und Zimmermeister Weinrich aus Heiligenstadt, von welchen ersterer stets klagte, dass er fürchterlich einbüßen müsse, letzterer aber stets zufrieden war.

Baumaterial: Heiligenstädter Sandstein (Extrazüge).
Der Bautechniker Rosenhagen und der Polier Louis Maas haben die Hauptarbeit des Baues geleitet.
 

Der Bau ohne Altaraufsatz, Kanzel, Beichtstühle, Taufstein, Kommunionbank und Orgel war für 64.769,66 Mark übernommen. Die Orgel mit 26 klingenden Registern wird vom Orgelbauer Robert Knauf zu Bleicherode für ca. 7.500 Mark geliefert. Den Oberbau des Hochaltars fertigt der Bildhauer Ständer zu Heiligenstadt, - die Kanzel (500 Mark), die 2 Beichtstühle, die Kommunionbank, die gotischen Rahmen zu den 1 Meter hohen Stationsbildern (Ölgemälde vom Maler H. Meier in Cloppenburg, die 775 Mark kosten) der Tischlermeister Franz Schade nebst Söhnen Johannes und Peter von hier. Die Dekoration der Kirche wurde vom Maler Weissenhagen in Ershausen ausgeführt. Die Fenster im Schiff aus Cathedralglas mit farbigen Friesen, die 2 Rundfenster über den Nebenaltären und die 3 Chorfenster mit den fünf freudenreichen Geheimnissen des Rosenkranzes sind von den Hofglasmalern Hertel und Lersch zu Düsseldorf geliefert worden. Ein Chorfenster kostet 420 Mark, ein Rundfenster kostet 260 Mark.

Der alte Turm, welcher wahrscheinlich anno 1661 gebaut worden ist, blieb stehen, weil die Gemeinde nicht imstande war, aus eigenen Mitteln einen neuen zu bauen.

Als nach Vollendung des Daches der Kirche die Hässlichkeit des alten Turmes so recht hervortrat, wurde beschlossen, den unteren Teil desselben auszubessern, das Mauerwerk um 7 Meter zu erhöhen und einen 8 Meter hohen achteckigen Helm darauf zu setzen.

Da es aus den alten Kirchenrechnungen von 1580 an nachweisbar war, dass der alte Turm von der Kirchenkasse erbaut und in Reparatur erhalten war, willigte die Königliche Regierung ein, dass der Staatsfiskus zum Ausbau des Turmes ebenso 2/3 zahlen solle wie zum Kirchenbau.

Die Arbeit wurde am 24. Juni 1884 begonnen und am heutigen Tage, dem 11. September 1884 der Knopf aufgesetzt.

Zum Turmbau wurden 250 Zentner Holz und 5 Zentner Eisen verbraucht. Das Steinmaterial ist Mehlstein aus Struth.
 

2. Statistisches:

Das Dorf Lengenfeld u./Stein hat 1 642 ortsangesessene Einwohner, von denen jedoch zu mancher zeit nur die Hälfte ortsanwesend ist. Der größte Teil der Einwohner geht alljährlich in die Fremde, um hauptsächlich durch Hausierhandel mit wollenen Waren, durch Arbeiten auf großen Gütern oder Zuckerfabriken den Lebensunterhalt zu erwerben.

Der Wollkämmerei und dem Raschmachen, welche Arbeiten früher die meisten Einwohner beschäftigten und ernährten, sind nur noch wenige älteren Männer ergeben. Dieses Auswandern hat sehr demoralisierend auf die Einwohnerschaft gewirkt.

Der kleinste Teil der Einwohnerschaft ernährt sich vom Handwerk und der Landwirtschaft, welche incl. des Gutes Bischofstein ca. 3.000 preußische Morgen bewirtschaftet. Die Landwirtschaft wird noch im Ganzen nach der verbesserten Dreifelderwirtschaft betrieben: 1) Winterfrucht, 2) Sommerfrucht, 3) Brache mit Hackfrucht, Rotklee, Grünfutter etc. Esparsette und Luzerne gedeihen sehr gut. In den letzten Jahren hat man mit dem Zuckerrübenanbau begonnen. Die beste Zeit für diese Kultur scheint indes vorüber zu sein.
 

Lengenfeld hat drei Lehrer, welche in ebensoviel Schulsälen 285 Kinder unterrichten:

1) Christian Wehenkel, gebürtig von hier, 2) Philipp Tischbein aus Birkungen, 3) August Diete aus Wiesenfeld. Der erste Lehrer ist zugleich Küster und Organist. Seine Wohnung unterhalb der Kirche ist Lehrer- und Küsterwohnung.

Das Pfarrhaus ist 1619 von der Kirchengemeinde gebaut und 1807 erweitert worden; es bietet jedoch viel zu wenig Raum für die Bedürfnisse der Jetztzeit.

Der Pfarrer Nikolaus Großheim aus Steinheuterode ist seit dem 4. April 1864 im hiesigen Ort, erst als Kaplan, dann bis zum 27. Januar 1882 als Pfarrverweser und seit dem 27. Januar 1882 als Pfarrer angestellt. Die Kaplaneistelle ist zur Zeit wegen Mangel an Priestern unbesetzt.

Der am 3. Mai 1878 verstorbene Dechant und Pfarrer Heinrich Adam Spieß, der früher selbst Maurer gewesen war, hat sich um den Kirchenbau das Verdienst erworben, dass er den Baumeister Hartmann veranlaßte, den schönen Entwurf einer dreischiffigen gotischen Kirche auszuarbeiten.

Der Kirchenvorstand besteht aus dem Pfarrer und sechs Mitgliedern: 1) Johannes Dunkelberg, Vorsitzender, 2) Gutspächter (Meierei) Wilhelm Höppner, 3) Anton Grundmann, 4) Ernst Hildebrand, 5) Peter Hahn, 6) Franz Schade, Rendant.
 

Die Kirchengemeindevertretung besteht aus achtzehn Mitgliedern.
 

Der Ortsvorstand, der alle sechs Jahre neu gewählt wird, besteht aus:

1) Dem Schulzen Nikolaus Hahn, Ziegelbrenner,

2) Peter Lorenz, Schöppe,

3) Ernst Hildebrand, Schöppe, Ökonom.
 

Wirtshäuser gibt es jetzt acht im Orte, wovon jedoch mindestens die Hälfte überflüssig ist. Mühlhäuser Bier wird in großen Mengen vertilgt. Die Gemeinde selbst besitzt zwei Schenken, welche verpachtet werden.

Da ältere Dokumente weder beim Abbruch der Kirche noch bei Abnahme des Turmknopfes gefunden wurden, so konnten solche hier nicht beigefügt werden. Die ältesten Schriftstücke im Pfarrarchiv sind die Kirchenrechnungen von 1580 an.
 

An gegenwärtig cursierenden Münzen wurden dieser Urkunde beigefügt:

a) Kupfer: 1 - und 2 - Pfennigstücke,

b) Nickel: 5 - und 10- Pfennigstücke,

c) Silber: 20 - und 50- Pfennig und 1 Mark

Außerdem cursieren in Silber 2, 3 und 5 Mark und in Gold 5, 10 und 20 Mark.

Von letzteren a 1 Stück beizufügen, hielten wir für unrecht, weil wir das Geld für die Ausschmückung der Kirche besser verwenden können.

Lengenfeld, den 11. September 1884.

 

Auf die Bitte der Kirchengemeinde vom 1. August an das Kommissariat, dass nach Fertigstellung des Kirchenbaues der Hochwürdigste Herr Bischof Franz Caspar Drobe die Weihe der Kirche vornehmen möchte, teilte das Kommissariat am 6. Oktober 1884 Folgendes mit:

„Die bischöfliche Konsekration der dortigen neuerbauten Kirche kann unter den jetzigen Verhältnissen nicht erfolgen. Die neue Kirche wird deswegen die Benediktion erhalten, sobald der Bau vollendet ist.“

Als nun der Bauinspektor Beisner am 10. Oktober 1884 die Vollendung des Kirchenneubaues endgültig für den 25. Oktober 1884 bestätigte, legte das Kommissariat in Heiligenstadt die feierliche Benediktion derselben auf den 26. Oktober 1884 fest.

Als nun am 26. Oktober der Kommissarius Dr. Conrad Zehrt vor der neuen Kirche eintraf, hatten sich dort außer des größten Teils der Pfarrgemeinde, alle Bauleute und die gesamte Geistlichkeit des Dekanates Lengenfeld zu dieser Feier versammelt. Als besondere Gäste waren der Landrat des Kreises Heiligenstadt, von Hanstein, und der Amtsvorsteher Lorenz aus Geismar erschienen.

Die heilige Feier begann um 9 Uhr mit der „Benediction Ecclesiae“, die der Kommissarius Dr. Zehrt vornahm, der dann auch anschließend das feierliche Levitenamt und die Festpredigt in der Kirche hielt. Zum Abschluss dieser Feier sangen alle aus freudigem und dankbarem Herzen das „Te Deum“

Aber erst am 11. August 1898 wurde unsere neue Kirche durch den Bischof Augustinus Gockel –

Weihbischof in Paderborn von 1890 bis 1912 – auf ihren alten Titel geweiht. Die Reliquien der heiligen Märtyrer Gereonis und Mauritius und der heiligen Ursula, die bei der Weihe unserer alten Kirche am 5. Mai 1611 in den Altar eingeschlossen worden waren, wurden mit nachstehender Weiheurkunde in den neuen Altar gelegt und versiegelt.

„Am 11. August im Jahre 1898 habe ich die schon benedizierte neue Kirche und den Hochaltar zu Ehren der seligen Jungfrau Maria auf den alten Titel – Mariä Geburt – geweiht und in denselben die aus dem alten Altar entnommenen Reliquien der heiligen Märtyrer Gereonis und Mauritius und der heiligen Ursula darineingeschlossen. Das Jahrgedächtnis der Weihe wurde auf den 3. oder 4. Sonntag festgelegt.

          
Augustinus Gockel
Titular Bischof Paderborn“


Walther Fuchs (1918 – 1995), Ortschronist der Gemeinde Lengenfeld unterm Stein
Quelle: „Chronik der Kirche AD BEATAM MARIAM VIRGINEM Lengenfeld unterm Stein“, Maschinenschrift mit zahlreichen Abbildungen im Besitz der Pfarrgemeinde St. Anna Lengenfeld unterm Stein.