Im idyllischen Luttergrund (1934)

Alljährlich, wenn die Menschen nach der langen Winterzeit von den ersten Frühlingssonnenstrahlen ins Freie gelockt werden, auf der Höhe aber noch die rauen, stürmenden Winde um die Herrschaft des Winters ringen ist das geschützt liegende Luttertal das Ziel vieler Spaziergänger. Die Höhenbewohner von Wachstedt, Küllstedt und Effelder ziehen in großen Scharen dorthin, wo bereits das Bächlein die Eisfesseln gesprengt hat. Führt den Wanderer der Weg über den Bahnhof Effelder nach dem malerischen Luttergrund, so liegt das Tal in seiner ganzen Anmut und Schönheit vor ihm.

Schaut er am Rande des Bahn-Plateaus stehend den steilen Berg hinab, so gewahrt er rote Ziegeldächer, die scheinbar aus dem frischen Waldesgrün herauswachsen. Es ist dies besonders das rot leuchtende Mansardendach der im Jahre 1927 in musterhafter Weise neuerbauten sich hart an den Mühlberg anschmiegenden „Klostermühle“ oder auch „Mittelmühle“ genannt. Den Namen Klostermühle trägt sie deshalb weil sie früher dem ehemal. Benediktinerinnenkloster Zella gehörte. Mittelmühle wird sie vornehmlich in Großbartloff bezeichnet, da sie in der Mitte der drei, an dem Oberlauf der Lutter gelegenen Mühlen ihren Platz hat. Sie stammt aus alter Zeit. Wurde sie doch bereits, wie auch ihre Nachbarin die Luttermühle, bei der ersten geschichtlichen Erwähnung von Klosters Zella in der vom Papste Innozenz bestätigten Urkunde vom Jahre 1215 genannt.

Nach alten Aufzeichnungen vom Jahre 1615 brauchte die Klostermühle dem Kloster Zella jährlich 40 Taler Pacht. Demzufolge wurde die Klostermühle nicht direkt von Kloster Zella verwaltet, sondern durch einen Pächter.

Infolge der Säkularisation des Klosters Zella ging auch die Klostermühle am 1. Juni 1811 in den Besitz der Kommerzienräte Ludwig Wilhelm Lutterott und Heinrich Wilh. Röbling (Mühlhausen) über. Dieselben trennten die Klostermühle von dem Gesamtbesitz des Klosters Zella und verkauften sie durch den Vertrag vom 26. März 1851 an den Fabrikanten Johann Michael Voigt (Mühlhausen). Dieser ließ sofort einen dritten Stock aufsetzen und richtete eine Spinnerei daselbst ein, die sich jedoch nicht rentierte und gar bald wieder eingestellt wurde. Bereits nach 4 Jahren finden wir daher die Mühle wieder im Besitz des Herrn Lutteroth zu Kloster Zella, der sie abermals am 21. März 1857 für 6000 Taler an den Müller und Landwirt Johann Georg Wilh. Schweißhelm (Effelder) wieder verkaufte. Derselbe richtete eine Walkmühle ein und verpachtete sie an Herrn Ignaz Faupel in Küllstedt. Georg Wilh. Schweißhelm erbte das Grundstück von seinem Vater, war aber kinderlos und verkaufte die Mühle nebst einer halben Hufe Land, die er in der Effelderschen Flur besaß, am 7. April 1884 an die Familie Mühlenbesitzer W. Kümstedt und Frau Pauline geb. Rauschenberg.

25 Jahre blieb die Mühle im Besitz dieser Familie, bis sie 1908 von dem Mühlenbesitzer Aloys Pudenz (Großtöpfer) übernommen wurde. Der Mühlbetrieb schlief nun nach und nach ein. Eine Mühlhäuser Familie, die ihre Mietwohnung dort gefunden hatte, verwaltete den Grundbesitz. Durch den Kaufvertrag vom 27. März 1920 wurde der Fabrikant Paul Reise (Mühlhausen) Besitzer der Klostermühle. Er ließ die gesamte Mühleinrichtung vollkommen überholen, setzte sie wieder in Betrieb und verkaufte sie mit aller Zugehörigkeit bereits 1921 an den Müller W. Breede (Lippoldsberg a. W.). Die Mühle wechselte nun jährlich ihren Besitzer. 1922 heißt der Besitzer Knot, 1925 ist der Müller Strunk und 1925 der Landwirt Wilhelm Köhler der Besitzer. Bei dem letztgenannten Eigentümer wurde die uralte Klostermühle von dem Schicksal ereilt. In der Nacht vom 26. zum 27. Januar 1926 stand plötzlich ihr Dachstuhl in hell lodernden Flammen. Das ganze Gebäude brannte bis auf die massiven Grundmauern völlig nieder. Den Brandplatz sowie die zur Mühle gehörigen Grundstücke erwarb im Jahre 1926 der Oberpostsekretär Georg Töpfer und ließ auf die Grundmauern der alten Mühle ein prächtiges, anmutiges Pensionshaus aufbauen. An die alte Mühle im lauschigen Wiesengrund erinnert nur noch das bemooste Mühlrad (oberschlächtiges Wasserrad), das aus seiner Bahn gehoben uns stumm in den Bann der alten Wassermühle zurückzieht. Das Wehr ist heute immer geöffnet und emsig schäumend stürzen sich die Wasser in den Abgrund.

Und sitzt du, freundl. Leser, in dem Kühlen schattigen Garten der Klostermühle, der rings von dem frischen Bergwasser umspült wird, dann weht dir aus der stillen friedlichen Landschaft und der Melodie des Wassers Ruhe und Frieden ins Herz: „Dort unten in der Mühle saß ich in süßer Ruh‘ — und sah dem Räderspiele und sah den Wassern zu ...“ So singt das muntere Bächlein unverdrossen seine stille Weise.

Von der einen Seite an den Mühlberg angelehnt, ist sie von drei Seiten mit saftigen Wiesen, Gebüsch und einigen dunkelglänzenden Tannen umgeben. Mit ihrer herrlichen Umgebung bildet die schmucke Klostermühle eine Zierde des malerischen Luttergrundes. Zu ihrem Areal gehören etwa 10 Acker Wiesen und Land, die um sie herum liegen. Nach Westen zu, an ihren Grundbesitz anschließend, liegt die große Klosterwiese mit ungefähr 30 Morgen Fläche, welche heute noch Eigentum des Klosters Zella ist. Der Grundbesitz der Klostermühle sowie die dahinter liegende Pfarrwiese von Effelder und die Klosterwiese bildeten früher die Grenzgrundstücke des Amtes Gleichenstein gegen die Bartloffer Flur, die ehedem zum Amte Bischofstein gehörte.

Kaum fünf Minuten talaufwärts von der Klostermühle entfernt mitten in dem Tal, das von steilen, mit herrlichem Buchenwald bestandenen Höhen umgrenzt ist, liegt die „Luttermühle“ oder auch „Obermühle“ genannt. Ihren Namen trägt sie nach dem Bächlein „Lutter“, das dort in ihrem Garten aus der Erde hervorquillt. Die Ansiedelung der Luttermühle fällt auch in die erste Siedlungsperiode. Der Propst Heinrich aus Kloster Zella verkaufte am 21. Dezember 1363 die Luttermühle für 18 Pfd. Mühlhäuser Währung an Heinrich Schreck. Im Jahre 1603 ging die Luttermühle wieder in den Besitz des Klosters Zella zurück, weil die Besitzer die Mühle nicht mehr bewohnten und auch den fälligen Zins an das Kloster nicht mehr entrichteten. Der Rückkauf der Luttermühle wurde am 5. Juni 1603 von dem Kurfürsten dem Kloster Zella gestattet, jedoch unter der Bedingung, dass das Kloster bei jedem Wechsel der Äbtissinnen ein Lehngeld an das Amt Gleichenstein zahlen musste, in dessen Territorium die Mühle lag. Ferner wurde ein Erbzins gefordert. Das Kloster musste 1770 an das Amt Gleichenstein 2 Taler 8 Gr. Zins, 1 Huhn, 2 Hähne und ein Schock Eier abliefern. Der Pächter der Luttermühle musste dagegen an das Kloster 1615 Folgendes entrichten: 20 Taler bar, 16 Malter*) Korn, 15 Groschen für den Pflugdienst, 5 Gr. für den Handdienst, 5 Taler 8 Gr. Mühlzins sowie 10 % Lehngeld. (*1 Malter= 6 Scheffel, 1 Mühlhäuser Scheffel= 64. Pfd., 1 preuß. Scheffel= 85 Pfd. Gewicht).

Nach Auflösung des Klosters Zella (1810) wurde der Erbpächter der Luttermühle, Oberthür, Eigentümer derselben. Erbnachfolger wurde dann der Sohn Georg Wilh. Oberthür. Fm Fahre 1868 ging sie jedoch erbteilungshalber an Heinrich Herzberg über. Seit dieser Zeit ist die Mühle bis heute im Besitz der Familie Herzberg.

An dem Hause ist eine Inschrift neben dem Mainzer Rad sowie das Müllerwappen zu finden. Die lateinische Inschrift lautet übersetzt: „Gott gebe Heil und Frieden denen, die hier ein und ausgehen. Diese Mauer ließen die 4 Brüder Oberthür ausbessern und errichten. Anno 1738 12. September.“ (Unser Eichsfeld 1930, Nr. 3, S. 62).

Im Garten der Luttermühle entspringt unter einem Felsen die Lutter. Das silberklare Bächlein tritt ganz wuchtig an das Tageslicht und treibt nach ungefähr 50 m bereits im Verein mit dem Neunbörner das große Mühlrad.

Sie dürfte daher den stärksten Quellen des Eichsfeldes zugezählt werden. Um 1900 herum wurde ein großer Bau errichtet, in dem eine Spinnerei ihren Betrieb einrichtete. Um in trockenen Jahren bei Ermangelung der Wasserkraft den Betrieb aufrecht zu halten, wurde eine Dampfkraftanlage dem Werke beigefügt. Der flotte Betrieb wurde bei dem Kriegsausbruch sofort stillgelegt. In der Nachkriegszeit war eine moderne Möbeltischlerei daselbst eingerichtet, deren Lebensdauer jedoch ganz kurz war. Heute stehen die großen Räume leer. Der hohe Schornstein, dessen Krone bereits zerfallen ist, ragt leblos in den Himmel hinein, auf einen neuen Wirtschaftsfrühling wartend.

In der Nähe der Luttermühle lag früher die Wüstung Lutterhausen, Lutterreckshusen, oder auch Litterichshausen früher genannt. Dieselbe wurde 1420 urkundlich erwähnt in einem Lehnsbriefe des Mainzer Kurfürsten Konrad III. an die Ritter von Evershausen. Eine Hufe Land und eine Mühle hatten die Ritter von Volkerode dort als Eigentum. Um 1600 herum soll Lutterhusen schon Wüstung gewesen sein.

Während der Zeit des Bahnbaues der Strecke Leinefelde – Treysa herrschte im Luttertal reges Leben. In der Nähe der Luttermühle war eine Baubude und Wohnbaracke verbunden mit Kegelbahn und Tanzsaal.

In dem trockenen Jahre 1911 war für den Luttergrund ein großes Projekt geplant. Zwecks Schiffbarmachung der Werra sollte oberhalb der Luttermühle eine große Talsperre erbaut werden, die 3 Millionen Kubikmeter aufstauen sollte. Durch eine große Mauer sollte dieselbe abgeschlossen werden. Gleichzeitig sollte ein großes Kraftwerk angelegt werden. Die Herstellungskosten der Sperre waren auf rund 1.300.000 Mk. berechnet. Die Kosten der maschinellen Anlagen waren auf rund 157.750 Mk. veranschlagt. Die jährlichen Ausgaben waren auf 73.995 Mk. berechnet, denen die Einnahmen von 74.386 Mk. gegenübergestellt waren, die sich in dem Verbrauch der Pferdekraftstunden, zu je 3,2 Pfg., für Hochwasserschutz 1 Prozent der Baukosten der Sperre, für Fischzucht sowie für Trinkwasser pro qm 5 Pfg. gliederten. Die Talsperre sollte einen vierfachen Nutzen haben. Sie sollte den Wasserstand der schiffbar zu machenden Werra regulieren, damit sie auch in trockenen Jahren befahren werden kann. Sie sollte ferner die Hochwassergefahr vermindern, der Industrie billige Kraft liefern und in wasserarmen Zeiten zur Berieselung von Feldern und Wiesen dienen. Leider ist die Ausführung dieses gigantischen Projekts ein frommer Wunsch geblieben.

Der Klostermühle gegenüber, an der rechten Ecke des Westerwaldes, ist die Quelleinfassung des Gläseners zu finden. Seit 1911 liefert diese klare, starke Quelle das Trinkwasser für die Höhendörfer. Selbst in trockenen Zeiten hat diese Quelle noch nie versagt.

Begleiten wir den Flusslauf der Lutter bis zu dem Stauwehr über der Spitzmühle, wo das Wasser der Lutter die Turbine des obereichsf. Wasserwerkes speist, so gelangen wir an einen der schönsten Wasserfälle des Eichsfeldes. Über die wilden Felsen gleitend, stürzen sich die rauschenden Fluten aus der Höhe in die gähnende Tiefe, die von hohen Bäumen, Hecken und Sträuchern ringsum bewachsen ist. Geeignete Anlagen könnten den wilden Wasserfall in ein reizendes Fleckchen Erde gestalten, gleich der Scheuche bei Heiligenstadt.

Unterhalb des Wasserfalles liegt die Spitzmühle. Früher waren daselbst zwei Mühlen vorhanden. Die obere Mühle wurde nach dem Verkauf der Spitzmühle an den obereichsfeldischen Wasserverband abgebrochen. Vorübergehend war früher in der Spitzmühle, während der Blütezeit der Wollmanufaktur, eine Presse in Betrieb. Der Mühlraum der unteren Mühle wurde vor einigen Jahren in geeignete Wohnräume umgebaut. Das Mühlrad derselben, das bis vor einigen Jahren noch erhalten war, ist nun doch dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen. Heute laufen in der Spitzmühle die großen Treibräder der Pumpen emsig, um das Obereichsfeld mit gutem Trinkwasser zu versorgen.

Einen anmutigen Anblick gewähren die gewaltigen Anhöhen, die das Tal nach drei Seiten hin begrenzen. Der das Luttertal umgebende Wald bildet einen schönen Naturpark. Stundenweit führen die Wege durch dämmrige Buchenhallen mit freundlichem Grün und durch himmelanstrebende Fichtengänge mit ihrem ozonreichen Harzduft. Immer wieder bieten sich dem Auge liebliche Bilder von bewaldeten Höhen und steilen Schluchten. Das behagliche Kurhaus Klostermühle im romantischen Luttergrund, eine Sommerfrische im besten Sinne des Wortes, macht jedem den Aufenthalt im Luttergrund so angenehm, dass jeder immer gern wieder zurückkehret in den Bann der rauschenden Lutter.

Das historische Material wurde der handschriftl. Chronik im Gemeinde-Archiv Effelder sowie u. a. den Akten des Grundbuchamtes Mühlhausen i. Th. entnommen.

Leo Huke (Effelder)
(Quelle: Mein Eichsfeld, Heimat-Jahrbuch für 1934, S. 94 – 98)