Das Zisterzienserkloster Reifenstein bei Birkungen

Im ehemaligen kurmainzischen Fürstentum Eichsfeld, zwischen Mühlhausen und Worbis, liegt im Schutze waldiger Berge das frühere Zisterzienserkloster Reifenstein, jetzt königliche Domäne und wirtschaftliche Frauenschule. Ehemals von hoher Bedeutung für die wirtschaftliche und geistige Kultur der Umgegend, ausgezeichnet durch hervorragende Äbte, hat es eine Leidensgeschichte wie kaum ein zweites Kloster zu verzeichnen.

Graf Ernst von Tonna wird als Gründer genannt. 1162 siedelte er aus dem 1130 gegründeten Volkenrode Zisterzienser unfern des in Trümmern liegenden Schlosses Reifenstein an; aus dem Mutterkloster Walkenrieds, Altenkamp, schlossen sich einige Mönche an. Mit Gütern war das neue Kloster vom Stifter nur mäßig ausgestattet; aber durch sparsame Wirtschaft und geschickte Erwerbungen gelangte es doch bald zu solchem Wohlstand, dass eine stattliche Zahl von Mönchen ein sorgenfreies Dasein führen konnte. An der Wende des dreizehnten Jahrhunderts kommen die ersten trüben Tage, mehrfache Überfälle benachbarter Ritter schädigen den Besitzstand, bis Rudolf von Habsburg sich des Klosters annimmt.

Im Jahre 1295 verheert der Krieg Adolfs von Nassau mit den Söhnen Albrechts des Unartigen Thüringen. 1317 zählt Reifenstein außer dem Abt nur fünf Brüder, während vordem fast 30 Mönche ihren Unterhalt hatten finden können. In dieser traurigen Lage erweist sich Abt Luderus von Walkenried als Retter. Er streckt dem Kloster eine namhafte Summe vor, mit der es die Schulden bezahlen und die verpfändeten Güter wieder einlösen kann; so hält es sich mehrere Menschenalter hindurch in seinem Besitzstand.

Da überfallen es 1514 die Mühlhäuser; der schlimmste Feind aber erwächst ihm bald darauf aus dem eignen Schoß. Heinrich Pfeifer, der berüchtigte Genosse des Thomas Münzer, war Mönch zu Reifenstein. 1521 entweicht er und beginnt seine Aufruhrpredigten in der Umgegend. Zwei Jahre später betört er die Mühlhäuser, 1525 zieht er mit 2 Heerhaufen aus, um Schlösser und Klöster des Eichsfeldes zu zerstören. Im April dieses Jahres wird auch Reifenstein in Brand gesteckt. Zwar nimmt der Abt Matthies nach der Schlacht bei Frankenhausen, welche den Aufstand niederschlägt, mit den eichsfeldischen Edelleuten an Mühlhausen Rache, aber das Kloster liegt in Asche und das Umsichgreifen der neuen Glaubenslehre bringt es um viele der wertvollsten Güter. 1539 ist nur ein Mönch im Kloster; eine Zeitlang steht es ganz leer und der Erzbischof von Mainz muss einen Pater zwangsweise als Abt einsetzen (1560), worauf sich wieder einige Konventualen einfinden. Notdürftig mögen in der Folge die Baulichkeiten in Stand gesetzt worden sein; dann aber brausen die Stürme des Dreißigjährigen Krieges durch die Gegend, und die Truppen Christians von Braunschweig, später die Schweden, bringen das Kloster wiederum in schwere Bedrängnis.

Der alte bauliche Bestand ist durch diese mehrfachen Zerstörungen und die späteren Neubauten völlig vernichtet, wenigstens sind mit Sicherheit mittelalterliche Teile nicht mehr festzustellen. Nur die Grundmauern des alten Klostergebäudes mit dem Kreuzganghof, an dem sich südlich die jetzt verschwundene Kirche höchstwahrscheinlich anschloss, scheinen auch bei der späteren Erneuerung der ganzen Anlage beibehalten zu sein.

Eine glücklichere Zeit hebt mit der Amtsführung Wilhelm Streits an (Abt von 1690 – 1721, Primas der eichsfeldischen Stände) eines glänzend begabten, in den Wissenschaften und der Verwaltung wohlerfahrenen Mannes. In Frankreich, wo er in den berühmten Klöstern des Ordens wirkt, sucht man ihn festzuhalten; ihn aber zieht es zurück nach Reifenstein, wo die Aufgabe seiner harrt, das gänzlich darniederliegende Koster wieder zu Ehren zu bringen. Er errichtet nordwestlich vor dem Kosterbau vorläufig eine neue Abtswohnung (jetzt Arbeiterhaus), nach einem an dem schlichten Bau befindlichen Chronogramm im Jahre 1694. Er beginnt ferner mit dem Bau eines Dormitoriums dessen Stelle nicht nachzuweisen ist, das aber wohl in der Nähe der Abtswohnung gelegen hat. Auch die stattliche Mauer, die noch heute den Klosterbezirk umgibt, ist größtenteils Streits Werk, ihre Nischen waren ehedem mit Stationsbildern geschmückt. In der Westseite der Mauer erbaute er das schlichte Eingangstor (1718) und die anstoßende Josephskapelle, die vorläufig als Kirche zu dienen hatte; denn die alte Kirche war, wie Leuckfeldt, der 1704 Reifenstein besuchte, berichtet, „sehr wüst und baufällig, daran weder Grund noch Decke etwas nutze ist“.

Zum Neubau der Kirche und Wiederaufbau des eigentlichen Klosters kommt es auch nicht unter Streits Nachfolger, der die Klostermauer vollendet und sich vornehmlich der Besserung der Finanzen widmet.

Erst unter Abt Simon Hentrich (1732 – 1755) erhebt sich das Kloster zu neuer schöner Gestalt. Auch er ist eine bedeutende Persönlichkeit und wird, wie Streit, von den Ständen zum Primas gewählt. Am 30. Juli 1737 legt er den Grundstein zur neuen, stattlichen, der Jungfrau Maria und der heiligen Margarete geweihten Kirche, die nach Westen über die Klosterfront weit herausspringt und auch nach Süden beträchtlich gegen die mutmaßliche Lage der alten herausgerückt ist. Im Äußeren ganz in Quadermauerwerk aufgeführt, zeigt sie einen mächtigen einschiffigen Raum mit ins Innere gezogenen, mit Tonnengewölben verbundenen Strebepfeilern, die Decke bilden Kreuzgewölbe mit feiner Stuckgliederung. Im Westen erhebt sich auf kühn gespanntem Bogen eine Empore mit zwei steinernen stattlichen Treppen. Im Äußeren ist das Schiff schlicht gehalten und das ganze Hauptgewicht auf den prachtvollen, westlichen Portalbau gelegt, der 1743 vollendet wurde (Taf. 37) und früher mit der jetzt verschwundenen Marienfigur und den seitlichen Nischenfiguren noch einen wesentlich prächtigeren Eindruck gemacht haben muss.

Der langgestreckte Chor zeigt im Äußeren eine reichere Pilasterarchitektur und birgt eine eigenartige dreischiffige Kryptaanlage, mit Kreuzgewölben auf gedrungenen quadratischen Pfeilern überdeckt, mit einer Reihe von Gruftnischen. Eigentümlich ist der Turmstumpf, der sich zwischen Kloster und Kirche schiebt. An seinen beiden an die Kirche anstoßenden Fronten erweist sich, dass er gleichzeitig mit der Kirche hochgeführt ist; aber die Trennungsgesimse der Geschosse zeigen fast gotische Form und die Gliederung der Fensterumrahmungen eine eigenartige Karniesform, so dass man meinen sollte, er stamme schon aus dem siebzehnten Jahrhundert und sei in Erinnerung an mittelalterliche Teile errichtet. Das schöne Portal auf der Nordseite der Kirche (Taf. 38) stammt erst von 1777 und ist wahrscheinlich zur Erinnerung an die Visitation des Klosters in diesem Jahre errichtet worden.

Abt Hentrich und seine Nachfolger Adrian Löffler (bis 1769), Guido Köhler (bis 1792) haben dann das Kloster selbst nach und nach wieder aufgebaut und in die stattliche Form gebracht, die es noch heute aufweist. Die vier Flügel umschließen einen großen nördlichen und einen schmalen südlichen Hof, zwischen denen sich ein gewölbter Gang hinzieht, der die Bücherei trägt und wahrscheinlich noch die Lage des alten südlichen Kreuzganges kennzeichnet. Auch auf den übrigen drei Hofseiten ziehen sich gewölbte Gänge mit fortlaufenden Kreuzgewölben hin, teils mit zart vorgelegten, teils mit breiten Putzgraten. Der Westflügel, im Untergeschoss ganz gewölbt, enthielt darüber die Wohnung des Abtes mit prächtigen Schnitzereien und Türbeschlägen, im Untergeschosse außerdem die Abtskapelle, der Nordflügel die Abtsküche, wahrscheinlich auch das Dormitorium und in einem von Adrian Löffler 1765 errichteten Anbau einen Bade- und Waschraum. Im Ostflügel diente ein Raum mit hübscher Stuckdecke gleichzeitig als Refektorium und Kapitelsaal. Daneben werden wir die Küche und südlich von dem 1765 erbauten Portal einen großen Tageraum, vielleicht das bei der Wahl des Abtes Löffler erwähnte Hypokaustum( ?) zu suchen haben, in dem die gerade Fortsetzung des Chores bildenden Südflügel endlich ist die Sakristei untergebracht; ein schmucker Dachreiter krönt diesen Flügel. Drei stattliche Treppenhäuser von fast gleicher Ausstattung vermitteln den Verkehr (s. Tafel 39 u. 40).

Der vorletzte Abt Heusse errichtet nordwestlich vom Kloster das Haus der weltlichen Verwalter. Auch sein Nachfolger legt noch neue Wirtschaftsgebäude an; da bringt dem Kloster, das sich so zäh in allen schweren Zeiten behauptet und zu einer schöneren Gestalt durchgerungen hat, der Reichsdeputationshauptschluss ein jähes Ende.

Preußen erhält das Eichsfeld; Reifenstein wird säkularisiert und 1803 zur Domäne eingerichtet, wobei die prächtige Kirche, deren schöne, ehemals gerühmte Ausstattung in alle Winde verstreut wird, zur Scheune herabsinken muss.

Im westlichen Teil des Klostergebäudes befindet sich jetzt die Wohnung des Domänenpächters, der östliche Teil ist seit einigen Jahren der unter Leitung von Fräulein von Kortzfleisch stehenden wirtschaftlichen Frauenschule eingeräumt.

F. Hiecke
(Quelle: „Blätter für Architektur und Kunsthandwerk“, Nr. 4, 1909, S. 14-15)

Verzeichnis der Abbildungen (Tafeln)

1. Der Haupteingang der Kirche
2. Nordeingang der Kirche
3. Das Haupttreppenhaus des Klostergebäudes, Blick gegen den Treppenanfang
5. Das Haupttreppenhaus des Klostergebäudes, Blick vom Mittelpodest gegen die Treppe.