Annaberg und Annenkapelle bei Kloster Zella
Umrahmt von waldigen Höhen liegt unweit des Dorfes Struth im Obereichsfeld das ehemalige Nonnenkloster des Benediktinerordens, das mit Hinblick auf seine abgeschiedene Lage mit vollem Recht den Namen „Zella“ trägt. Nach der Aufhebung im Jahre 1810 wurde es zunächst zu einem Gut und birgt heute ein Heim, in dem alte Leute in des Tales Frieden ihre Tage verbringen.
Aus der nordöstlichen Wand der waldigen Kulisse, fast über dem Kloster, tritt eine flache Bergzunge hervor, die den nach drei Seiten hin steil abfallenden Annaberg bildet. Seine Höhe krönte einst eine der hl. Anna geweihte Kapelle, die vor nunmehr fast 90 Jahren abgerissen wurde. Erfreulicherweise hat Ascan Lutteroth, ein Neffe des späteren Besitzers von Kloster Zella, der Nachwelt eine Zeichnung der ehemaligen Kapelle vermittelt. Eine weitere Erinnerung stellt das Annabild dieser Kapelle dar, das nunmehr die Kirche im benachbarten Dorfe Struth schmücken hilft. Es ist eine sehr ausdrucksvolle Selbdritt-Darstellung, d. h. ein Kunstschatz, der die drei Generationen (Anna-Maria und Jesus) verehrt. Das Kirchlein lag inmitten eines stattlichen Lindenkranzes und war nach dem Hülfensberg der am meisten besuchte Wallfahrtsort des südlichen Eichsfeldes. Öfter besucht wurde die Annenkapelle von dem Bischof Konrad Martin, der ihr ein eifriger Förderer war.
Nach den Aufzeichnungen des Lehrers Gatzemeier, der von 1842 bis 1886 in Struth wirkte, haben die Ordensschwestern des Klosters Zella den Bau im Jahre 1713 errichten lassen. Dabei wurde ein Turmrest mit der Jahreszahl 1672 gefunden und mit eingebaut. Der Fund beweist, daß die Annenverehrung an dieser anmutigen Stätte noch weiter zurückreicht. Der genannte Gewährsmann berichtet ferner, dass in dem Gotteshaus eine Gemeinde von 600 Seelen Platz finden konnte. An der Ostseite erhoben sich drei Altäre, deren mittelster der heiligen Anna geweiht war. In einer Nische der rechten Seitenwand zog das erwähnte Annenbild die Verehrung auf sich.
Die Wallfahrt zum Annaberg fand am Annatage, d. h. am 26. Juli, später am darauf folgenden Sonntag, statt. Auch an einigen anderen Sonntagen wurde Gottesdienst gehalten. Die große Zahl der Andächtigen konnte bei Überfüllung des heiligen Raumes sehr wohl im Freien Platz finden, da der Berg nicht wie beispielsweise der Hülfensberg nach allen Seiten hin steil abfällt. Der Annaberg läuft vielmehr in nördlicher Richtung in eine ausgedehnte Hochebene aus. Daher konnten vor der Kapelle die Beichtstühle aufgestellt werden, wenn die Zahl der Gläubigen zu groß war. Nordwestlich der Kapelle standen Wirtschaftsgebäude und drei Wohnungen für Arbeiter und den Schäfer. Das der Kapelle am nächsten gelegene Haus bot für die Dauer der Wallfahrten der Geistlichkeit (zwei Benediktiner von Gerode) und dem Küster Unterkunft. Den Dienst als Kirchner versah der Lehrer des Dorfes Struth.
Als im Jahre 1810 das Kloster aufgehoben wurde, ging das nunmehrige Klostergut in Privathand über. Käufer waren die beiden Mühlhäuser Röbling und Lutteroth. Sie sahen die Ausbreitung so vieler Menschen – manchmal sollen es gegen tausend gewesen sein – nicht gern und gaben Schäden in ihren Waldungen an. Im Jahre 1837 erhob Röbling beim bischöflichen Konsistoriat in Heiligenstadt Einspruch gegen die Wallfahrten unter Hinweis darauf, dass die Kapelle sein Eigentum sei. Die Gegenseite widersprach und versagte Röbling sogar die Benutzung durch ihn selbst zwecks Taufe seiner Enkelin Sophie Lutteroth. Die kirchliche Handlung erfolgte aber doch. Eine Beschwerde Röblings bezüglich Schließung der Kapelle für die Wallfahrten bei der Regierung in Erfurt blieb ohne Erfolg. Auch eine gerichtliche Klage half ihm nicht. Die Andachten auf dem Annaberg wurden in der herkömmlichen Weise abgehalten.
Nach Röblings Tod griffen die Erben die Streitfrage erneut auf und erreichten 1844, dass die Behörde ihnen das Eigentumsrecht zuerkannte. Man untersagte Abhaltung von Gottesdiensten in der Annenkapelle. Da eine gütliche Einigung beider Parteien nicht erzielt werden konnte, ließ der andere Besitzer Lutteroth im Jahre 1869 durch einen Pächter Keuthahn die Kapelle niederlegen und beraubte damit die Gegend um eine Zierde.
M. Heetzsch
(Quelle: Eichsfelder Heimatstimmen, Nr. 20/1959, S. 329-330)