Aus der Chronik von Lengenfeld unterm Stein (1318 – 1970)
Lengenfeld unterm Stein liegt im Friedatal im Obereichsfeld, 19 Kilometer westlich von Mühlhausen, Thomas-Müntzer-Stadt. Mit der Bahn ist der Ort in einstündiger Fahrt vom Eisenbahnknotenpunkt Leinefelde leicht zu erreichen.
Lengenfeld, was wahrscheinlich langes Feld bedeutet, wird schon im 10. Jahrhundert urkundlich genannt. Im Jahre 1318 besaß Kurmainz drei Eigentümer mit neun Hufen, die zur Burg „Stein“ gehörten, außerdem 6 Höfe, 23 Acker, einen Baumgarten, Acker im Blankental, Rodeland vor der Plesse und den Plessewald. Seit der ersten Erwerbung der Burg Stein im Jahre 1326 durch Mainz war der jeweilige Erzbischof und Kurfürst der Landesherr des Dorfes und gleichzeitig der oberste Gerichtsherr. Diese obere Gerichtsbarkeit wurde im peinlichen oder Halsgericht durch die Vögte des Amtes Bischofstein ausgeübt. Im Jahre 1409 wird der „Stein“ zum ersten Male „Bischofstein“ genannt. Darüber berichtet folgende Urkunde: „Frankfurt, 12. Januar 1409. Erzbischof Johann von Mainz nimmt Lutze von Wangenheim und seine Leibeserben zu Burgmannen auf dem Erzbischöflichen Schlosse Bischofstein an.“
Da die Herren von Keudell und von Hanstein seit 1420 von Mainz mit 400 Acker Land, der Meierei und drei Höfen belehnt wurden, lag das untere Gericht in den Händen dieser Junker, die über ihre Hörigen und Leibeigenen selbst zu Gericht saßen. Auf diese Mainzer Lehen sind die Orts- und Flurnamen wie Keudelsgasse, Herrengasse, Goldgasse und Hanstein zurückzuführen.
Aus vielen Urkunden jener Zeit ist zu ersehen, dass sich der gesamte Grundbesitz in den Händen des Kurfürsten von Mainz, der Klöster und Junker befand. Daher strebten auch in Lengenfeld die hörigen Bauern nach Befreiung. Nach einer Aufzeichnung des Pfarrers Hahn nahmen Georg Ludwig, Peter Kryftenwerf und Claus Her nebst Anhang am deutschen Bauernkrieg teil. Gemeinsam mit den Bauern der Ämter Bischofstein und Greifenstein stürmten sie zunächst das Kloster Zella, dann die Gutshöfe Katharinenberg und Diedorf und brachten die Beute auf neun Wagen nach Görmar, dem Hauptlager Thomas Müntzers. Nach dem Reuterschen Lagerbuch hatte Lengenfeld 1610 112 Häuser und 6 Gemeindehäuser.
Die wirtschaftlichen Verluste durch den Dreißigjährigen Krieg waren ungeheuer. So zählte Lengenfeld am Ende des Krieges nur noch 24 Herdstätten. Trotz der schweren Zeit gingen unsere Vorfahren sofort an den Wiederaufbau. Bereits im Jahre 1680 hatte Lengenfeld wieder 86 Herdstätten mit 478 Einwohnern. Leider wurde dieser Aufbau durch die letzte eichsfeldische Pestwelle 1682 gestört, die erneut viele Menschenleben forderte.
Um 1700 ging es zunächst wirtschaftlich voran. Valentin Degenhardt, der 1670 in Flandern die Wollmanufaktur kennengelernt hatte, ließ sich in Großbartloff nieder und stellte hier den ersten Webstuhl auf. Nun begann die Verbreitung der Wollweberei über das ganze Eichsfeld. So fanden auch in Lengenfeld die armen Leute Arbeit und Brot. Fast in jedem Haus stand um 1740 ein Webstuhl.
1711 zählt die Gemeinderechnung bereits 111 Herdstätten auf, wovon 19 Höfe waren, die mehr als eine Hufe (30 Morgen) bewirtschafteten. Die meisten Leute sind zwar Hausbesitzer, jedoch ohne oder mit nur wenig Rodeland. Dieser Umstand lässt erkennen, dass die meisten Einwohner schon 1711 Lohnarbeiter waren. Soweit sie nicht in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt wurden, waren es Wollweber, Rasch- und Etaminmacher, Wollkämmer und Spinner. An diesen landarmen kinderreichen Weberfamilien konnte sich ein Wirtschaftsrückgang verbunden mit Missernten zu einem Massensterben auswirken, wie es sich in den Hungerjahren 1771 und 1772 ereignete. So finden wir in den Kirchenbüchern, dass in diesen zwei Jahren von 819 Einwohnern 158 Personen an Hunger gestorben sind.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam dann eine große Umwälzung. Am 6. Juni 1802 nahm Preußen das Eichsfeld in Besitz. Lengenfeld wurde preußisch, Bischofstein staatliche Domäne. Nach der Schlacht von Jena und Auerstedt am 14. Oktober wurde das gesamte Eichsfeld französisch und am 18. August 1807 dem Königreich Westfalen angegliedert. Die Gemeinde hatte hohe Kriegskontributionen an Geld und Naturalien zu leisten. Aber noch größer war die Not, als nach der Völkerschlacht bei Leipzig die französischen Heere durch Lengenfeld zurückmarschierten.
Von 1857 bis 1882 wurden die Dorfstraßen und sämtliche Landstraßen (Kloster Zella – Lutterbrücke, Lengenfeld – Faulungen und Lengenfeld – Hildebrandshausen) chausseemäßig ausgebaut.
1863 kaufte die Gemeinde das heutige Bürgermeisteramt von dem Kaufmann Montag für 1250 Taler und richtete dieses Haus als Schule ein. Die alte Schule mit nur einem Klassenraum, die 1845 von 260 Schülern besucht wurde und heute als Küsterhaus verwendet wird, wurde im Jahre 1810 erbaut. Die neue Schule – Baujahr 1929/30 – mit vier Klassenräumen, einem Lehrerzimmer und einer Lehrerwohnung wurde 1930 ihrer Bestimmung übergeben.
Die Eisenbahnlinie Leinefelde – Eschwege wurde in den Jahren 1874 bis 1880 erbaut und am 15. Mai 1880 eröffnet. Bis zum Jahre 1886 war Geismar der nächste Bahnhof. In diesem Jahr wurde die Haltestelle Lengenfeld unterm Stein auf dem Kirchberg am Ende der Eisenbahnbrücke eingerichtet. Der neue Bahnhof ist im Jahre 1908 erbaut worden. In einer Höhe von 28 m überbrückt der gewaltige Eisenbahnviadukt in einer Länge von 240 m das Friedatal. Am 8. September 1879 fuhr der erste Eisenbahnzug als Belastungsprobe über diese Brücke, die heute noch ihren wichtigen Zweck erfüllt.
Die Kirche ist als dreischiffige gotische Hallenkirche in den Jahren 1882 bis 1884 neu gebaut worden. Von der alten Kirche ist der Unterbau des Turmes (1719) erhalten. Im Dorf selbst finden wir alte Bauernhäuser, die Hagemühle (1577), das Pfarrgebäude (1619), Einnehmershaus (1775) und die Mittelmühle.
Nicht unerwähnt darf unser Krankenhaus bleiben, das 1905 errichtet und 1928 durch einen Anbau erweitert wurde.
Im Nordwesten des Dorfes erhebt sich der Schlossberg, der mit seinen 402 m bis zum Jahre 1933 eine uralte Linde trug. Hier stand die „Burg zum Stein“, die vor 1150 erbaut worden ist und seit 1409 Bischofstein genannt wird. Unterhalb der Burg lag die kleine „Stadt zum Stein“, die bis 1420 noch urkundlich bezeugt ist. Im Dreißigjährigen Krieg wurden die Burg Bischofstein und die Stadt zum Stein teilweise zerstört. Aus den übriggebliebenen Steinen ist im Jahre 1747 vom Kurfürsten von Mainz durch den Baumeister Heinemann aus Dingelstädt das jetzige Schloss Bischofstein unterhalb des Burgberges errichtet worden.
Viele Einwohner von Lengenfeld unterm Stein mussten ihr Leben in zwei Kriegen, die die deutschen Imperialisten zur Durchsetzung ihrer Welteroberungspläne führten, sinnlos dahingeben. Die neue Zeit begann erst am 5. Juli 1945, als sowjetische Truppen als Befreier das Dorf besetzten. Viele historische Daten folgen nun, die das Leben der Menschen entscheidend veränderten: So wurde am 1. Oktober 1945 die Schule mit 301 Schülern und 4 Lehrern in 4 Klassenräumen wiedereröffnet und am 7. November 1945 mit der Durchführung der demokratischen Bodenreform begonnen. 1953 schließen sich die Bauern zur LPG „Befreites Land“ zusammen, die sich 1970 mit den Genossenschaften von Faulungen und Hildebrandshausen zur LPG „Banner des Friedens“ vereinigt.
Auch die Volksbildung nahm eine stürmische Entwicklung. Standen ihr 1949 etwa 8 TM zur Verfügung, so waren es 1977 205 TM. 1962/63 wurde ein großzügiger Schulerweiterungsbau errichtet, und 1976 wurden 360 Schüler in 15 Klassen von 22 Pädagogen unterrichtet.
Aus der ehemaligen Zigarrenfabrik entstand 1969 durch Umprofilierung der VEB Strumpfwarenfabrik Diedorf – Werk Lengenfeld. Seit 1966 arbeiten viele Einwohner im VEB Puppenfabrik Waltershausen – Werk Lengenfeld.
Aber auch auf dem Gebiet des Gesundheitswesens und des Handels und der Versorgung konnte der Chronist viele Fortschritte verzeichnen.
Diese Entwicklung trifft auch auf den Sport zu. Aus der im April 1946 gegründeten Sportgemeinschaft Blau-Weiß entwickelte sich die BSG Traktor mit zahlreichen Sektionen, und 1968 bis 1970 entstand das moderne Schwimmbad im Werte von fast einer halben Million Mark.
So wurde aus Lengenfeld unterm Stein unter den Bedingungen der Arbeiter-und-Bauern-Macht eine blühende Gemeinde im sozialistischen Industrie-Agrar-Kreis Mühlhausen.
Walther Fuchs
(Quelle: Barthel, Rolf: Zwischenspiel auf Bischofstein. Käthe Kollwitz, das Eichsfeld und Nordhausen. Sonderausgabe der „Eichsfelder Monatshefte“, 1977).