Aus der Heimatgeschichte: Tragischer Unfall beim Bau der „Kanonenbahn“
Im Dezember 1872 legte der preußische Handelsminister dem Abgeordnetenhaus ein umfangreiches Projekt zur Erweiterung der Staatsbahn in Preußen vor. Da diese „Große Eisenbahnvorlage“ auch das Eichsfeld berühren würde, veröffentlichte das Worbiser Kreisblatt daraus am 24.12.1872 erste Einzelheiten. Danach spielte in dieser Gesetzesvorlage die Eisenbahnlinie Berlin - Wetzlar eine herausragende Rolle. Sie sollte das östliche mit dem westlichen Eisenbahnnetz Preußens über rein preußisches Territorium verbinden.
Es war vorgesehen, die Eisenbahnstrecke von Berlin über Brück, Belzig, Zerbst nach Barby zu führen, um hier die Elbe auf einer festen Brücke zu kreuzen. Von Calbe aus standen bis nach Nordhausen zwei Streckenführungen zur Disposition: Die eine sollte über Sandersleben, Mansfeld und Sangerhausen gehen; die andere über Staßfurt, Aschersleben, Ermsleben, durch das Selketal mit Alexisbad, dann über das Harzplateau und Stolberg. Man neigte dazu, der zweiten Variante den Vorzug zu geben, da diese neue, unerschlossene Gebiete einbringen würde. Außerdem war die Strecke kürzer und billiger. Ab Nordhausen sollte die Trasse über Leinefelde, Dingelstädt, Eschwege, Oberhone, südlich des Hohen Meißners entlang nach Spangenberg, Homberg, Kirchheim führen, um
auf der Main-Weser-Bahn Wetzlar zu erreichen. Anfang Februar 1873, so das Worbiser Kreisblatt am 4.2. mit, stimmte die gebildete Kommission in Berlin mit zwei Gegenstimmen dem Bahnprojekt Berlin – Wetzlar zu und damit den erforderlichen 50 750 000 Talern Baukosten.
Am 17.7. informierte das Blatt, dass am 13.7. von Nordhausen aus mit der Begehung der Strecke in westlicher Richtung begonnen worden sei. Im Oktober ereignete sich ein Unglücksfall, über den das Blatt am 16. 10. berichtete. Danach hatte ein „Bauführer Behrend aus Schönbrunn, vermutlich zur Feststellung der Bahnlinie Berlin - Wetzlar in Lengenfeld stationiert, erfahren, dass hier ein vom Militär entlassener Artillerist eine Granate besitze. Behrend erbat sich diese vom Eigentümer zur näheren Besichtigung. Am Abend des 8.10. nahm er sie mit in die Dorfgaststube und zeigte sie seinem dort anwesenden Baumeister Diedrich aus Wolkenstein. Dabei fiel das Geschoß auf den Boden und explodierte. Behrend wurde derart verstümmelt, dass er alsbald am Ort der Verwüstung verstarb.“
Der Streckenabschnitt Unstrut- und Werratal über das Obereichsfeld führte durch Berge und über Täler. Wegen vorwiegend militärischer Zweckbestimmung gaben Bauarbeiter und Bevölkerung der Eisenbahn Berlin – Wetzlar den Namen „Kanonenbahn“.
Autor: Kb
(Quelle: „Thüringer Tageblatt“ vom 18.12.1991)