Bonifatius und der Hülfensberg

Über die Beziehungen des heiligen Bonifatius zum Hülfensberge gehen bei uns zwei Erzählungen um. Der Heilige soll auf dem Berge einen Götzen Stuffo gestürzt und die heilige Eiche des Donnergottes gefällt haben.

Die erste Erzählung findet sich seit dreihundert Jahren in der Literatur, die andere ist erst 1847 durch den verstorbenen Kommissarius Dr. Konrad Zehrt in die Debatte gezogen worden. (1) Wolf hat ihr vor hundert Jahren noch kein Wort gewidmet (2) und selbst Duval 1845 noch nichts davon gewußt. (3)

Zehrt hat es sich gestattet, beide Erzählungen mit einander zu verschmelzen, indem er Stuffo und Donar (Thor) für denselben Gott ausgibt und sagt (4) „Auf dem Stuffoberge (jetzt Hülfensberge) stand die weit und breit berühmte Eiche, geweiht dem Gotte Stuffo, welchem gleiche Eigenschaften wie dem Thor beigelegt und gleicher Dienst mit dem Thore (!) erwiesen ward.“ (5)

Diese Art, die Quellen „in Einklang zu bringen“, mag nicht unbequem sein, sie ist aber methodisch natürlich ganz unzulässig. Die beiden Erzählungen haben eine ganz verschiedene Herkunft und sind daher auch streng auseinanderzuhalten. Der Götze Stuffo taucht nämlich erst um 1600 auf, die Fällung der heiligen Eiche bei Geismar wird dagegen schon in der ältesten Lebensbeschreibung des Bonifatius, die der Priester Willibald im achten Jahrhundert verfaßte, erzählt, und Zehrt hat, wie er behauptet, „nach einer auf dem Eichsfelde lebendigen Überlieferung“ nichts weiter getan, als das eichsfeldische Geismar für das von Willibald gemeinte ausgegeben.

1. Mit dem Götzen Stuffo werden wir bald fertig sein. Er kommt zuerst 1602 in der „Historia S. Bonifacii“ des Pfarrers Johann Letzner aus Hardegsen vor. Hier heißt es: „von Geismar ist Bonifacius mit den seinen über die Werrha, und auff den Stuffenberg gezogen … Darauff ein Teuffelischer Götze gestanden Stuffo genandt, welchen das benachbarte Volk, als einen Gott geehret und angebetet, denselben hat Bonifacius verfluchet und verdammet, und soll daselbst in ein Loch gefahren sein, daher dasselbige noch heut zu tage Stuffens Loch, wie auch der ganze Berg Stuffenberg (6) genandt wird, und hat Bonifacius an stadt dieses Götzenhauses ein Oratorium und Capell gebawet ...“

Der Ursprung des Stuffo wird klar, wenn man Letzners weitschweifige Erzählung, mit der wir natürlich den Raum hier nicht verschwenden können, weiterliest. Da tauchen noch folgende Gottheiten auf, die Bonifatius ebenfalls gestürzt haben soll: der Reto auf dem Rethberge, der Biel auf der Bielshöhe, der Asteroth in Osterode, die Lhara in Lahr (Lohra), die Jecha in Jechaburg. Sie sind alle, wie man sieht, aus den Ortsnamen (7) freihändig gebildet. Wolf und Waldmann (8) haben sich mit der eingehenden Widerlegung dieser Fabelei viel zu viel Mühe gemacht. Die älteren Quellen wissen nichts davon, und die Entstehung leuchtet auf den ersten Blick ein. Das müßte schon genügen. Wolf und Waldmann haben sich auch nach den Quellen Letzners umgesehen. Sie haben allerdings nichts weiter gefunden, als daß er sich auf einen Konrad Fontanus und einige andere beruft, von denen nichts erhalten ist. Dieser „Quellmann“ ist eine sehr interessante Figur. Letzner berichtet an einer Stelle, daß er 1196 Lehrer in Höxter wurde und 1198 eine Beschreibung des Weserstrandes verfaßte, hatte aber einige Jahre später diese Daten so gründlich vergessen, daß er den guten Fontanus auch über die Jahre 1263, 1329 und 1373 berichten ließ. Muß der ein gesegnetes Alter erreicht haben! Um die Sache kurz zu machen: Letzner ist kein „sonst bewährter“ Geschichtsschreiber (9), sondern einer, dem man scharf auf die Finger sehen muß, und sein Fontanus ist eine plumpe Fälschung. (10) Ob er überhaupt eine Quelle für die wunderlichen Göttergeschichten gehabt hat, ist sehr zweifelhaft, und mir scheint die Annahme viel näher zu liegen, daß er sich die ganze Sache aus den Fingern gesogen hat. (11) Es kommt aber auch gar nichts darauf an, ob noch eine solche Quelle gefunden wird. Die wirklich maßgebenden Quellen, nämlich die den erzählten Ereignissen nahestehenden, wissen von Stuffo und den andern Göttern nichts. Und auf diese Quellen kann es allein ankommen. Ich will das für den folgenden Abschnitt gleich mit betont haben. Es ist ein durchaus unmethodisches Verfahren, mit Chroniken des 15. oder 16. Jahrhunderts die älteren Quellen berichtigen oder widerlegen zu wollen, und man sollte uns nicht immer wieder damit kommen.

Das Ergebnis lautet: Der Götze Stuffo ist nicht von Bonifatius, sondern am 3. Februar 1802 von Johann Wolf gestürzt worden (12), und es ist die höchste Zeit, daß er auf Nimmerwiedersehen verschwindet. (13)

2. Die Fällung der heiligen Eiche bei Geismar erzählt, wie schon gesagt, der Priester Willibald in seiner Lebensbeschreibung des Bonifatius, die er zwischen 755 und 768 verfaßte. Die spätere Biographie des Otloh kann außer Betracht bleiben, weil sie von Willibald abhängig ist. Die Stelle (14) lautet in Übersetzung:

„Mit Zustimmung des Herzogs Karl kehrte Bonifatius in das Gebiet der Hessen (ad … Hessorum metas) zurück, wo er sich schon früher aufgehalten hatte, viele dem katholischen Glauben schon gewonnene Hessen empfingen die Firmung. Andere, die in ihrem Gemüt noch nicht bekräftigt waren, weigerten sich, die reinen Glaubenswahrheiten voll anzunehmen. Manche opferten verstohlen oder sogar offen den Hainen und Quellen, andere gaben sich heimlich oder auch öffentlich mit Zauberei, Wahrsagerei und Beschwörung ab, wieder andere übten Vogelschau und Zeichendeutung und beobachteten allerlei heidnische Opferbräuche. Andere mit gesundem Sinne hatten alle diese heidnischen Gräuel abgelegt und begingen nichts dergleichen. Auf deren Antrieb und Rat unternahm er es, einen Baum von wunderbarer Größe, der nach der alten Sprache der Heiden Jupiterseiche hieß, an dem Orte, der Geismar (Gaesmere) genannt wird, im Beisein der andern Diener Gottes zu fällen.

Als er mit Geistesstärke gewaffnet den Baum zu fällen begann – vor einer großen Menge von Heiden, die ihn als Feind ihrer Götter im Innern aufs heftigste verwünschten – und erst ein geringer Teil des Baumes durchgehauen war, wurde plötzlich durch einen gottgesandten Sturm von oben der ungeheure Baum erfaßt, stürzte mit abgebrochenen Zweigen zusammen und wurde durch den Willen des Höchsten in vier Teile gespalten. Ohne Bemühung der umstehenden Brüder bildeten sich vier Stücke von ungeheurer Größe und gleicher Länge. Als dies die Heiden sahen, die ihn eben noch verwünscht hatten, wurden sie gläubig und priesen Gott. Der hl. Bischof aber beriet sich mit den Brüdern und erbaute aus dem Holze des gefällten Baumes eine Kapelle, welche er zu Ehren des heiligen Apostels Petrus weihte. Und nachdem das alles mit Gottes Hilfe vollbracht war, reiste er gleich nach Thüringen.“

Aus diesem Bericht geht mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit hervor, daß Bonifatius diese berühmte Tat in Hessen vollbracht hat. Wer etwas anderes herausliest, tut dem Bericht, der für uns allein als Quelle zu gelten hat, Gewalt an. Die Frage ist damit eigentlich erledigt und eine eingehende Widerlegung der Ausführungen Zehrts nicht notwendig.

Nur noch ein paar Bemerkungen dazu, wenn Zehrt behauptet, Willibalds Ortsbestimmung passe allein auf unsern Hülfensberg, so stützt er das damit, daß er „ad metas Hessorum“ mit „bis zu den Grenzen der Hessen“ übersetzt. Diese Übersetzung ist künstlich. Ad metas ist=ad fines, und in fines, „in das Gebiet“, und Otloh sagt dafür (15) „in Hessorum metas.“ Zehrts Übersetzung ist auch sinnwidrig, weil Bonifatius von Westen kam, also nur die Westgrenze Hessens gemeint sein könnte. Hätte Willibald unsere Gegend gemeint, so hätte er „ad metas Thuringorum“ sagen müssen.

Was auf dem Eichsfelde an den heiligen Bonifatius erinnern soll, kann nirgends über das 14. Jahrhundert zurückgeführt werden, wer es kann, müßte sich sonst erst noch melden. Auch die Kapelle auf dem Hülfensberge kommt erst 1352 vor, und daß sie jemals dem hl. Petrus geweiht gewesen sei, davon findet sich keine Spur.

Von der „Überlieferung“ sollte man auch nicht so viel Wesens machen, da von ihrem Alter kein Mensch eine Ahnung hat und sie sich meiner Meinung nach durch predigten, Gebetszettel usw. in ziemlich kurzer Zeit entwickeln kann.

Es zeigt sich also, daß die Anwesenheit des heiligen Bonifatius auf dem Hülfensberge historisch nicht erwiesen werden kann.

Welches hessische Geismar Willibald meint, geht uns eigentlich nichts an. Albert Hauck, der beste Kenner der deutschen Kirchengeschichte sagt (16): „Zu einer Entscheidung für das eine oder andere fehlt jeder Anhaltspunkt.“ Sonst spricht man sich wohl für Geismar bei Fritzlar aus. (17) In dieser Gegend saß der Kern des hessischen Volkes. Dort Iag der Hauptort der alten Hessen, Mattium-Maden, dort wird auch ihr Heiligtum gewesen sein. In dieser Gegend hat auch Bonifatius lange und erfolgreich gewirkt und das Kloster Fritzlar und das Bistum Buraburg gestiftet. Auch kommt dies Geismar bei Fritzlar in der Lebensbeschreibung des Wigbert, eines Genossen des Bonifatius, wieder vor. (18) Es wird da erzählt, daß nach einem Einfalle der Sachsen die Reliquien, die sie in Fritzlar geraubt hatten, im benachbarten Geismar wiedergefunden wurden.

Schon Wolf und Waldmann haben hervorgehoben, daß die religiöse Bedeutung des Hülfensberges nicht dadurch geschmälert wird, daß man unhaltbare Erzählungen fallen läßt und sich an die Geschichte hält. Die wirkliche Geschichte des Hülfensberges ist von Pater Maternus in dem Führer „Der Hülfensberg in Wort und Bild (19) trefflich dargestellt.

Klemens Löffler
(Quelle: Unser Eichsfeld, 2. Band, 1907, S. 146-150)

Fußnoten

(1) Die Einführung des Christentums auf dem Eichsfelde durch den hl. Bonifacius. Mainz 1847.

(2) Kritische Abhandlung über den Hülfensberg. Göttingen 1808.

(3) Das Eichsfeld. Sondershausen 1845.

(4) a. a. O. S. 54. Der ganze Passus ist übrigens auch wörtlich abgedruckt in seiner „Eichsfeldischen Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts“ S. 138 ff.

(5) Ich bemerke gleich jetzt, daß der mutmaßliche Erfinder des Stuffo von den Eigenschaften dieses „teufelischen Götzen“ gar nichts sagt. Mit welchem Recht Stuffo anderswo (B. Kuhlmann, Der heilige Bonifatius, Paderborn 1895, S. 78) zum „Gott des Trunkes“ gemacht wird, ist mir daher ebenso unklar wie Zehrts Behauptung.

(6) Das ist in der Tat der ältere, auch in Urkunden vorkommende Name des Hülfensberges.

(7) Stufenberg hängt natürlich mit stuofe, Stufe zusammen.

(8) Über den thüringischen Gott Stuffo. Heiligenstadt 1857.

(9) So nennt ihn Zehrt, Kirchengeschichte S. 143.

(10) Über Letzner als Fälscher vgl. auch G. Bartels in „Abhandlungen über Corveyer Geschichtsschreibung“ hrsg. von F. Philippi, Münster 1906, S. 150 ff.

(11) Waldmann ist zwar auf die Widersprüche aufmerksam geworden, hat aber Letzner noch ernst genommen. – Wolf meint mit Unrecht, daß Spangenberg, bei dem sich kurz darauf Stuffo ebenfalls findet, von Letzner unabhängig sei (Stuffo S. 20). Wäre das richtig, so müßten sie natürlich eine gemeinsame Quelle gehabt haben. Spangenberg war aber ein verwandter Letzners und stand mit ihm in Verbindung.

(12) Stuffo, kein thüringischer Abgott (vorgelesen in der Akademie nützl. Wissenschaften zu Erfurt, den 3. Febr. 1802). Erfurt 1802.

(13) Wolf stellt an die Spitze seiner Ausführungen den Satz: „Heutiges Tages würde man sich sehr lächerlich machen, ich will nicht sagen bei Gelehrten, sondern selbst bei Lesern, die nicht ohne alle Kenntnis und Geschmack sind, wenn man mit solchen Märchen aufgezogen käme.“ Das sollten sich die hinter die Ohren schreiben, die den Stuffo immer wieder aus der Versenkung emporsteigen lassen.

(14) Vitae sancti Bonifatii, rec. W. Levison, Hannoverae et Lipsiae 1905, S. 30 f.

(15) a. a. O. S. 135.

(16) Kirchengeschichte Deutschlands, Bd. 1, 3./4. Aufl., Leipzig 1904, S. 470.

(17) H. B. Wenck, Hessische Landesgeschichte Bd. 2, Frankfurt und Leipzig 1789, S. 234. – Kuhlmann a. a. O. S. 78 f. – W. Köhler, Bonifatius in Hessen. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte Bd. 25, 1904, S. 200 f.

(18) Vita Wigberti auctore Lupo c. 20, SS. 15, 42: Sanctorum quoque reliquiae, quas idem asportaverant, in villa Gesmari, quae non longe abest, repertae sunt integrae.

(19) Heiligenstadt, F. W. Cordier