Das Eichsfeld und sein Hülfensberg

Zum 1200. Todestag des hl. Bonifatius

Als unsere Vorfahren noch nichts wussten von Christus und seiner Lehre, als sie noch in heiligen Hainen und auf Bergeshöhen, an Quellen und unter alten Bäumen Wodan, Donar und Freia verehrten, war der Stuffenberg – so hieß der Hülfensberg bis ins 14. Jahrhundert – eine hervorragende heidnische Kult- und Opferstätte. Dazu war er durch seine Lage inmitten waldgekrönter Höhenzüge und seine herrliche Aussicht nach allen Seiten hin wie kein anderer Berg in der ganzen Gegend geeignet. Gegen feindliche Überfälle schützte ihn und die Opfernden eine Wallburg mit einem Wallgraben, von dem heute noch Reste an der Nordseite des Berges vorhanden sind.

Diese Behauptung wird bewiesen durch einen Urnenfund im Jahre 1867; sie wird bestätigt durch die große Menge Asche, die man 1890 beim Bau des jetzigen Chores der Wallfahrtskirche in dem Bergspalt entdeckte, mag es nun Opferasche oder Totenasche gewesen sein. Mit Vorliebe begruben ja unsere heidnischen Vorfahren die Toten in der Nähe der Götter, ein Brauch, an den auch die alten christlichen Friedhöfe unmittelbar neben dem Gotteshause erinnern.

Welcher Gott von den Heiden auf dem Hülfensberge verehrt wurde, ist nicht bekannt. Stuffo kann er nicht geheißen haben, da es einen solchen nicht gab. Wahrscheinlich opferte man auf diesem ausgesprochenen Wetterberge, an dem sich nach dem Volksglauben die vom Werratale kommenden Gewitter brechen, dem Wettergott Donar, dessen Kult wir ja vorwiegend auf Bergeshöhen treffen. Als später das Christentum in dieser Gegend verbreitet wurde und nach und nach festen Fuß fasste, ist aus der heidnischen Kultstätte eine christliche geworden. Die Errichtung christlicher Kirchen und Kapellen an denselben Orten, wo die Heiden ihre Gottheiten verehrt hatten, war nichts Seltenes. Es geschah, um den Neubekehrten den Besuch der gewohnten Stätten auch später noch zu ermöglichen und ihnen die Betätigung des Christenglaubens angenehmer zu machen. So entsprach es auch dem Wunsche der Päpste, wie aus einem Schreiben Gregor I vom Jahre 601 an den heiligen Augustin, den Apostel Englands, zu ersehen ist. Auf dem heidnischen Opferplatze des Hülfensberges wurde also ein christliches Bethaus erbaut, und dieses Kirchlein bildete nun den religiösen Sammelpunkt für die umwohnenden Christen. Es wurde, wenn auch klein und ärmlich, die erste Pfarrkirche dieser Gegend. Das geht hervor aus dem Wortlaut verschiedener Urkunden des 14. und 15. Jahrhunderts und vor allem aus dem Begräbnis- und Vermögensrechte dieses Gotteshauses. Im Schatten dieses Heiligtums bestatteten nicht nur Geismar und Döringsdorf, Bebendorf und Großtöpfer ihre Toten, sondern auch das ziemlich weit davon entfernt liegende Dorf Frieda, und zwar Geismar und Großtöpfer nördlich, die anderen drei Dörfer südlich der Kirche. Und dass die Kirche vermögensrechtlich selbständig war, zeigt die älteste Urkunde über den Hülfensberg aus dem Jahre 1352, wie auch die aus dem Jahre 1367, wo Weihibisohof Albert von Beichlingen von der Kirchenverwaltung der Salvatorkirche auf dem Stuffenberge spricht. Dazu kommt, dass die Kirche noch im Anfange des 16. Jahrhunderts Wiese und Land in Großtöpfer besaß und von Leuten aus diesem Orte einen Geld- und Wachszins erhielt.

Der Hülfensberg war aber nicht nur der religiöse Sammelpunkt für die Dörfer ringsumher; durch sein wundertätiges Kruzifix, das sogenannte Hülfenskreuz oder Hülfensfbild, wurde er auch in anderen Gegenden bekannt. Selbst aus weiter Ferne strömten die Pilger in ihren Anliegen zu dieser Gnadenstätte, vor allem aus Niedersachsen und selbst vom Nord- und Ostseestrand. Wann aber und durch wen das berühmte Kreuz auf den Hülfensberg gebracht, wann die Wallfahrten ihren Anfang genommen, das sind Fragen, in die wohl niemals volle Klarheit kommen wird, ebenso wenig wie in die andere noch wichtigere, wem das erste Gotteshaus auf dieser Bergeshöhe seinen Ursprung verdankt. Die Entstehung des Gotteshauses führt eine im Eichsfeld und im Werratal tief im Volke wurzelnde Tradition auf den heiligen Bonifatius, den Apostel der Deutschen zurück; das im mittleren Gewölbe des nördlichen Seitenschiffes 1364 in die jetzige Wallfahrtskirche eingemauerte Eichenstück soll von diesem ersten Bethause herrühren. Über die Bonifatiustradition, die zum ersten Mal 1575 und dann öfter urkundlich bezeugt wird, soll hier keine kritische Untersuchung angestellt werden, auch nicht darüber, ob unser eichsfeldisches Geismar, im Volksdialekt Jäsmer gesprochen, das in der Leidensgeschichte des heiligen Bonifatius von Willibald vorkommende Gaesmere ist, und ob hier die dort erwähnte und vom Heiligen gefällte Donareiche gestanden haben kann. Darüber ist in den verflossenen Jahren viel geschrieben worden, ohne dass es bisher gelungen wäre, die Streitfrage allseitig zu lösen.

Wir sind bis hierher dem aus Hundeshagen stammenden P. Hermann Schwelhelm OFM gefolgt, aus dessen Feder im Verlag F.W. Cordier, Heiligenstadt, ein sehr schönes, reichillustriertes Hülfensbergbuch erschienen ist. Auch jeder Fremde, der es liest, wird die tiefe Liebe der Eichsfelder zu ihrem „Nationalheiligtum“ verstehen. Schon der Gedanke daran, dass unsere Ahnen seit alten Zeiten auf den Berg gepilgert sind, wo sie die Gottesnähe spürten, zieht uns zu dieser Höhe hinauf. In der Wallfahrtswoche nach Pfingsten und besonders am Hülfenstag – das ist der Montag nach Dreifaltigkeit – spricht die gläubige Volksseele. Es ist längst Tradition geworden, dass an diesem Tage der Bischöfliche Kommissarius aus Heiligenstadt seinen Eichsfeldern die Predigt hält. Große Freude herrscht auf dem Eichsfeide stets, wenn ein Bischof den Hülfensberg besteigt. In Massen strömen dann die Gläubigen aus allen Gemeinden herbei. Sie kommen aus dem „Jüngsten Gericht” wie von der Eichsfelder Pforte, aus den Dündörfern wie vom Hainich.

Im Jubiläumsjahr 1954 werden auch die Hülfensbergwallfahrer voll Dankbarkeit das Herz zum heiligen Bonifatius erheben und mit der katholischen Welt sich vereinigen zu innigen Gebeten um Glück und Frieden auf dem weiten Erdenrund.

Autor: unbekannt
(Quelle: „Eichsfelder Heimatborn“, Ausgabe vom 12.06.1954)