Nikolaus Müller
Hoheslied eines pflichtgetreuen Mannes
Am 6. Dezember 1967 starb in Lengenfeld unterm Stein im Alter von 78 Jahren der Eisenbahner Nikolaus Müller.
Der Tod dieses schlichten Mannes erweckt in uns Erinnerungen an ein Ereignis, das vielen Eichsfeldern und manchem einen grauenvollen Tod hätte bringen können, wenn, ja, wenn der Bahnunterhaltungsarbeiter Nikolaus Müller nicht gewesen wäre.
Es war an einem Sonntagmorgen des Jahres 1929. Herr Müller war mit dem Frühzug von Lengenfeld unterm Stein nach Schwebda gefahren, um wieder einmal die Strecke Schwebda-Lengenfeld abzugehen und zu kontrollieren. Gegen 8.00 Uhr marschierte er vom Bahnhof Schwebda los und hatte nach einigen Minuten den Westeingang des 1040 Meter langen Dachsbergtunnels (Frieda-Tunnel) erreicht. Er zündete seine Laterne an und schritt in den Tunnel hinein, immer die Schienen im Auge behaltend. So hatte er 250 Meter zurückgelegt, da stutzte er. Lagen da nicht behauene Steine auf den Schienen? Waren diese etwa aus dem Tunnelgewölbe gebrochen? Er hielt die Laterne hoch. Wahrhaftig, da oben waren Löcher im Gewölbe. Schnell stellte er die Laterne hin und räumte die Steine an die Seite, um die Schienen freizumachen. Während dieser Arbeit fielen aber neue Steine herunter, erst einzelne, dann immer mehr. Wollte denn der Tunnel einstürzen?
Plötzlich durchzuckte Müller der Gedanke: Um 10.50 Uhr kommt der Personenzug von Geismar, der den Tunnel passieren muss. Da lief er sofort zum Bahnhof Schwebda zurück und ließ nach dem Bahnhof Geismar melden, dass der Personenzug festgehalten werden müsse, es drohe ein Einsturz im Dachsbergtunnel. Zusammen mit dem Oberbahnmeister eilte er zur Einbruchstelle zurück. Aber da lagen schon dicke Felsbrocken auf den Schienen. Müller stürzte sich auf die Steine und schleppte mit aller Kraft die schweren Brocken zur Seite, um wenigstens den Tunnel eingleisig befahren zu lassen. Plötzlich ließ ein eigentümliches Rauschen Müller, der sich verletzt hatte, aufhorchen. Die Gefahr erkennend, stürzte er dem Eingang des Tunnels zu. Etwa 30 Meter war er gelaufen, gestolpert, da brach hinter ihm die Hölle los: Mit Poltern und Krachen stürzte der Berg bis zum Plateau in den Tunnel hinein und füllte den gesamten Hohlraum mit einer dicken Mauer von Sand, Geröll und Felsbrocken. Am Bahnhof Geismar aber stand der Zug wohlbehalten auf dem Gleis. Die Reisenden, erst verärgert über den unfreiwilligen Aufenthalt, waren froh und glücklich, als sie erfuhren, welchem furchtbaren Schicksal sie entgangen waren.
In Dankbarkeit denken wir heute auch nach fünfzig Jahren an Nikolaus Müller, der seine Pflicht bis zum Augenblick höchster Lebensgefahr getreulich erfüllte und durch sein schnelles Eingreifen das Leben vieler rettete.
Nikolaus Müller, der ein großer Gegner des Faschismus war und in den Jahren von 1933 an deswegen mehrmals gemaßregelt wurde, setzte sich nach 1945 mit ganzem Herzen für den Aufbau eines neuen demokratischen Deutschlands ein. So wurde er bereits am 1. August 1945 als Gemeinderat berufen.
Da er wusste, dass jeder friedliebende Mensch, sei er Christ oder Marxist, beim Wiederaufbau eines besseren Deutschlands gebraucht wurde, gründete er am 2. Oktober 1945 die Christlich Demokratische Union mit mehreren fortschrittlichen Kräften, deren Vorsitzender er bis 1952 war.
Bei den Gemeindewahlen im Jahre 1946 wurde er als Gemeinderat gewählt und als Schriftführer der Gemeindevertretung berufen. Sein schlechter Gesundheitszustand zwang ihn, diese Wahlfunktion 1950 aufzugeben.
Sein Lebensziel war es, jedem Menschen zu helfen.
Walther Fuchs