Das Streckenwärterhaus am Entenbergtunnel

Bilstal oder Buschtal

Die Geschichte des gleichnamigen Steckenwärterhauses am Entenbergtunnel von den Anfängen bis heute

Die wenigen, entlang der „Kanonenbahn“ zwischen Leinefelde und Eschwege errichteten Wohngebäude waren in ihrer Funktion Dienstwohnungen der Eisenbahner. Sie haben die Geschichte dieser legendären Bahn über mehrere Jahrzehnte mitgestaltet und werden in der Literatur wenig, oder gar nicht erwähnt. In unserer näheren Umgebung sind da zu nennen:

  • zwischen den Stationen Dingelstädt und Kefferhausen das Schrankenwärtergebäude am Mittelberg;
  • zwischen den Stationen Küllstedt und Effelder, unweit des Küllstedter Tunnels das Schrankenwärterhaus „im Böddischen“;
  • am Südausgang des Entenbergtunnels das Streckenläuferhaus „im Bilstal“;
  • das Schrankenwärterhaus unterhalb des Bahnhofs Geismar „am oberen Geigenrain“, unweit der Straße Geismar-Bebendorf.

Die Standorte dieser Gebäude waren an die Lage der zu beschrankenden Bahnhübergänge gebunden, das Bilstal ausgenommen. Wenngleich dadurch auch eine erhebliche Ortsferne verbunden war, so hatte man aber den Arbeitsplatz direkt vor dem Haus. Ein Traumjob, ganz gewiss. Anders hingegen erging es dem Streckenläufer, der mit den Launen des Wetters zu kämpfen hatte. Dies insbesonders im Winter, wenn bei meterhohen Schneeverwehungen der Scheitelpunkt der Obereichsfelder Höhe unterhalb des Bahnhofs Küllstedt zu durchschreiten war. Da musste er sich gewiss warm anziehen, im wahrsten Sinne des Wortes.

Die nach Zweckmäßigkeit und in schlichter Architektur errichteten Gebäude wurden aller Wahrscheinlichkeit nach Fertigstellung der Bahnstrecke gebaut. Bei jedem Haus befand sich noch ein so genannter „Melder“, eine Glocke, die mit drei Anschlägen den nahenden Zug ankündigte.

Wir wollen uns heute ein wenig eingehender mit er Geschichte des Streckenläuferhauses im Bilstal, deren Bewohner, ihren Aufgaben und ihrer Familiengeschichte befassen. Vorwegzunehmen ist aber noch, dass der Name „Bilstal“ völlig korrekt ist, aber in Lengenfeld und Großbartloff immer nur die Rede vom „Buschtal“ war, wenn es um das besagte Haus ging. Bleiben wir also bei der letztgenannten Definition. Vermutlich hatte man bei der Erbauung des Gebäudes primär die Sicherheit des Entenbergtunnels im Auge. Einen Bahnübergang gab es nie, und ein Streckenläufer hätte auch in den umliegenden Dörfern wohnen können. Außerdem gab es auf der anderen Seite des Schienenstranges noch ein kleines Häuschen mit Unterkunftsraum für Tunnelwachpersonal und Streckenarbeiter sowie einen Lagerraum für die unterschiedlichsten Werkzeuge und Materialien.

Der 1. nachweisbare Bewohner des „Buschtales“ war der am 06.08.1847 in Kella geborene Streckenläufer und Weichensteller Georg Schneider, der am 10.04.1923 in Geismar an Herzwassersucht starb. Die ebenfalls in Kella am 15.06.1853 geborene Ehefrau Anna Maria starb am 15.11.1935 in Lengenfeld während eines Besuches bei der hier wohnenden Tochter. Die Leiche wurde aber zum Wohnort Geismar überführt und dort bestattet. Die Tochter des Ehepaares Schneider, Katharina, heiratete Alois Hardegen aus Lengenfeld, einen Onkel des Buchbindermeisters Rudolf Hardegen. Bis zum Ende des Jahres 1919 wohnte die Familie Schneider im „Buschtal“ – und soweit diese Familiengeschichte.

Ab dem 01.01.1920 wurde das Gebäude Herrn Andreas Koch, geb. am 28.05.1891 in Bischofferode b. Spangenberg/Hessen, als Dienstwohnung zur Verfügung gestellt. Auf Grund einer Kriegsverletzung im 1. Weltkrieg wurde selbiger zum Streckenläufer ausgebildet. Herr Koch wohnte aber schon vorher in Lengenfeld im Unterland, möbeliert in dem Haus unterhalb der späteren Gärtnerei Morgenthal. Die couragierte Vermieterin und Frau des Hauses war dem jungen, attraktiven Eisenbahner sehr zugetan und ersuchte ergo mehrmals, diesen mit ihrer Tochter, die sie „meine Praxika“ nannte, zu verkuppeln. Wenn auch die Liebe bekanntlich blind macht, in diesem Fall aber fielen alle Verkupplungsveruche auf trockenen Boden. Andreas Koch heiratete 1919 die am 02.09.1889 in Ebertshausen/Thür. Wald geborene Helene Hartung. Am 01.01.1920 bezog das junge Paar das „Buschtal“. Ein schönes Leben, aber nicht frei von Entbehrungen und Unzulänglichkeiten begann seinen Lauf. Noch im November des gleichen Jahres wurde Sohn Fritz geboren und 4 Jahre später folgte Tochter Marianne. Nun, die Leiden des Tages nehmen ja bekanntlich der Nacht nicht ihre Freuden.

Zum Wohnhaus gehörte eine separat gebaute Waschküche mit integriertem großen Backofen, ein Stall für Ziegen und ein Schwein sowie ein Plumpsklo, auch „Donnerbalken“ genannt, der in die Jauchengrube des Stalles mündete. Am Stall angelehnt befand sich der selbst gebaute Holzschuppen. Die zur Viehhaltung benötigten Felder lagen beiderseits der Bahnlinie, vor und hinter der Unterführung des Bahndammes sowie beim Haus. Auf der gegenüberliegenden Seite der Bahnstrecke stand ein Bienenhaus mit 13 Völkern und das bereits erwähnte Unterkunftsgebäude der Streckenarbeiter. Einen ordentlichen Zufahrtsweg gab es nicht, nur einen Feld- und Holzabfuhrweg in Richtung Tal. Grundsätzlich wurde neben den Schienen gegangen. Wegen einer Verwerfung des Dammes mussten die Schienen mehr mittig verlegt werden, so dass dieser Weg, wo einst das zweite Gleis lag, nicht als Fahrweg in Frage kam. Am tiefsten Punkt des Bahndammes gab es eine Pumpe, mit der gesammeltes Oberflächenwasser gefördert werden konnte, was in Eimern ca. 300 m bergauf getragen werden musste. Es war strikt verboten, dieses Wasser zu trinken, weil die regelmäßig durchgeführten Untersuchungen der Wasserproben stets das gleiche Ergebnis aufwiesen: verseucht durch Fäkalbakterien. Schuld an der Verunreinigung waren Kühe, die in viel zu großer Zahl auf der nur wenige Meter entfernten Weide untergebracht waren. Förmlich haben diese Tiere in den Brunnen gepinkelt. Das konnte nicht so weitergehen. Familie Koch schlug Krach und die Reichsbahn reagierte. Umgehend wurden alle 2 Tage durch den Güterzug 2 Kannen mit Leitungswasser aus Leinefelde im Tausch gegen 2 leere Kannen der Familie vor das Haus gestellt. Für die Bahn war das ein teurer Spaß, denn jedes Anfahren der Lok kostete 2 Zentner Kohlen. Das Positive dieser Regelung bestand aber auch darin, dass sich ein persönlicher Kontakt zum Zugpersonal aufbaute, Neuigkeiten ausgetauscht wurden und der Tochter des Hauses eine Mitfahrgelegenheit zum Lengenfelder Bahnhof eingeräumt wurde, damit diese im Dorf ihre Einkäufe erledigen konnte.

Ein weiteres Problem im „Buschtal“ war die Beleuchtung. Da es keinen Stromanschluss gab, musste Großmutters Petroleumlampe herhalten. Das diffuse Licht einer solchen Funzel macht aber mit der Zeit die Augen kaputt, besonders beim Lesen. Im 2. Weltkrieg erlosch dann sogar diese bescheidene Lichtquelle, da Petroleum für Privathaushalte nicht mehr zur Verfügung stand. So musste die Bahn für eine Lösung sorgen und diese hieß Propangas. Vor dem Küchenfenster wurde ein kleines, abschließbares Häuschen für die große Gasflasche gebaut und von dort eine Leitung in Küche und Wohnzimmer gelegt. Wenngleich der Umgang mit Gas eine gewisse Gefahr bedeutete, war eine Verbesserung der Lebensqualität unumstritten, die in hellerem Licht und dem Anschluss eines zweiflammigen Gaskochers bestand. Die schwere Gasflasche wurde von Leinefelde per Güterzug angeliefert und jeweils umgetauscht, wenn sie leer war. Im ganzen Haus gab es nur 2 beleuchtete Zimmer. Nun, zum Schlafen braucht man wohl kein Licht, oder?

Es war also nicht einfach, das Leben im „Buschtal“, es war aber auch meine schönste Zeit, erinnert sich Tochter Marianne, die immer allein spielen musste und regelrecht menschenscheu wurde. Damit sie sich an andere Kinder gewöhne, ging sie in halbes Jahr vor der Einschulung in den Lengenfelder Kindergarten. Nicht ganz einfach bei einem Fußweg von 3 km, morgens und abends. Problematischer wurde es dann allerdings mit der Schule, denn da wollte sie nicht mehr hingehen, weil sie von anderen Kindern beschimpft und angespuckt wurde. Ihren Bruder bewarf man mit Steinen, so dass er am Auge getroffen und genäht werden musste. Warum dies alles? Kochs Kinder waren nun mal anders, sie glaubten zwar an den gleichen Gott wie die Katholiken, waren aber wie es damals abwertend hieß – „lütherisch“ (lutherisch) – oder auch „calvinsch“ (calvinistisch). Noch vor einem halben Jahrhundert wurde uns u.a. im Religionsunterricht erklärt, dass Martin Luther ein Irrlehrer gewesen sei, von dem man mit Sicherheit sagen könne, dass er in der Hölle ist, und wenn man mal in einer evangelischen sei, so solle man nicht in dieser beten! – Ob solchen Schwachsinns, der auch noch geglaubt wurde, bedarf es wenig Fantasie, das Verhalten der damaligen Kinder gegenüber „Andersgläubigen“ zu verstehen.
Noch 1970 wog der Lengenfelder Ortspfarrer, den ich gut kannte, bedenklich sein Haupt als ich im erklärte, dass ich ein evangelisches Mädchen heiraten und damit eine Mischehe eingehen wolle. Nun bis dato hat es mit Höhen und Tiefen wie überall einigermaßen geklappt, und sicher werde ich den Rest auch noch „gemischt“ über die Bühne bringen. Das ist zwar alles Vergangenheit, aber es gehört dazu, aus heutiger, ökumenischer Sicht, die damaligen Dinge richtig zu sehen.

Nach diesem Umweg wieder zur Familie Koch zurück, die mit dem grünen Daumen begabt war. Sie machte aus dem geschützten Eckchen im „Buschtal“ ein Blumenmeer. Die Züge fuhren langsam, damit sich die Fahrgäste an der Blumenpracht dieser Oase erfreuen konnten. Im Bedarfsfall wurde sogar der ortsansässige Gärtner beliefert, wenn dessen Vorräte erschöpft waren und er für Kränze größere Mengen benötigte. Natürlich wurde alles Gemüse selbst gezogen und an Obst fehlte es nie. Vater Andreas Koch zog sich aus Wildlingen die Obstbäume selbst und bepflanzte mit verschiedenen Sorten die ganze Wiese. Die Bienen hatten voll auf zu tun, wen es eine gute Ernte werden sollte.

Natürlich hat alles viel Arbeit gemacht, denn Maschinen waren im „Buschtal“ nicht einsetzbar. Da wurde mit der Sense gemäht, das Heu mit der Schubkarre heimgefahren und auf dem Rücken zum Heuboden geschleppt. Tagelang stand Mutter Helene auf dem Acker, Kartoffeln setzen, hacken, häufeln und ernten. Dazu kamen noch die Wege nach Lengenfeld zum Einkaufen und dann alles nach Hause tragen. Nach 1945 änderte sich diese Situation zum Positiven, als Tochter Marianne in Nordhausen ausgebombt, wieder nach Hause kam. Nun war sie der Packesel, der, allerdings mit dem Fahrrad die Wege erledigen musste. Heute in Süddeutschland lebend schrieb sie mir: „Trotz mancher Quälerei in der Abgeschiedenheit des „Buschtales“ – ich habe an meine Heimat nur die besten Erinnerungen, es war die schönste Zeit meines Lebens! Unser kleines Paradies werde ich nie vergessen!“ – Weiter teilt sie mir mit, was sonst noch im „Buschtal“ passierte:

„Da war noch was mit den Rindern der damaligen LPG, die auf ihrer Weide nichts mehr zu fressen fanden. Der morsche Zaun stellte keine Hürde für sie dar, also gingen sie den Bahndamm rauf und standen immer wieder mitten auf den Gleisen. Natürlich meist, wenn ein Zug kommen musste. Also ging ich auf den Hof, gab dem Lokführer ein Zeichen: Bremsen! und zeigte nach vorn. Es ist nie ein Tier überfahren worden und mein Alarm bei der LPG war nutzlos, denn es gab ja keinen Stacheldraht. Vergessen aber hat man mir das nicht. Nach dem Mauerfall wurde ich in Lengenfeld von einer jungen Frau angesprochen, sie war die Tochter des LPG-Vorsitzenden, die sich noch gut an die Besuche im „Buschtal“ mit ihrem Vater erinnerte.

Einmal warf mir der Lokführer einen Zettel zu auf dem Stand: „Schloß, Kuh, Zaun.“ Sofort bin ich per Rad losgefahren und sah, dass sich die beste Milchkuh vom Schloß Bischofstein im maroden Drahtzaun stranguliert hatte.
Die Pferde vom Entenmüller Albert Herwig, der unseren Acker immer pflügte kamen mal herrenlos durch den Tunnel getrabt und der Zug kam kurz hinter ihnen. Umgehend habe ich den Zug gebremst, der dann langsam hinter den Pferden herfuhr, bis diese am Bischofstein seitlich abbogen. Der Entenmüller stand Haare raufend vor dem Tunnel und hatte schon das Schlimmste befürchtet. Nun – Nachbarschaft muss doch zusammenhalten!

Noch etwas zur mir persönlich: Ich habe eben, weil ich als Kind immer allein war, viel gelesen. Bei uns wurde nur hochdeutsch gesprochen, da Vater Hesse war und Mutter aus dem Thüringer Wald kam. In der Schule war das für mich von großem Vorteil, denn ich sprach und schrieb gutes Deutsch. Die guten Noten dafür wurden nicht von allen gern gesehen. Man erklärte mir, ich sei der Liebling der Lehrerin, was natürlich Unsinn war. Später besuchte ich die Handelsschule in Eschwege und war ab 1939 in Nordhausen in einer Baumschule im Büro tätig. Als 1945 zu Ostern Bomben auf diese Stadt fielen, war ich zum Glück zu Hause. 1947/48 habe ich dann in Lengenfeld, Großbartloff und Hildebrandshausen als Katechetin Religionsunterricht erteilt, bis meine Gesundheit streikte und ich zusammenklappte. Ich erholte mich aber bald und half meinen Eltern, wo ich konnte. Arbeit gab es ja ohnehin nicht in dieser Zeit. Ohne mich hätten sie es nie geschafft, in den Westen gehen zu dürfen, wo mein Bruder mit Familie lebte. Über 2 Jahre lang bin ich von Behörde zu Behörde gefahren, doch alles ergebnislos. Als aber eines Tages der Lengenfelder Bürgermeister zu einer Schulung musste, änderte sich das. Sein Stellvertreter, der LPG-Vorsitzende, unterschrieb die Genehmigung unbürokratisch. 1959 sind meine Eltern nach Spangenberg übergesiedelt und ich bin über Berlin abgehauen. Das ich 3 Jahrzehnte unser kleines Paradies im „Buschtal“ nicht wiedersehen würde, hätte ich damals nie geglaubt. Es tut mir daher heute noch weh, wenn ich an den Trümmerhaufen und die Einöde denke, die ich nach dem Mauerfall dort vorfand. Eben deshalb zieht mich heute nichts mehr nach Lengenfeld, zumal ich ohnehin wenig Kontakt zum Dorf hatte. Ein Stück Heimat und Kindheit ging verloren.“

Wenden wir uns abschließend dem Dienstalltag des Herrn Andreas Koch noch einmal zu.

Die von ihm zu kontrollierende Bahnstrecke ging von Küllstedt bis Schwebda. Er hatte täglich 17 km zu laufen, abwechselnd vom Haus aus bis Schwebda und den anderen Tag bis Küllstedt. Zu seiner Ausrüstung gehörte ein großer, schwerer Schraubenschlüssel, ein Signalhorn, eine Pechfackel, eine rote Fahne und eine Karbidlampe. Außerdem hatte er dafür zu sorgen, dass die Büsche vom Bahndamm nicht in die Fahrbahn des Zuges wuchsen, was bedeutete, zeitweise auch Axt und Säge mitzunehmen. Die tägliche Arbeitszeit war durch die Züge, mit denen er jeweils seine Strecke zurückfahren musste, geregelt. Ein Tag in der Woche war frei. Die 17 km waren inmitten der Gleise, auf den Schwellen zu laufen, denn es musste ja kontrolliert werden, ob die Befestigungsschrauben ordentlich angezogen waren. Hatten sich Hohlräume unter den Schwellen gebildet, musste die Rotte informiert werden, die diese dann stopfte. Probleme der Strecke waren die vielen Tunnel. Der durch Treibsand gebaute Schwebdaer Tunnel wies alle paar Jahre Hohlräume über dem Gewölbe auf. Der erfahrene Streckenläufer Koch hörte den Berg arbeiten und machte seine Meldung, wen es mal wieder soweit war. Problematisch war auch der Tunnel zwischen Großbartloff und Effelder, der Mühlenberg-II-Tunnel, wo es auch Hohlräume unter dem Gewölbe gab. Auch schlug schon mal ein Felsbrocken durch das Gewölbe. Überliefert von Tunnelbauarbeiten und bestätigt von Streckenläufer Koch ist, dass sich in diesem Tunnel mal eine wunderschöne Tropfsteinhöhle gebildet hatte. Streckenläufer Koch zeigte diese seinem Sohn, der hellauf begeistert war. Natürlich musste das Gebilde zerstört und alles ausgefüllt werden. Ein paar Schienenbrüche entdeckte er auch und zwangsläufig wurde die Strecke gesperrt, bis das Schienenstück gewechselt war.

Beide Zugunglücke – nämlich am 04.09.1937 am Mühlenberg-II-Tunnel bei Großbartloff sowie am 30.05.1942 nahe Schloß Bischofstein bei Lengenfeld hat Streckenläufer Koch hautnah miterlebt, denn jedes Mal befand er sich auf der Heimfahrt im Zug.

Das in der Literatur für das Lengenfelder Zugunglück oft angegebene Datum 07.06.1941 stimmt nachweisbar jedoch nicht, doch dies nur nebenbei.
Mit Beginn des 2. Weltkrieges wurde unserem Streckenläufer noch ein ausgebildeter Polizei-Suchhund zur Verfügung gestellt, den er täglich mit auf die Strecke nehmen musste. Grund: Im Tunnel hätte sich ja ein Bombenleger verstecken können!

Später bekamen die Bewohner des „Buschtales“ Gesellschaft, eine Tunnelwache. Vier ältere Soldaten, die abwechselnd Tag und Nacht durch den Entenberg-Tunnel patroullierten. Untergebracht waren diese in dem bereits eingangs erwähnten Streckenarbeiterhäuschen auf der gegenüberliegenden Seite der Trasse. Zur Verfügung stand ihnen dort ein Telefon, ein kleiner Herd sowie 2 Doppelstockbetten. Die Männer waren alle in der Nähe zu Hause und konnten so abwechselnd zu ihren Familien fahren. Alles in allem aber ein Wahnsinn, denn die anderen Tunnel waren teilweise viel länger, doch der Entenberg-Tunnel musste bewacht werden.

Wie überall, so war auch in Lengenfeld nach dem 2. Weltkrieg eine chaotische Zeit mit Armut und Hunger an der Tagesordnung. In einem Doppelhaus am Schloßweg, heute Nr. 10, hatten sich die Russen einquartiert und ließen es sich den Umständen entsprechend gut gehen.

Tatsächlich zugetragen hat sich in dieser Zeit eine Episode, die nur sekundär mit dem „Buschtal“ zu tun hat: In der früheren Gärtnerei Hagedorn, welche gegenüber der Apotheke lag, fehlten eines Tages mehrere Kohlköpfe. Wer aber sollte sie gestohlen haben? Der pfiffige Gärtner hatte eine Idee und bat den Streckenläufer Koch, doch mit seinem Spürhund die Suche nach dem Diebesgut aufzunehmen. Der Hund war einverstanden und Koch sagte zu mit der Bedingung, dass die ganze Aktion unter Polizeiaufsicht gemacht würde. Uns so kam es auch. In der Gärtnerei nahm der Hund die Witterung auf und machte sich an die Arbeit. Für die geschulte Spürnase schien es keine große Hürde zu sein, denn sie ging zielstrebig die Schulstraße hoch, bog links in den Schloßweg ein und stellte in dem besagten Doppelhaus den Täter. Der verdutzte russische Kommandant wusste nicht, wie ihm geschah und stammelte in gebrochenem Deutsch: „Woher Hund das wissen?“

Abschließend sei noch von einem Erlebnis erzählt, von dem sich wohl jeder wünscht, dass es ihm nie widerfahre. Am 29.09.1933 fand Streckenläufer Koch im Entenberg-Tunnel eine Leiche. Wie die Obduktion ergab, handelte es sich um den 69-jährigen, in Heuthen geborenen Großbartloffer Bürger Adolf Bischoff, der hier durch Suizid seinem Leben ein Ende gesetzt hatte.

In den 1950er Jahren wurde Andreas Koch von einem Herrn Habig, aller Wahrscheinlichkeit nach aus Lengenfeld, abgelöst und machte nur noch Dienst als Brückenwache am Lengenfelder Viadukt. Es reicht wohl auch – in seinem Leben fasst 3 Mal um die Erde gewandert zu sein.
Mit dem Wegzug der Familie Koch trat Anfang der 1960er Jahre ein allmählicher Verfall des Streckenläuferhauses ein. Das einsame Haus am Wald glich mehr und mehr einem Spukgebäude, an dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten. Die etwa 70 Jahre alte Immobilie war außerdem den neuen Machthabern ein Dorn im Auge, denn im Gebäude konnten sich ja „Grenzverletzer“ verstecken. So stand dem Abbruch nichts mehr im Wege. Noch zu verwendendes Baumaterial wurde abtransportiert. Heute erinnert nichts mehr an das einst blühende Leben im „Buschtal“. Geblieben ist die Erinnerung und der Betonsockel des Streckenarbeiterhäuschens gegenüber, auf dem an warmen Sommertagen gegrillt wird.

Danken möchte ich abschließend Frau Marianne Wredenhagen, Dietingen, den Herren Arno Marx, Hermann-Josef Montag, Rudolf Hardegen und Ludwig Schröder, Lengenfeld, die mich bei der Recherche unterstützten und das Bildmaterial zur Verfügung stellten.

Bernd Homeier