Missbrauchsvorwürfe betreffen unsere Gemeinde
Die Website unserer Pfarrgemeinde, kirche-lengenfeld.de, hat seit dem 9. April 2010 eine vielfache Anzahl an Besuchern: Statt ca. 50 Seitenaufrufe am Tag verzeichnen wir nun 100 bis 300, stellenweise sogar 600 Zugriffe täglich. Die Auswertung der Suchbegriffe, durch die diese Benutzer auf unsere Seite gelangt sind, und die dabei aufgerufene Seite in der Pfarreichronik verdeutlicht: Die Diskussion um Missbrauch an Kindern in der katholischen Kirche hat nun auch unseren Ort erreicht. Anlass genug, um auch im Lengenfelder Echo hierüber zu schreiben. Denn für die meisten Lengenfelder hat dieser Missbrauch nun ein Gesicht. Und das macht es nicht leichter, sich in der Missbrauchsdiskussion eine Meinung zu bilden.
Unser ehemaliger Pfarrer, der nun in der öffentlichen Kritik steht, ist mir selbst noch sehr gut bekannt. Meine frühesten Erinnerungen an ihn habe ich im Dezember-Echo geschildert: Er war es damals, der engagiert den Protest gegen das DDR-Regime im Dorf organisierte und unerschrocken voranging. 1992 gehörte ich dann zu den letzten Kindern, die mit ihm Erstkommunion feiern durften und anschließend auch in die Riege der Messdiener aufgenommen wurden. Ich muss sicher nicht erwähnen, dass es damals keinerlei Annäherungsversuche gab. Aber auch in den Jahren nach seinem Weggang aus unserer Gemeinde blieb er uns verbunden: Er ist mir als treuer Leser des Lengenfelder Echos bekannt, organisierte Busreisen, an denen sich auch viele Lengenfelder gerne beteiligten und auf Radio Horeb weiß er es auf seine ihm eigene Art, die wir alle immer zu schätzen wussten, den Hörern den Glauben in einfachen Worten nahezubringen. Kurz: Es wäre völlig verständlich, wenn man den Missbrauchsvorwürfen keinen Glauben schenken würde. Aber es wäre natürlich auch falsch.
Zwar gilt natürlich auch im vorliegenden Fall bis zu einem Urteilsspruch die Unschuldsvermutung, aber wenn das Bistum Erfurt auf seiner Internetseite schreibt: „Der beschuldigte Geistliche hat die Vorwürfe [wegen sexueller Nötigung von vier Minderjährigen] im Rahmen kirchlicher Befragungen bestätigt“, dann glaube ich das. So geht es mir dann wie vielen Lengenfeldern: Man ist erst einmal ratlos, kann die persönliche Erfahrung und jetzigen Vorwürfe nicht in Einklang bringen.
Durch die Medien wird dies nicht vereinfacht. Aus der richtigen Aufdeckung der Missbrauchsfälle wird eine Grundsatzdiskussion um die katholische Kirche. Die Medien sprechen sich hier die moralische Deutungshoheit zu. Umso verwerflicher ist es deshalb, dass die Missbrauchsfälle in Kinderheimen (Ost wie West) von ihnen fast vollständig ignoriert werden. Wer tritt für diese Opfer ein? Oder generell gefragt: warum erst jetzt? Missbrauchsopfer versuchen nicht erst seit diesem Jahr, Gehör in der Öffentlichkeit zu finden. Die schrecklichen Bedingungen in staatlichen Einrichtungen der 60er, 70er und 80er Jahre sind schon lange bekannt. Die Prügelstrafe war damals gesellschaftlich „akzeptiert“. Zwar gibt es in Berlin einen runden Tisch zur Thematik – aber achten Sie einmal darauf, wie oft hierüber in der Presse berichtet wird. So bleibt mir derzeit leider der fade Beigeschmack, dass es den Medien zwar ernst mit der Aufklärung ist, aber fast nur in Fällen der katholischen Kirche. Die ist leichte Beute für die Medien, da sie einerseits eine wechselvolle Geschichte hat und es andererseits kaum versteht, ihre Werte in unserer modernen Welt nach außen zu kommunizieren. So entstehen unnötige Missverständnisse, denn die Kirche geht bereits seit fast 10 Jahren entschieden gegen Missbrauch vor, während die Medien dieses Thema erst vor ein paar Monaten entdeckt haben.
Und so wirkt es etwas befremdlich, wenn am Weihetag unseres Altars ein Reporter der Thüringer Allgemeinen unseren Weihbischof Hauke fragt, wie er denn zu den Missbrauchsfällen stehe. Der Weihbischof hat die Beantwortung der Frage mit Hinweis auf den Freudentag der Weihe verweigert. Dies hat der der Reporter dann in seinem Artikel zur Altarweihe notiert – ohne, dass es etwas mit dem Thema des Beitrags zu tun gehabt hätte. Man meinte, der Autor habe hier ein System des Schweigens erkannt.
Dabei sind die Priester unseres Bistums natürlich tief erschüttert von den Missbrauchsvorwürfen in den eigenen Reihen. Pfarrer Förster in Großbartloff etwa ist es ein wichtiges Anliegen, in der Messe für Opfer und Täter des Missbrauchs zu beten. Am Rande der Ölweihmesse in Erfurt war der Missbrauch auch Gesprächsthema unter den anwesenden Priestern des Bistums. Dabei wurden Fragen aufgeworfen wie: Darf ich einem Ministranten noch gut gemeint auf die Schulter klopfen? Sollte ich überhaupt noch Ferienfreizeiten durchführen? Sind persönliche Beichtgespräche mit Minderjährigen überhaupt noch möglich?
Sicher hat die Kirche diese Problematik selbst verschuldet. Sie war so naiv zu glauben, dass es den Priestern Strafe genug sei, wenn sie mit ihrer schweren Sünde konfrontiert werden und diese bereuen. Aber insbesondere die Medien tragen dazu bei, dass die Diskussion nicht sachlich sondern ideologisch geführt wird: Kirchengegner finden nun Gehör, um ihre Theorien von der Schlechtigkeit der Kirche zu verbreiten. Die andere Seite reagiert mit dem Vorwurf, dass hier eine Verleumdungskampagne betrieben werde. Wenn man diese beiden Extreme endlich ausblenden würde, käme man zur Sachlichkeit zurück. Denn die ist nötig, um Vorwürfe wie den gegen unseren ehemaligen Pfarrer einzuordnen.
Vielleicht können die Worte von Papst Benedikt hier eine Hilfe sein. Vor einiger Zeit hat er sich mit eindringlichen Worten an die Missbrauchsopfer gewandt: „Ihr habt schrecklich gelitten, und das tut mir aufrichtig leid. Ich weiß, dass nichts das von Euch Erlittene ungeschehen machen kann. Euer Vertrauen wurde missbraucht und Eure Würde wurde verletzt. Viele von Euch mussten erfahren, dass Euch niemand zugehört hat, als Ihr den Mut gefunden habt, über das zu sprechen, was Euch zugestoßen ist. […] Ich weiß, dass es einigen von Euch schwerfällt, eine Kirche zu betreten, nach all dem, was geschehen ist. Aber Christi eigene Wunden, verwandelt durch sein erlösendes Leiden, sind der Weg, durch den die Macht des Bösen gebrochen wird und wir zu Leben und Hoffnung wiedergeboren werden. Ich glaube zutiefst, dass diese heilende Kraft der aufopfernden Liebe Befreiung und die Verheißung eines Neuanfangs bringt – sogar in den dunkelsten und hoffnungslosesten Situationen.“ An die Priester, die sich des Missbrauchs schuldig gemacht haben, schrieb er: „Ihr habt das Vertrauen, das von unschuldigen jungen Menschen und ihren Familien in Euch gesetzt wurde, missbraucht, und Ihr müsst Euch vor dem allmächtigen Gott und vor den zuständigen Gerichten dafür verantworten. […] Ich mahne Euch, Euer Gewissen zu erforschen, Verantwortung für die begangenen Sünden zu übernehmen und demütig Euer Bedauern auszudrücken. Ehrliche Reue öffnet die Tür zu Gottes Vergebung und die Gnade wahrhafter Besserung. Durch Gebet und Buße für die, denen Ihr Unrecht getan habt, sollt Ihr persönlich für Euer Handeln Sühne leisten. Christi erlösendes Opfer hat die Kraft, sogar die größte Sünde zu vergeben und sogar aus dem schlimmsten Übel Gutes erwachsen zu lassen. Zugleich ruft uns Gottes Gerechtigkeit dazu auf, Rechenschaft über unsere Taten abzulegen und nichts zu verheimlichen. Gebt offen zu, dass Ihr schuldig seid. Stellt Euch den Forderungen der Rechtsprechung, aber zweifelt nicht an der Barmherzigkeit Gottes.“
Auf diese Barmherzigkeit kann auch unser ehemaliger Pfarrer hoffen. Bekannt hat er seine Sünden schon und hat damit den ersten Schritt auf dem langen Weg getan, von all den Menschen, die eine hohe Meinung von ihm hatten, und vielleicht auch seinen Opfern, einmal Vergebung zu erfahren.
Für diese Opfer, die auch in unserer Gemeinde vermutet werden, ist eine solche Vergebung aber besonders schwer. Daher ist es wichtig, dass die Täter nicht nur reuig sind, sondern auch, dass sie Buße tun. Das zugefügte Seelenleid lässt sich aber auch dadurch nur schwerlich heilen. Der Glaube, verbunden mit den klaren Worten, die der Papst in Rom und die Bischöfe in Deutschland finden und in die Tat umsetzen, kann hier eine Hilfe sein – das gegenseitige Ausspielen von Tätern und Opfern, das derzeit leider zu oft betrieben wird, nicht.