Am 27. Mai 1904 (Schweres Unwetter)

Am 27. Mai werden es 54 Jahre, als im Tale der Frieda ein furchtbares Unwetter tobte. Die Obstbäume standen in Vollblüte. In dem weißen mit rosa aufgehauchten Blütenflor summten die Bienen. Die Wälder zeigten ihr erstes junges Grün. Der Saatenstand ließ auf eine gute Ernte schließen. Hier und da steckten die Kartoffeln die ersten beblätterten Keime aus dem warmen Erdboden. Erdrückende Schwüle lag über dem grünenden und blühenden Tale. Düstere Wolken stiegen am Horizont auf. Am graugelben Himmel über dem Spreuwinkel und dem Effeldertal zuckten die Blitze und das Echo des rollenden und krachenden Donners hallte über Tal und Dorf. Der Sturmwind entwurzelte manchen stattlichen Baum. Haselnussgroßer Hagel zersplitterte Fensterscheiben und schlug Blätter und Blüten zur Erde. Ein Wolkenbruch schüttete ungeheure Wassermassen aus. Die Frieda war zu einem wildreißenden Strom geworden. Durch die Straßen wälzten sich ihre schmutzigen Wellen. Das Wasser hatte bereits die Höhe des oberen Trittsteins vor der Haustüre unserer Wohnung bei Johannes Witzel im Unterdorf erreicht. Vater war auf der Zeigelei bei Hanau. Auch die Gebrüder Witzel waren in der Fremde. In Aufregung und Angst waren wir Kinder mit Mutter und der alten Base Mienchen Kaufhold ins obere Stockwerk geflüchtet und empfahlen uns im Gebet dem Schutze Gottes. Dumpf dröhnend stießen die von den Wellen mitgeführten Baumstämme gegen die Hauswand. Unten rauschten die wilden Wassermassen. Schier ununterbrochen zuckten die Blitze und Schlag auf Schlag krachte der Donner. Die Elemente hatten ausgetobt. Langsam senkte sich der Wasserspiegel. Verwüstete Felder, zerbrochene und entlaubte Bäume und aufgerissene Straßen zeugten von der Gewalt der Elemente. An den Hängen lag noch tagelang der Eishagel. Gebäudeschäden waren an den Häusern Riese und Kaufhold (Bäckerei Lambert Rummel) entstanden. Im Acker des Peter Fischer am Friedhof hatten die aus dem Effeldertal kommenden Wassermassen einen tiefen und breiten Graben gerissen. Die Gebrüder Wilhelm und Christoph Richwien hatten wochenlang mit der Wiederinstandsetzung zu tun. Peter Fischer legte zum Schutze gegen ähnliche Vorkommnisse den Wall mit einer Weißdornhecke an der Schulstraße an.

Heinrich Richwien
(Quelle: Lengenfelder Echo)