90 Jahre Heilandkapelle Lengenfeld unterm Stein (1926 - 2016)

Die Geschichte unserer Heilandkapelle begann zwar vor 90 Jahren, aber die der evangelischen Gottesdienste in unserem Heimatort ist ca. 30 Jahre älteren Ursprungs. Viele Provisorien und oft beengte Verhältnisse machten es den evangelischen Christen nicht immer leicht, gemeinsam das Wort Gottes zu hören.

Als im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert auch auf dem Eichsfeld immer mehr Fabriken entstanden, siedelten sich 1893 in Lengenfeld unterm Stein zwanzig evangelische Christen an, darunter auch fünf Kinder. Sie waren gekommen, um in der eingerichteten Zigarrenfabrik ihr Brot zu verdienen. Die nächste erreichbare ev. Kirche war in Großtöpfer, welche ca. acht Kilometer Fußweg entfernt war. Auch mit dem Zug, der damals sei einigen Jahren seinen Betrieb aufgenommen hatte, waren vermutlich immer noch fünf bis sechs Stunden für einen Gottesdienst einzuplanen.

Auf Bitte der Lengenfelder evangelischen Christen entschloss sich der damalige Pfarrer Hartung, nach Rücksprache mit den kirchlichen Behörden, im Wohnzimmer des Revierförsters Gropp auf Bischofstein, Gottesdienst abzuhalten. Dieser Raum wurde vom Förster kostenlos zur Verfügung gestellt. Als am 1. Adventsonntag 1897 zum ersten Mal Gottesdienst gefeiert wurde, begleitete er den gemeinsamen Gesang mit der Zither. Für fünfzehn Erwachsene und zwei Kinder sicher ein erhabenes Gefühl, gemeinsam zu singen und zu beten.

Später wurde durch den „Gustav-Adolf-Verein“ ein Harmonium auch ein einfacher Altar sowie eine Bibel, Kruzifix und zwei Leuchter beschafft. Die katholischen Behörden stimmten diesem Wunsch nach gemeinsamen Gottesdienst, welcher im 4-Wochen-Rhythmus stattfand, zu. Außerdem bewilligtem sie dem Pfarrer sogar eine Beihilfe, um bei schlechtem Wetter eine Kutsche zu benutzen. Wie er bei gutem Wetter den Weg nutzte, ist leider nicht überliefert.

Nach zehn Jahren, als die Stube für die gestiegene Anzahl der Besucher zu klein wurde und außerdem das Schloss Bischofstein an Dr. Gustav Marseille verkauft wurde, suchte man nach einem neuen Gottesdienstraum. Bei der katholischen Familie Hübenthal am Grottenweg fand man schließlich einen passenden Raum. In dem sechs mal acht Meter großen Zimmer haben dann fünfzehn Jahre lang zwanzig und manchmal auch dreißig oder mehr Personen dem Gottesdienst beigewohnt. Als 1925 der Raum zu Wohnzwecken gekündigt wurde, stellte ihnen der Zimmermeister Andreas Busse, ebenfalls Katholik, in seinem neu erbautem Haus eine Stube zur Verfügung. Dieses war jedoch noch kleiner als das vorige, was wahrscheinlich letzten Endes dazu führte, dass der Superintendent Prof. Rauch aus Heiligenstadt, der Vertreter des „Gustav- Adolf-Vereins“ war, bei der oberen kirchlichen Behörde für den Bau einer Kapelle in Lengenfeld unterm Stein eintrat und dieses auch durchsetzte.

Noch im selben Jahr wurde mit den Planungen begonnen und am 18. Oktober 1925 der Grundstein für die Kapelle gelegt, dabei ist eine Urkunde im Mauerwerk mit versenkt worden. Das Baugrundstück wurde von den damaligen Besitzern des Bischofsteins, Frau Dr. Hedwig Ripke und ihrem Gatten, Dr. Wilhelm Ripke, erworben. Wie es heißt, waren sie bei dem Verkauf „sehr entgegenkommend“. Die Maurerarbeiten wurden von dem Maurermeister Aloys Groß aus Geismar und die Tischlerarbeiten vom Tischlermeister Friedrich Müller aus Großtöpfer ausgeführt. Da die Finanzierung durch vielfältige Spenden gesichert war, auch die Bauhandwerker zügig und gut vorrankamen, wurde bereits nach einem Jahr, auch durch die tatkräftige Unterstützung der Gemeindemitglieder, am 21. Oktober 1926 die Einweihung gefeiert. In einer Aufzeichnung der damaligen Zeit steht darüber Folgendes:

„Vom Bahnhof Lengenfeld unterm Stein bewegte sich am Tage der Einweihung der Festzug den schmalen Bahnhofsweg hinunter, voran die Schulkinder von Großtöpfer mit dem Lehrer Schmidt. Ihnen Folgte der Generalsuperintendent Dr. Meyer, geleitet vom Superintendent Pfarrer Richter und dem Ortspfarrer Krüger, der Landrat von Christen, Vertreter der Kirchenbehörde und des ,,Gustav- Adolf-Vereins“, Kirchenälteste, Vertreterin des Frauenhilfswerks und die Gemeindemitglieder des Ortes. Von dem gegenüberliegenden Hang grüßte das neue Kirchlein, winzig klein und schlicht, aber ans Herz greifend schön. Als der Festumzug vor dem Gotteshaus angelangt war und die Kirchenglocke zum ersten Male ihre Stimme erschallen ließ, übergab der Bauleiter Reichel die Schlüssel dem Generalsuperintendenten. Dieser überreichte dieselben dem Ortspfarrer Krüger, der dann die Pforte zum Zaun und zur Kirche öffnete. Anschließend trat der Generalsuperintendent auf die hohe Freitreppe und sprach aus warmen und bewegten Herzen zur Ortsgemeinde und den Gästen über das Bibelwort: ‚Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben. (Luk 12,32) Als die Kirchentür sich auftat, füllten die Festteilnehmer die Kirche bis auf den letzten Winkel. Nicht alle fanden Platz, bis weit vor die Kirchentür standen die Gläubigen. Nun vollzog der Generalsuperintendent die Einweihung und übergab die Kirche, die nach dem Wunsch ihres Begründers ‚Heilandkapelle‘ heißen soll, Altar, Kanzel und Taufstein, Harmonium und Glocke dem heiligen Dienst.“

Nun noch einiges zur Inneneinrichtung der Kapelle: Der Altar sowie die Kanzel stammen ursprünglich vom Gut Oberstein bei Arenshausen und stammen aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Sie waren damals sehr beschädigt und wurden durch den aus Bayern stammenden Kunstmaler Norbert Krohmer, sowie dem Holzschnitzer Aloys Schuchard von Geismar restauriert. Die Altarleuchter, ebenfalls vom Gut Oberstein, sowie die Wandbeleuchtungskörper welche von einer Danziger Firma geliefert wurden, befinden sich heute nicht mehr in der Kirche. Das Altarkreuz, nach einer Zeichnung in Oberammergau angefertigt, haben die Lengenfelder evangelischen Christen gestiftet.

Als nach dem zweiten Weltkrieg Flüchtlinge auch nach Lengenfeld kamen, waren unter ihnen sehr viele evangelische Christen. So wuchs die Gemeinde teilweise auf über 200 Seelen an, für welche die Kapelle natürlich schon wieder zu klein war. Um ein wenig dem Platzmangel entgegenzuwirken und eine Möglichkeit für Christenlehre und Konfirmandenunterricht zu schaffen, begann man 1951 mit dem Bau eines Gemeinderaumes unter der Kirche. Mit sehr viel Eigeninitiative und Spenden von der Gemeinde und dem „Gustav-Adolf-Werk“ wurde am 21.09.1952 unter großer Anteilnahme der evangelischen Kirchengemeinde durch den Superintendenten Schultz und den Gemeindepfarrer Bernhard Ernst der neue Raum eingeweiht.

In den folgenden vierzig Jahren wurden an der Kirche kleinere Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt. Erst nach der Wende konnten wieder größere bauliche Veränderungen, welche damals auch dringend nötig waren, vorgenommen werden. So ist im Jahr 1997 das Dach erneuert und der Außenputz saniert und mit einem Farbanstrich versehen worden. Auch die Außenanlage mit Eingangsbereich und Treppenaufgang ist vollkommen neu gestaltet. Im Innenraum konnten, durch eine ABM-Maßnahme, ebenso die Wände farblich einen Neuanstrich erhalten. Ein Ölofen sorgt jetzt auch in der kalten Jahreszeit für eine angenehme Temperatur. Um dem ständig steigenden Befall von Holzwürmern, besonders im Altar und Kanzelbereich, ein Ende zu setzen, entschloss man sich, eine Begasung des gesamten Kirchenraumes durchführen zu lassen. Ein Problem besteht jedoch nach wie vor. Der Gemeinderaum, durch den nachträglichen Einbau nicht vom Außenbereich wirkungsvoll isoliert, ist durch Feuchtigkeit stark in Mitleidenschaft gezogen. Hier ist in Zukunft noch einiges an Engagement nötig.

Hartmut Welz, Lengenfeld unterm Stein 2016
(unter Verwendung der Kirchenchronik von Walther Fuchs)