50 Jahre St.-Elisabeth-Krankenhaus in Lengenfeld unterm Stein
Wenn wir die geschichtliche Vergangenheit des Eichsfeldes an unseren geistigen Augen vorüberziehen lassen, so können wir nicht nur von einem Land der Burgen sprechen, sondern wir können auch nicht umhin, die kulturelle und geistige Bedeutung der eichsfeldischen Klöster zu erwähnen. Diese Klöster haben bis zu ihrer Säkularisation 1802 viel für die Armen- und Krankenpflege, für die Gastfreundschaft und für die Seelsorge getan. Dabei haben sie selbst oft an Not und Armut gelitten. Wenn wir auch den Untergang unserer eichsfeldischen Klöster als sehr schmerzlich empfinden, so war er doch kein unersetzlicher Verlust. Denn überall in den Gemeinden wurden diese Klöster in der Neuzeit durch die Schwesternhäuser ersetzt, die sich voll und ganz der Krankenpflege und der Karitas widmen.
Lengenfeld unterm Stein hat das große Glück, ein Schwesternhaus zu besitzen, das in diesen Tagen auf eine glückliche und segenbringende Vergangenheit zurückblicken kann. Denn ein langgehegter Wunsch aller Lengenfelder Einwohner ging in Erfüllung, als am 29. Mai 1905 auf Anregung des damaligen Pfarrers Johannes Kirchner (1902–1927 in Lengenfeld unterm Stein) vier Schwestern, arme Franziskanerinnen aus dem Mutterhaus Olpe, die Lengenfelder Schwesternstation gründeten.
Diese Schwestern, Schw. Adelgunde als Oberin. Schw. Harlindes, Schw. Antonette und Schw. Ignatis trafen an diesem Tage um 18 Uhr in Lengenfeld ein. Dieser Tag ist in die Geschichte der Dorfheimat mit goldenen Lettern eingeschrieben, bedeutet er doch zugleich den Gründungstag unseres Schwesternhauses. Zum Empfang hatte sich der größte Teil aller Einwohner mit ihrem Pfarrer am alten Bahnhof eingefunden, um ihre Schwestern in die Kirche und von dort in ihr vorläufiges Heim zu geleiten.
Die Schwestern hatten vorerst noch kein eigenes Heim, sondern wohnten zur Miete im Hause der Familie Riese (jetzt Schneidermeister Franz Oberthür) in der Backgasse. Schon jetzt zeigte sich der große Segen, den die ehrwürdigen Schwestern unserem Heimatdorf gebracht hatten. Sie richteten sofort einen Kindergarten ein, gaben schulentlassenen Mädchen Nähunterricht und beschäftigten sich mit ambulanter Krankenpflege.
Mit der Geschichte dieser kleinen Schwesternstation in der Backgasse beginnt auch die Geschichte des Krankenhauses. Nachdem der Bau des St.-Elisabeth-Krankenhauses von den meisten Lengenfelder Einwohnern gewünscht und von der Kirchenvertretung beschlossen worden war, appellierte Pfarrer Johannes Kirchner an die Opferfreudigkeit aller Lengenfelder. Er hatte Erfolg. In kurzer Zeit wurden 5690 Mark an freiwilligen Spenden aufgebracht. Den Bauplatz im Werte von 2000 Mark schenkte Frl. E. Dunkelberg der Kirchengemeinde.
Als die Schwestern nach Lengenfeld kamen, war mit dem Bau des Krankenhauses bereits begonnen worden. Die Ausschachtungsarbeiten hatten die Gebrüder Christoph und Wilhelm Richwien übernommen und diese Arbeit auch bis zum 20. Mai 1905 durchgeführt. Nachdem in mehreren Tageszeitungen die Verdingung des Neubaues angezeigt worden war, wurden die Maurerarbeiten dem Maurermeister Anhalt aus Eigenrieden übertragen. Die Oberleitung des gesamten Baues lag in den Händen des Architekten Peter Schade aus Arnstadt.
Am 1. Juni 1905, Christi Himmelfahrt, wurde feierlichst unter Beteiligung der gesamten Gemeinde der Grundstein gelegt. Bei dieser Feier gab man nochmals das Gelöbnis, den Bau zum Segen aller glücklich zu vollenden. Außerdem klärte man an diesem Tage die Besitz- und Vermögensverhältnisse wie folgt: Das neue Krankenhaus ist Eigentum der Kirchengemeinde. Die Verwaltung des Hauses liegt in den Händen der jeweiligen Schwester Oberin. Die Vermögensverwaltung hat der Kirchenvorstand unter Vorsitz des Pfarrers. Dieser Vertrag wurde von Seiten der Kirchengemeinde mit dem Mutterhaus in Olpe abgeschlossen.
Nach der Grundsteinlegung ging der Bau rüstig voran, so dass schon am 3. September 1905 das Haus gerichtet war. Am Abend dieses denkwürdigen Tages fanden sich alle am Bau Beteiligten bei dem Gastwirt Peter John ein, um dort in fröhlicher Tafelrunde das Richtfest gebührend zu feiern.
Zu diesem Zeitpunkt begann der Innenausbau des Hauses. Als es am 27. Dezember 1905 bezugsfertig war, beliefen sich die Gesamtbaukosten einschließlich innerer Einrichtung auf 47.308 Mark. Diese Kosten wurden wie folgt aufgebracht: St.-Elisabeth-Krankenhaus 11.774,70 Mark; freiwillige Sammlung 5.690 Mark. Die übrigen Baukosten lieh der Oberförster Dunkelberg der Kirchengemeinde. Diese Passiv-Kapitalien wurden verzinst und amortisiert durch die Kasse des Hauses, das heißt von den Schwestern,
Nun konnten die Schwestern endlich ihr neues Heim beziehen und ihre karitative Tätigkeit weiter entfalten. Wenn das neue Schwesternhaus auch als Kranken- und Invaliden-Haus gebaut worden war, so war es eben zu diesem Zeitpunkt nur ein Altersheim. Darauf hin deuteten folgende Worte, die in großen Lettern über dem Hauptportal prangten und unsere alten Leute zu einem sorgenfreien Lebensabend einluden:
„Friedliche Rast nach arbeitsreichem Leben soll dir dieses Haus im hohen Alter geben.“
Für ein Krankenhaus fehlte noch die gesamte Einrichtung. Es konnten deshalb nur sehr wenige Kranke eingewiesen werden. Von der Landesversicherungsanstalt Merseburg wurden daher Invaliden in Pflege aufgenommen. Außerdem konnten alte Leute durch eine Einkaufsumme das Recht auf lebenslängliche Wohnung und Versorgung im Haus erlangen. Die ärztliche Betreuung hatte Sanitätsrat Dr. Gries übernommen und bis zu seinem Tode im Jahre 1937 durchgeführt.
Die Arbeit der Schwestern wuchs infolge des Zuganges an Invaliden ständig. Invalidenpflege, Kinderverwahrung, Nähschule und ambulante Krankenpflege auch in den Filialdörfern Faulungen und Hildebrandshausen waren ein großes Arbeitsgebiet. So sah sich das Mutterhaus in Olpe gezwungen, weitere Schwestern zu schicken. Im Jahre 1910 waren bereits sechs im Krankenhaus tätig.
Der Schulze Steinwachs schenkte 1909 dem Krankenhaus ein Gartengrundstück am Pfarrgraben. Im Juni des Jahres 1911 wurden die Stallgebäude errichtet.
Am 28. Januar 1919 forderte der Tod sein erstes Opfer unter den Schwestern. An diesem Tage starb die erste Oberin, die ehrw. Schwester Adelgunde, im Alter von 48 Jahren, tief betrauert von ihren Schwestern, den Insassen des Hauses und der gesamten Gemeinde. Ihr folgte die Schwester Thekla, die am 1. September 1925 durch die Schwester Ermelinden abgelöst wurde.
Am 17. September 1927 starb der Gründer des Kranken- und Invalidenhauses, Pfarrer Kirchner. Zu dessen Lebzeiten war bereits ein Plan zum Erweiterungsbau des Krankenhauses geschaffen worden. Die Durchführung dieses Planes schien nun in weite Ferne gerückt. Aber unser neuer Seelsorger, Pfarrer Johannes Krebs, der am 21. Januar 1928 seinen Einzug in Lengenfeld unterm Stein feierte, war den Schwestern und dem Krankenhaus ganz besonders zugetan. Im Geiste des Gründers führte er dessen Lebenswerk weiter und schuf so 1928 den Erweiterungsbau, der das Schwesternhaus erst zu einem wirklichen Krankenhaus werden ließ. Besonders erwähnenswert ist der neue Operationsraum. Ein weiteres Schmuckkästchen wurde die neu angebaute Hauskapelle, die in ihrer Schlichtheit jeden Besucher zu wahrer innerer Sammlung und Andacht ruft
Architekt Schade, der den Neubau des Krankenhauses geleitet hatte, führte auch den Erweiterungsbau aus. Maurermeister Mühr hatte die Maurerarbeiten übernommen und zur Zufriedenheit fertiggestellt. Als der Neubau bezugsfertig war, beliefen sich die Gesamtbaukosten auf 89.503,01 Mark. Um diese Kosten zu decken, wurden von der hiesigen Spar- und Darlehnskasse 5.000 Mark und von der Landesversicherungsanstalt in Merseburg 60.000 Mark geliehen. Die übrigen Baukosten brachte das Haus in diesem Jahre selbst auf. Die geliehenen Kapitalien im Werte in einer Höhe von 65.000 Mark wurden vom Haus selbst zurückgezahlt. Die Hauseinrichtungen im Werte von 9.000 bestritten die Schwestern durch die Jahreseinnahmen selbst.
Um ernährungsmäßig besser und billiger gestellt zu sein, schaffte das Krankenhaus sich im Jahre 1930 eine kleine aber ertragsreiche Landwirtschaft. Hierzu kaufte das Haus 3 Morgen Ackerland und 3 Morgen Wiese der Familie von Keudell. Außerdem wurde in diesem Jahre ein neuer Kuhstall gebaut. Nun konnten endlich die zweite Kuh und sechs Schweine gekauft werden.
Dieser kleinen Landwirtschaft nahm sich Schwester Harlindes ganz besonders an. Unermüdlich schaffte sie zur Bestell- und Erntezeit auf dem Felde. Das Vieh versorgte sie mit einer Hingabe, die unübertrefflich ist. Die Gartenarbeit war und ist noch jetzt ihre Lieblingsbeschäftigung. Alle Lengenfelder kennen die Gartenschwester, die seit der Gründung des Hauses hier weilt. Noch heute, im Alter von 81 Jahren, lässt sie es sich nicht nehmen, tatkräftig im Garten mitzuhelfen. 1953 feierte sie unter Anteilnahme des ganzen Hauses ihr goldenes Ordensjubiläum. Möge ihr der Herr einst ihre Nächstenliebe reichlich lohnen.
Das Jahr 1931 war wieder mit einem Wechsel der Oberinnen verbunden. Die Schwester Antonette, die schon 1905 mit den ersten Schwestern in Lengenfeld eingetroffen war, aber im Jahre 1919 nach Torgau und von dort nach Oschersleben versetzt wurde, übernahm am 5. Oktober 1931 das verantwortungsvolle Amt als Oberin. Am 6. Dezember 1937 wurde sie wieder vom Mutterhaus abgerufen. An ihre Stelle trat die Schwester Michaelita. Sie verwaltete das Haus bis zum 4. Januar 1944. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Schwester Fulgentiana als Oberin eingesetzt. – Die Kinderverwahranstalt, der sogenannte Kindergarten, wurde den Schwestern im Jahre 1941 von der Nazi-Regierung genommen.
Am 1. Oktober 1943 übernahm Medizinalrat Dr. Frank Holldack die ärztliche Betreuung des Hauses. Hinzu kam eine weite ausgedehnte Landpraxis, da Dr. Bach als Lazarettarzt eingezogen war. – Nun begann der Aufschwung des Krankenhauses, das in diesen Jahren mit nur 25 Krankenbetten belegt war. Dass wir heute 60 Krankenbetten zählen und dass unser Krankenhaus nach den allerneuesten medizinischen Errungenschaften eingerichtet ist, gilt als ein ganz besonderes Verdienst Dr. Holldacks. Da Dr. Holldack als Kreisarzt des Kreises Heiligenstadt bestellt wurde, übernahm Frau Dr. Holldack 1947 die verantwortliche Stelle als Leiterin des Krankenhauses. Nach der Rückkehr aus dem Kriege im Jahre 1945 ist auch Dr. Bach wieder am Krankenhaus tätig.
Im April 1950 löste Schwester Veremunde die Schwester Fulgentiana als Oberin ab. Nun begann eine rege Renovierung des Hauses. Treppenhaus und Flure bekamen einen neuen Anstrich. Die Kapelle wurde restauriert und darin eine geschmackvolle Wandbeleuchtung angebracht. Seit dieser Zeit schmückt ein stilechter Altar mit einem handgeschnitzten Kreuz die Kapelle. Das Operationszimmer wurde modernisiert, ein septischer Operationsraum, ein Bestrahlungszimmer und ein Labor neu geschaffen. Außerdem besitzt das Krankenhaus seit 1954 eine moderne Röntgenanlage, die auch die Möglichkeit schafft, in weit größerem Maße als bisher eine Frühdiagnose zu stellen.
Da Scheune und Stallungen bereits für den Aufschwung der kleinen Landwirtschaft zu klein geworden waren, wurde 1953 die neue Scheune errichtet.
Das Jahr 1951 brachte für das Krankenhaus und auch für die Gemeinde ein besonders trauriges Ereignis. Am 3. Juni dieses Jahres starb die gute Schwester Hugolina Schmidt im 68. Lebensjahr, nachdem sie 36 Jahre lang die ambulante Krankenpflege ausgeübt hatte. Neben dieser Tätigkeit war sie noch als Fürsorgeschwester angestellt. Diese beiden Arbeitsgebiete wurden von ihr nicht nur in Lengenfeld, sondern auch in Faulungen und Hildebrandshausen betreut. Unermüdlich pflegte sie die Kranken bei Tag und Nacht und scheute keinen Weg nach auswärts. Hier ist eine Schwester zum wirklichen Samariter für unsere Bevölkerung des Südeichsfeldes geworden.
Im Jubiläumsjahr 1955 wird weiter an der Verschönerung des Hauses gearbeitet. Alle Zimmer und Flure wurden mit Fußbodenbelag ausgelegt. Als besonderer Schmuck wird im Augenblick der Vorgarten an der Straßenfront mit einer Muschelkalkmauer eingefasst. Ein bequemer neuer Treppenaufgang führt zum Haupteingang, durch den schon viele kranke und sieche Menschen das Haus betreten haben Aber diese Tür führte auch viele Menschen, durch die fürsorgliche Pflege und Betreuung unserer Schwestern gesund geworden, wieder dem Leben zu. So ist es nicht verwunderlich, dass den behandelnden Ärzten und den ehrwürdigen Schwestern ungezählte Anerkennungs- und Dankschreiben zugehen, die auch von einer Liebe zu unserem Lengenfelder Krankenhaus zeugen.
An dieser Stelle nehme ich mir als ehemaliger Patient das Recht, im Namen aller Patienten, die jemals Genesung im Lengenfelder St.-Elisabeth-Krankenhaus gefunden haben, allen Ärzten, Schwestern und dem gesamten Krankenhauspersonal ein herzliches „Vergelt’s Gott“ zuzurufen.
Neun Ordensschwestern, eine Reihe weltliche Schwestern und das Hilfspersonal sind zurzeit. im Hause beschäftigt, die ihre ganze Kraft einsetzen, den Patienten den Krankenhausaufenthalt so angenehm wie nur möglich zu gestalten.
Wenn wir auf die 50 Jahre seit Bestehen des St.-Elisabeth-Krankenhauses zurückblicken, dann müssen wir mit dankbarem Herzen ausrufen: „Gottes Segen, der Schutz des hl. Joseph und die Fürbitte der hl. Elisabeth waren mit unserem Schwesternhaus!“
Walther Fuchs
(Quelle: Eichsfelder Heimatborn, Ausgabe vom 04.06.1955)