20 Jahre Hausarztpraxis Nette in Lengenfeld unterm Stein – ein Rückblick

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Patienten,

im Frühjahr des Jahres 1985 beginnt unsere Geschichte in und mit Lengenfeld unterm Stein. Als Chirurg am St. Elisabeth-Krankenhaus angestellt und später gemeinsam mit meiner Frau, die nach ihrer Approbation eine Ausbildungsstelle für Innere Medizin am selben Haus erhielt, war der Grundstein für ein zukünftiges Leben in Lengenfeld gelegt. Wir waren sehr froh darüber und begannen im April 1987 mit dem Bau unseres Eigenheims am Schlossweg. Sollte es doch ein bleibendes Leben in diesem Ort für uns und unsere Kinder geben.

Dass die Zeit für mich als Chirurg am hiesigen Krankenhaus nur sehr kurz sein sollte, hätte damals niemand geahnt und lag wohl in erster Linie an den Umstrukturierungen, die die Wende 1989 geschehen ließ. Die Chirurgie wurde als unrentabel wegrationalisiert und ich Ende 1990 entlassen. Der Weg zum Arbeitsamt blieb mir nicht erspart. Verwunderung und gleichsam mitfühlende Empörung erfuhr ich dort, war ich doch der erste arbeitslose Arzt im Kreis Mühlhausen, den das Arbeitsamt vermitteln sollte. Neuland also nicht nur für uns. Da ich vor meiner Chirurgieausbildung eigentlich eine Ausbildungsstelle als Allgemeinmediziner begann, viel der Entschluss einer freien Niederlassung als Hausarzt letztlich doch nicht so schwer. Meine Tätigkeit als Hausarzt begann am 1.4.1991. In diesen Tagen sind nun zwanzig Jahre vergangen, in denen wir eine Vielzahl von Patienten in unserer Praxis betreut haben. Wir möchten diesen Anlass nutzen, uns zu erinnern und laden Sie/Euch ein, uns auf dieser Rückschau zu begleiten. Nachfolgend ein kleinen Einblick, wie und wo alles begann.

Die 1. Sprechstunde als hausärztliche Einzelpraxis fand am 02.04.1991 im renovierten und für unsere Zwecke umgebauten Einfamilienhaus in der Bahnhofstraße 21 statt. Eigentümer war zu dieser Zeit Herr Fritz Hardegen. In der unteren Etage befanden sich Patientenaufnahme und Wartezimmer in einem Raum, daneben das Sprechzimmer von Herrn Nette, ein kleiner OP-Raum und eine Patiententoilette. In der oberen Etage, deren Räume schon in der Dachschräge lagen, waren ein Behandlungsraum und das Sprechzimmer von Frau Nette als Durchgangszimmer, ein sehr kleiner Personalraum und die Personaltoilette. Eines dieser Zimmer wurde außerhalb unserer Sprechzeiten vom Frauenarzt Dr. Muscheid mit genutzt.

Die personelle Zusammensetzung zu dieser Zeit und in diesen Räumen sah folgendermaßen aus:

Ärztliche Leitung: Hans-Joachim Nette (FA für Chirurgie)

Mitarbeiter:

Praktische Ärztin: Monika-Carola Nette (vom 01.10.94)

Kinderkrankenschwester: Renate Wedekind (vom 02.04.91 bis heute)

Krankenschwester Agnes Günther (vom 02.04.91 bis 31.10.1999)

Hauswirtschaft: Gisela Oberthür (vom 02.04.91 bis 31.12.2003)

Büroangestellte: Bärbel Hahn (vom 01.06.96 bis 30.04.2008)

Azubi:

Umschülerin: Cornelia Gerstenmeier (vom 01.09.92 bis 31.08.1994)

Lehrling: Elisabeth Arnold (vom 14.09.93 bis 13.09.1996

Die Praxisräume der Bahnhofstraße waren als Anfangsobjekt sicher gut, mit Erweiterung des Behandlungsspektrums war eine optimale Betreuung der Patienten jedoch nicht mehr gewährleistet, ein Neubau wurde geplant. Unser letzter Arbeitstag in den Räumen der Bahnhofstraße war der 30.09.1997.

Der Neubau der Arztpraxis war ein Bauvorhaben gemeinsam mit dem Neubau der VR-Bank und wurde durch die Baufirma Karl-Martin Fiege auf dem Grundstück Hauptstraße 37b von April 1996 bis September 1997 errichtet. Eine Qualitätsarbeit, die bis heute jeder Prüfung standhalten würde.

Lieber Karl-Martin, von dieser Stelle und nach dieser langen Zeit möchten wir noch einmal Danke sagen.

Umzug und Beginn der praktischen Tätigkeit als Gemeinschaftspraxis der Eheleute Nette in den neuen Räumen erfolgte im IM. Quartal des Jahres 1997. Die Einweihungsfeier fand am Nikolaustag selbigen Jahres statt.

Hinzugekommene Mitarbeiter

Krankenschwester Karin Raabe (vom 13.09.99 bis heute)

Hauswirtschaft Doris Bogatz (vom 01.01.04 bis heute)

Krankenschwester Franziska Köthe (vom 01.07.04 bis heute)

Wirtschaftskauffrau Rita Kaufhold (vom 01.01.10 bis heute)

Azubi

Umschülerin: Gertrud Hunstock (vom 01.09.02 bis 25.6.2004)

Last but not least:

Ein Mitarbeiter der besonderen Art

Als guter sorgender Nachbar, der im Winter für schneefreie Wege sorgt, die Mülltonnen an ihren Platz zurück bringt, Pakete entgegennimmt, den Briefkasten leert, Kinderspielzeug repariert und mit frischer Farbe zu neuem Glanz verhilft, uns mit köstlicher Marmelade (von seiner Frau bereitet)und den ersten selbst geernteten Tomaten versorgt, uns mit selbst gezüchteten Blumen erfreut, der eben immer ein Auge auf die Praxis wirft, sei Heinz Riese genannt. An dieser Stelle herzlichen Dank (auch für die Fotoreportage des Praxisneubaues).

Die Räume der neuen Praxis wurden so konzipiert, dass meine Frau und ich jeweils ihren speziellen „Steckenpferden" nachgehen können.

Während ich die Chirurgie nie ganz verlassen habe und mich auch weiterhin gern allem, was in unserem begrenzten Rahmen chirurgisch machbar ist widme, kann meine Frau ihr Herz für Kinder (vor ihrem Studium der Medizin war sie als gelernte Kindergärtnerin tätig) tagtäglich neu „ausleben“.

Uns beiden liegt aber dennoch die ganzheitliche Betreuung all unserer Patienten am Herzen. „Von der Wiege bis zur Bahre“ ... nur so funktioniert nach unserer Meinung Hausarztarbeit auf dem Land. Und die Freude über einen neuen Erdenbürger zu teilen gehört genauso dazu, wie die Versorgung der ersten Schrammen, das Mut machen vor den Schulimpfungen, das Zuhören und Ernstnehmen des ersten Liebeskummers, das Knie bandagieren und die Platzwunde nähen nach dem Fußballspiel, Eltern von ihren Kindern erzählen lassen und Kinder sich über ihre Eltern aufregen lassen, Ehekrisen begleiten, Geschichten von Früher anhören, Weinen zulassen , wenn sonst nichts mehr hilft und mitfreuen , wann immer dazu Gelegenheit ist.

Und natürlich immer auch ärztlich tätig sein, im eigentlichen Sinne, mit dem Ziel Krankheit zu heilen oder wenigstens Beschwerden zu lindern. Auch Loslassen gehört dazu, wenn nichts mehr hilft und die Zeit gekommen scheint. In diesem Zusammenhang widmet sich meine Frau neben der täglichen Sprechstunde in ihrer Freizeit den Sterbenden und ihren speziellen Bedürfnissen. Diese Begleitung Sterbender im Rahmen der ambulanten palliativen Versorgung wird wiederum nur möglich durch die aufopferungsvolle Arbeit unserer Gemeinde- und Palliativschwester Gabriele Hedderich. Es vergeht kaum ein Tag, an dem sie nicht unsere Praxis aufsucht, die Belange ihrer „Schützlinge“ regelnd. Ihr zur Seite steht –ebenfalls ausgebildete Palliativschwester – Margit Tasch. Beiden möchten wir sehr herzlich danken.

Nachfolgend ein kleiner zahlenmäßiger Überblick der Arbeit der letzten zwanzig Jahre in unserer Praxis. Unsere Patienten kommen in der Mehrzahl neben Lengenfeld aus Hildebrandshausen und Faulungen. An unserm ersten Arbeitstag in den Räumen der Bahnhofstraße behandelten wir insgesamt 14 Patienten, hinzu kam ein Hausbesuch. Inzwischen gehören zu unserm Patientenstamm der letzten zwanzig Jahre ca. 8200 Patienten. Nach einer Statistik des ersten Quartals 2010 gab es zu diesem Zeitpunkt folgende altersmäßige Zusammensetzung:

Unter 18 Jahren: 879 Patienten

18 bis 60 Jahre: 4627 Patienten

60 bis 80 Jahre: 1627 Patienten

Über 80 Jahre: 915 Patienten

Einige Patientendaten aus unserem Archiv:

Älteste Patientin: 100 Jahre und 7,5 Monate

Jüngster: 5 Tage

Längster Patient 2,04 m

Kleinster Patient: 45 cm

Leichtester Patient: 2430 g

Schwerster:  (Psst!)

Verstorbene

In den letzten zwanzig Jahren sind bis zum heutigen Tag 382 eigene Patienten verstorben, 209 Männer und 173 Frauen. Davon sind 131 zu Hause entschlafen. Derzeit ist unsere älteste Patientin ist im 98. Lebensjahr, unser jüngstes Küken gerade 6 Wochen.

Ein Wort an unsere Mitarbeiter

Ihr Lieben, viel zu wenig wird Euch von uns gesagt, wie froh wir sind, dass Ihr bei uns seid. Unsere Renate sei als erstes genannt, von Anfang an dabei, immer zur Stelle, nicht nur, wenn es gilt, Kinder zu beruhigen. Sie ist gewissenhaft und lässt sich nie aus der Ruhe bringen. Und sie hat ein Gedächtnis, das scheint nicht von dieser Welt. Sie kennt sie noch alle und kann sich selbst nach Jahren an winzigste Details erinnern. Und dann gibt es da noch so etwas Magisches im Umgang mit Kindern ... irgendwie bewundernswert (Sie sollte ihre Geheimnisse lüften!). Karin ist inzwischen schon im 12. Jahr in unserer Mitte. Mit ihrem Erfahrungsschatz nicht nur im medizinischeres gibt keine noch so versteckte Vene, die sie nicht treffen würde), bereichert sie unseren Alltag immer wieder aufs Neue. Sie ist die Frau für das „Normale“, das Praktische und bewahrt uns dadurch vor Höhenflügen (Karin, dieses Jahr werden wir die Kremserfahrt nicht verschieben, vielleicht schlachten wir auch ein Schwein zusammen!?). Unsere Doris sorgt seit über 7Jahren dafür, dass es auch nicht eine einzige Ecke in der Praxis gibt, in die sich ein Staubkörnchen wagen würde. Wie macht sie das? Auch ohne QM-Hygiene-Vorschriften wird von ihr geputzt „wie daheim! Danke! (Und

bitte weiter Kuchen backen!)

Franziska, unser „Hüpfer", seit fast 7 Jahren unersetzlich (und unersättlich!) am Tresen. Kaum vorstellbar, wie oft am Tag ihr Name gerufen wird. Ein wahres Organisationstalent, kann so viele Dinge gleichzeitig erledigen und rettet uns immer, wenn der Computer schlechte Laune hat. Sie tut uns „Alten“ gut. (Du sollst immer eine volle Schüssel Süßigkeiten (am besten Gummibärchen) unterm Tresen haben ...versprochen!)

Rita ist seit über einem Jahr bei uns und gehört in unser Team, als sei sie schon immer dabei. Wenn sie Zahlen oder Buchstaben schreibt, sind es wahre Kunstwerke (wirklich unglaublich!). Wenn sie sich in ihre Arbeit vertieft, kann ringsum die Welt untergehen ...sie setzt eben Prioritäten. Dank ihrer Arbeit gibt es inzwischen ein super Archiv. (Bald ist Tischrücken ...wir kommen alle!). Welches Glück, Euch zu haben!

Ausblick – Wie geht es weiter?

Wir haben drei uns sehr glücklich machende Kinder. Leider waren wir nicht in der Lage, ihnen nahezubringen, wie wunderbar unser Beruf ist, so dass keines in unsere Fußstapfen treten wird. So Gott will, werde ich für die kommenden 5 Jahre noch praktizieren, meine Frau noch wenigstens 5 Jahre länger. Und danach wird es sich finden. Wir vertrauen – wie in allen Dingen des Lebens, dass alles so kommen wird, wie vorherbestimmt. Und dass es gut wird.

Wir sind hier angekommen. Vielleicht schreiben wir ein wenig mit an der Geschichte dieses Dorfes und seiner Menschen. Wenn dies so ist, wird es für viele eher unspektakulär sein. Doch für uns ist es eine Geschichte von so unendlicher Vielfalt an Leben.

Dieses Dorf mit seinen ganz besonderen Menschen ist unser Zuhause.

Dafür Ihnen und Euch herzlichen Dank.

Hans-Joachim und Carola Nette