Ökonomisch-wissenschaftliche Beobachtungen an den Gespinstmotten der Gattung Yponomeuta Latr. (1959)

In den letzten Jahren sind in Mitteldeutschland die Gespinstmotten durch ihre rapide Vermehrung zum Schädling Nr. 1 für unseren Obstbau geworden, besonders der Zwetschen, Pflaumen, Kirschen und Apfelbäume. In der Flugzeit Ende Juni-Anfang Juli dieser kleinen silbrig-weißen und schwarz punktierten Falterchen konnte man in diesen lauen Sommernächten massenhafte Flugschwärme beobachten, welche dünnem Schneegestöber glichen. Ihre Flugzeit ist nur im Jahr einmal, da die Gespinstmotten nur eine Generation erzeugen. Ihre enorme Vermehrung und Ausbreitung sowie deren Verheerungen, welche ich im Friedatal seit 1953 beobachtete, waren in den letzten Jahren 1957 und 1958 geradezu besorgniserregend geworden. Besonders die Zwetschenbäume und die lebenden Weißdornzäune, sogar die Schwarzdornhecken an den Feldrainen waren mit schmutzig weiß-grauen Gespinstschleiern der spinnenden Raupen dieses Schädlings überzogen. In diesen Schleiern hatte sich der Staub der Straßen und Feldwege verfangen und gab so der ganzen Landschaft einen hässlichen Anblick.

Doch besorgniserregender ist der volkswirtschaftliche Schaden dieser Gespinstmotten, einmal durch Ausfall der Obsternten, zum andern sogar durch das Absterben der Obstbäume selbst. Betrachten wir einmal, welchen Schaden diese Räupchen in ihrer Fraßzeit den Zwetschenbäumen und Zweigen zufügen. Die Weibchen der Gespinstmotten legen ihre Eier während ihrer kurzen Flugzeit in die Triebwinkel und an die Rinde der Leitzweige. Diese über Winter liegenden Eier bilden so ein natürliches Winterfutter für Meisen, Kleiber und andere Weichfutter fressende Singvögel. Im zeitigen Frühjahr schlüpfen die meist gelben oder schmutziggrauen mit Reihen schwarzer Pünktchen an den Seiten besetzten Räupchen aus, verfertigen ein gemeinschaftliches Gespinst und wandern von da aus den Zweig unter dauerndem Spinnen und Fressen entlang, bis er kahl gefressen ist. Nur an den Stellen, wo die Räupchen sich häuten, machen sie kurze Ruheetappen und lassen dort ihre Raupenhäute und kleine schwarze Kotkrümelchen zurück. Nach drei- bis viermaliger Häutung hängen sich die Räupchen in ihrem letzten gemeinschaftlichen Gespinst auf und verpuppen sich dort. Hier schlüpfen dann die Falterchen nach acht- bis zehntägiger Puppenruhe aus.

Was ist nun die Folge oder besser gesagt der Schaden dieses Kahlfraßes an den betroffenen Bäumen und deren Zweigen? Die Zwetschen- und Pflaumenbäume tragen ihre Früchte nur am alten Holz. Dieses bedeutet schon einen Fruchtausfall von zwei hintereinander folgenden Jahren. Für die Bildung von Altholz sind immer zwei Jahre nötig. Fehlt den Zwetschenbäumen und Zweigen auch noch die Kraft, sich nach dem Kahlfraß des Frühjahrs im Sommer neu zu belauben (Johannestrieb), besteht die Gefahr, dass sie gänzlich absterben. Dieses Baumsterben konnte man schon im Friedatal 1957 und 1958 besonders an den jungen Bäumen beobachten.

Diese hatten nach dem Kahlfraß des Frühjahrs nicht die Kraft, sich noch mal zu belauben, vergaßen dann auch, im Frühjahr 1958 auszutreiben, sie waren abgestorben. Wir erlitten dadurch im Friedatal einen bedeutenden Schaden an Nachwuchs für die Zwetschenkultur. In den Tallagen des Friedatals hatten wir keinen Fruchtbehang, da durch den Kahlfraß 1957 kein Altholz da war. Auf den Höhen und an den Hängen war der Fruchtbehang unterschiedlich, aber im Ganzen minimal. Überall, wo 1957 die Gespinst motten gehaust hatten, war auch dort eine schlechte Zwetschenernte.

Welches könnten nun die Ursachen eines solchen allmählichen Überhandnehmens der Gespinstmotten bei uns in Mitteldeutschland sein? Man wäre vielleicht versucht zu denken, es könnten Falterwanderungen sein. Dieses trifft aber nicht zu, denn die Arten der Yponomeuta gehörten schon immer zu unserer Lokalfauna. Sie ist keine Neuerscheinung. Die allmähliche beobachtete Zunahme an Masse seit 1953 jedoch erklärt uns, „dass ihre natürlichen Vertilger weniger geworden sind oder fehlen“. In den Räupchen der Gespinstmotten leben Schlupfwesten und sogar die Art „Ageniaspis fuscicollis Dalm“. Diese Art legt nur ein Ei in das Mottenei, aber aus diesem einen Ei schlüpft eine Made. Diese Made pflanzt sich in der Raupe pedogenetisch fort, so dass dies eine Schlupfwespenei schließlich eine ganze Anzahl von Schlupfwespen ergibt. Es lässt sich heute schwer beurteilen, ob zu wenig Arten Schlupfwespen bei uns in der Natur vorhanden waren. Aber wir können mit Sicherheit feststellen, dass das Zunehmen der Gespinstmotten mit dem immer mehr fortschreitenden Abgang in unserer Vogelwelt zu suchen ist. Die an Rinde und Astwinkel gelegten Motteneier sind Winterfutter für alle Meisenarten und diese werden immer weniger bei uns. Diese wenigen sind nicht mehr imstande, diese Eiermassen zu vertilgen. Hinzu kommt noch, dass diese wenigen Meisen an den Futterhäuschen sich immer mehr an die Domestication gewöhnen und sogar durch alle möglichen unnatürlichen Futter totgefüttert werden. Man braucht kein Brutalist zu sein, aber vielen Menschen fehlt das realistische Denken. Nur Futter streuen – und dieses gilt für alle Wildvögel – auf Futterplätzen und Futterhäuschen bei geschlossener Schneedecke und hartem Frost!

Die Vögel werden der Gespinstmotten nicht mehr Herr. Wir müssen nun selbst zur Abwehr greifen. Die Obstbauer, die Gartenbesitzer mit leben den Zäunen, auch die staatlichen Betriebe, z. B. die Reichsbahn, müssen sich bei der Bekämpfung beteiligen. Die Zwetschen- und Apfelbäume an den Böschungen sowie die Böschungszäune starrten 1957 und 1958 von Gespinsten. Unter den mehrfach erprobten Spritzungen hatte folgende Methode den besten Erfolg: Wenn sich im Frühjahr die ersten gemeinschaftlichen Gespinste an den Zweigen zeigen, spritzt man mit einer Lösung von „15 g Certosan auf 1 Ltr. Wasser“. Man soll nicht erst die Zweige kahlfressen lassen.

Alle drei Arten oder Rassen der Gespinstmotten Yponomeuta kommen bei uns in Mitteldeutschland vor (man vergleiche die Tafel.) Der linke erste Teil stellt die Größe der drei Arten dar. Die Pfaffenhütchen (Evonymus europ.) Gespinstmotte irrorella. Hübn. misst in der Länge 11,5 mm und mit ausgespannten Flügeln 23 – 24 mm. Ihre Raupen rötlich schwefelgelb mit schwarzen Seitenpunkten. Der mittlere zweite Teil der Tafel ist die zweitgrößte Art, die Traubenkirschengespinstmotte yp. padella Lin. Sie ist 9 – 10 mm lang, mit Flügelspannung 19 – 21 mm. Sie ist die bei uns am häufigsten vertretene. Sie befällt nicht nur die Traubenkirsche, son dern hauptsächlich 3iwetschen, Pflaumen, Kirschen, Weiß- und Schwarzdorn. Ihre Raupen sind schmutzig-graugelb mit schwarzen Seitenpunkten. Die kleinste der Gespinstmottenarten ist die Afelbaumgespinstmotte, Tafel Abschn. 3, yp. malinella Lin. Sie misst nur 8—9 mm Länge und 18—20 mm Flügelspannung. Ihre Raupen sind fleisch-rötlich mit schwarzen Seitenpunkten. Die Weibchen der Apfelbaumgespinstmotte legen ihre Eier in länglichen Haufen an einen Apfelzweig, befinden sich zufällig mehrere Eigelege, also später dann mehrere Raupengemeinschaften an einem Baum, so geschieht es auch nicht selten, dass diese Apfelbäume vollständig überschleiert und kahlgefressen werden.

Was haben diese drei Gespinstmotten nun gemeinsam und was trennt dieselben? Es ist für den Nichtentomologen schwierig, dieselben auseinander zu halten. Sie sind alle große Schädlinge des Obstbaues und der Ziersträucher. Alle drei Arten oder Rassen haben die gleichen silbrig-weißen Vorderflügel mit etwas unterschiedlichen Punktreihen und ihre grauen Hinterflügel und alle Außenflügelränder sind mit breiten Fransen besetzt. Sie leben alle gemeinsam in gazeartigen durchsichtigen Gespinsten und verpuppen sich auch darin. Unterschiede, woran sie die Nichtentomologen bestimmt erkennen und auseinanderhalten können, gibt es in ihrer Metamorphose (Verwandlung) am Ende des Raupen- und Puppenstadiums.
 


 

Fig. 1 der Tafel, die Pfaffenhütchengespinstmotten (Bild oben) verfertigen sich undurchsichtige längliche schlauchartige gelbbraune Kokons und hängen sich wie kleine Würstchen in dem durchsichtigen Gespinst auf.

Fig. 2, die Traubenkirschengespinstmotte, macht einen durchsichtigen, schlauchartigen Kokon, hängt sich ebenfalls auf, aber man kann in ihrem schlauchartig durchsichtigen Kokon die Puppen, welche in der Mitte gelb, am Kopf, am Hinterleibsende und an den Flügelscheiden schwarzbraun sind, von außen erkennen.

Fig. 3, die Apfelbaumgespinstmotte verfertigt ebenfalls undurchsichtige Kokons wie Bild 1, hängen sich aber nicht einzeln auf, wie die beiden vor hergehenden Arten. Sie legen sich aufeinander und spinnen sich ein Paket zwischen zwei zusammengesponnenen Apfelblättern.

Bildobjekte in der Sammlung des Verfassers. Fotos: Heinrich Hardegen, Lengenfeld unterm Stein


Lambert Rummel
(Quelle: „Mühlhäuser Warte“, Ausgabe 1959/01, S. 9 – 13)