Das Zugunglück am Rottenbachtunnel - Gleisverwerfung war vermutlich nicht die Ursache

Als mit der Abschiedsfahrt der Kanonenbahn, am 31.12.1992, eine 112-jährige Tradition der legendären und wohl imposantesten Eisenbahnstrecke Deutschlands zu Ende ging, war ein Verfall derselben, mit langsamer Renaturierung der Strecke, nur noch eine Frage der Zeit. Der Rückbau, so nach meiner Recherche, hatte allerdings seine Tücken, denn der unter dem Gleisbett befindliche Schotter und Boden ist mit den unterschiedlichsten Giftstoffen kontaminiert und gilt als Sondermüll, der einer fachgerechten Entsorgung bedarf. Die Kosten hierfür gehen aber über den Wert des gewonnenen Schienenmaterials hinaus. So blieb alles beim Alten und die Bahnstrecke wurde zwangsläufig als technisches Denkmal erhalten. Vorausschauenden Bürgern wurde damit die Tür geöffnet, sich einmal Gedanken über eine sinnvolle Nutzung dieser reizvollen und einmaligen Strecke in Deutschland zu machen.

Im Jahr 2002 kam es daher in Lengenfeld/Stein zur Gründung des Kanonenbahnvereins, welcher künftig Draisinenfahrten im Auge hatte. Die Idee wurde zum Erfolg und mittlerweile ist die jährliche Besucherzahl mit weltweiten Gästen auf ca. 30.000 Personen angewachsen. Wohl kaum ein Besucher erinnert sich bei der Fahrt durch die wechselvolle Landschaft noch daran, dass er auch Abschnitte durchfährt, wo einmal ein Zugunglück passierte. Besonders zu erwähnen ist das Zugunglück am 30.05.1942 zwischen dem Lengenfelder Viadukt und Schloss Bischofstein, unweit der durch das Effelder Tal verlaufenden Bahnunterführung des Verbindungsweges zwischen Lengenfeld und Effelder. Der Internatsschüler Kurt-Richard Hammerak probierte die im Unterricht gelernten Härtegrade von Steinen und Mineralien auf den Bahnschienen aus und verursachte dadurch das Unglück. Personen kamen nicht zu Schaden.

5 Jahre zuvor gab es am 04.09.1937 ein Eisenbahnunglück am Ausgang des „Rottenbach“- oder auch „Mühlenberg II“-Tunnels. In der „Thüringer Gauzeitung“ vom 06.09.1937, lesen wir (auszugsweise) dazu:

„Auf der Strecke Leinefelde-Eschwege ereignete sich am Sonntag ein Eisenbahnunglück, das unabsehbare Folgen hätte haben können. Der Mittagszug entgleiste um 15.20 Uhr, unmittelbar am Ausgang des 343 m langen Mühlenberg II Tunnels, rund 700 m vom Bahnhof Effelder entfernt. Die Lokomotive stürzte um und 4 Wagen entgleisten. Der anhängende Postwagen wurde quer über die Gleise gezogen und vollständig zertrümmert. Der Zimmerman Anton König aus Großbartloff erlitt eine schwere Verletzung, welche die Amputation seines rechten Armes erforderte. Der Bahnangestellte Georg König, ebenfalls aus Großbartloff, kam mit inneren Verletzungen davon. Der Lokomotivführer erlitt nur leichte Verletzungen, und der Heizer wurde von den im Tender befindlichen Kohlen verschüttet, trug aber keine Verletzungen davon. Als Unglücksursache ist anzunehmen, daß der leere Postwagen hinter der Lokomotive, im Tunnel aus den Schienen gesprungen ist und so das Unglück verursachte. Als wirkliche Ursache wurde aber im Nachhinein eine Gleisverwerfung, als Folge einer hinter dem Tunnelausgang aufgetretenen Dammsenkung festgestellt, was auf die besonderen, geologischen Verhältnisse zurückzuführen ist.“

Neue Erkenntnisse widersprechen bisheriger Erklärung

Nahezu 80 Jahre später ergibt sich aber ein völlig anderes Bild über die Unglücksursache. Die noch lebende Zeitzeugin, Frau Marianne Wredenhagen, geb. Koch, aus 78661 Dietingen, Tochter des Streckenläufers Andreas Koch, teilte mir dazu am 10.03.2015 Folgendes mit:

„Die von meinem Vater zu kontrollierende Bahnstrecke war der Abschnitt zwischen Küllstedt und Schwebda. Er hatte täglich 17 km zu laufen, abwechselnd zwischen seinem Wohnhaus im Bilstal bei Lengenfeld, bis Schwebda und den anderen Tag bis Küllstedt. Seine Arbeitszeit war durch die Züge, mit denen er die Heimfahrt antreten musste, geregelt. Bei beiden hier erwähnten Unglücken befand auch er sich jedes Mal auf der Heimfahrt im Zug. Nach seiner Meinung ist der Eisenbahnunfall nicht auf einen Erdrutsch oder Gleisverwerfung zurückzuführen, da er etwa 1,5 Std. vorher die Unglücksstelle als Streckenläufer passierte und keinerlei Unregelmäßigkeiten dort feststellte. Wären die Verwerfungen von ihm übersehen worden, so hätte man ihn mit Sicherheit zur Verantwortung gezogen. Es ist also nahezu unwahrscheinlich, dass der Erdrutsch nach seiner in Augenscheinnahme noch aufgetreten ist.“

Wie er damals seiner Tochter sagte, lag der Fehler an der ungeeigneten Lok, die aus den Schienen sprang. Dieselbe war, wie die Nummer 571827 erkennen lässt, eine Güterzuglok, die in diesem Fall keinen Personenzug ziehen durfte. Nur für Rangierfahrten zugelassen, kam sie dann dennoch zum Einsatz, weil die Personenzuglok ausgefallen war. Das war auch damals die Meinung der Eisenbahner, doch diese Meinung zu publizieren, hätte das Ansehen der Deutschen Reichsbahn, in nicht unerheblichem Maße geschmälert. – Bemerken muss man auch, dass zwei Jahre vor Beginn des 2. Weltkrieges infolge der Mobilmachung überall gespart wurde, auch bei der Bahn.

Zwischenzeitlich ist Gras über die ganze Sache gewachsen und das Pfeifen und Läuten der Lokomotive lange verstummt. Dafür wird mit ständig zunehmenden Draisinenfahrten, einer Erweiterung der Strecke bis nach Dingelstädt und Fahrgästen aus der ganzen Welt die Stille der Kanonenbahntrasse mit neuem, naturverbundenem Leben erfüllt. Das ist fürwahr ein großes Stück Kultur!

Frau Marianne Wredenhagen möchte ich für ihre Informationen ganz herzlich danken.

Bernd Homeier
Großbartloff