Zwischen den Welten

Mit der Wiedervereinigung Deutschlands öffneten sich nicht nur die Tore zur damaligen Bundesrepublik. Die DDR-Bürger standen gleichsam vor dem „Tor zur Welt“. Auch den Menschen des Eichsfeldes war es von nun an möglich, den gesamten Globus zu bereisen und zu entdecken. Während viele seitdem zu exotischen Reisen aufbrachen und mit bunten Eindrücken zurückkehrten, zog es auch immer wieder Menschen anderer Länder in das Südeichsfeld. Erinnert sei hier vor allem an die zahlreichen Schüleraustausche und Schulpartnerschaften des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums, die mittlerweile zu einer festen Tradition geworden sind.

Mit der vorliegenden Ausgabe des „Lengenfelder Echos“ wollen wir über eine waschechte New Yorkerin berichten, die im Laufe der Jahre in Lengenfeld ihre zweite Heimat fand.

Stefanie Smith, deren Wurzeln zur Hälfte in Dingelstädt und Lengenfeld liegen, kennt unsere Heimat seit frühesten Kindheitstagen. Während ihre deutsche Mutter im fernen New York ein neues Zuhause fand, zog es die Stefanie immer wieder ins Eichsfeld – der Heimat ihrer Mutter. Hier konnte sie oft mehrere Wochen im Jahr ihre Großeltern Ingrid und Rüdiger Schunk besuchen und die deutsche Lebensart intensiv kennenlernen. Ihr nahezu perfektes Deutsch hat Stefanie ihrer Mutter Astrid zu verdanken, die von Anfang an bemüht war, ihre Tochter zweisprachig aufzuziehen. Noch heute kommt Stefanie gerne nach Deutschland, um ihre Großeltern, die mittlerweile in Kassel leben, zu besuchen oder bei befreundeten Familien in Lengenfeld zu wohnen. Selbst zu ihrem 18. Geburtstag weilte Stefanie kürzlich in Lengenfeld, um mit ihren Freunden zu feiern.

Im folgenden Exklusiv-Interview für das „Lengenfelder Echo“ spricht Stefanie u.a. über das Wechselspiel der Kulturen, eine dunklen Septembertag in New York und ihre zukünftigen Pläne.

Lengenfelder Echo: Stefanie, wann hast Du Lengenfeld zum ersten Mal besucht?

Stefanie: Daran kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Aber wie mir erzählt wurde, kam ich direkt nach der Grenzöffnung nach Lengenfeld und war damals erst 4 Monate alt.

LE: Hast Du jemals gezählt, wie oft Du seitdem im Eichsfeld gewesen bist?

Stefanie: Seit meinem 4. Geburtstag bin ich eigentlich jedes Jahr regelmäßig nach Lengenfeld gekommen, um meine Großeltern zu besuchen. Einige Male konnte ich sogar das Weihnachtsfest in Lengenfeld feiern.

LE: Was gefällt Dir an Lengenfeld am meisten?

Stefanie: Was mir immer wieder gefällt, ist die Ruhe, die ich aus dem hektischen Stadtleben nicht gewohnt bin. Auch ist das Eichsfeld im Vergleich zu New York so klein und überschaubar. Zudem gefallen mir die schönen Häuser und die Natur mit ihren vielen Wäldern.

LE: Wie sieht ein typischer Tagesablauf in Lengenfeld für Dich aus und was unternimmst Du hier in den Ferien?

Stefanie: Am liebsten bin ich im Dorf unterwegs, um mich mit meinen Freundinnen zu treffen. Im Sommer besuchen wir immer gerne das Schwimmbad. Außerdem liebe ich es, über die Eisenbahnbrücke zu laufen und von oben auf das Dorf zu schauen. Ich war sogar schon mit der Draisine unterwegs. Ansonsten mag ich die Discos, die es zu Hause in dieser Art nicht gibt.

LE: Was würdest Du sagen, ist der Hauptunterschied zwischen den USA und Deutschland?

Stefanie: Ich denke, dass die Kultur in beiden Ländern sehr verschieden ist, da es in den USA viel mehr Nationalitäten gibt. Außerdem finde ich das Stadtleben viel anonymer, was sicherlich auch in Deutschland so ist. Außerdem ist in einem Dorf wie Lengenfeld das Verhalten der Leute ganz anders – alle kennen sich und es kommt mir oft vor wie eine große Gemeinschaft.

LE: Wenn Du auf Dein Heimatland in Deutschland angesprochen wirst – bist Du dann stolz?

Ja und nein. Durch das Leben in beiden Ländern – den USA und Deutschland – habe ich eine andere Sichtweise bekommen, was den Menschen zu Hause so nicht möglich ist. Auf der einen Seite sehe ich eine großartige Stadt wie New York, auf die ich stolz bin, aber auf der anderen Seite ist da beispielsweise auch der Irak-Krieg, der durch die USA verursacht wurde.

LE: Kommen wir nun zu einem dunklen Kapitel New Yorks, das viele Menschen weltweit erschüttert hat. Kannst Du Dich noch daran erinnern, wie Du den 11. September 2001 in Deiner Heimatstadt erlebt hast?

Stefanie: Ja, daran kann ich mich noch sehr genau erinnern. Es war ein sonniger Dienstag und ich war wie immer in der Schule. Unser Lehrer war gerade mitten im Unterricht, als er von den Sirenen vorbeifahrender Krankenwagen und Feuerwehrfahrzeuge unterbrochen wurde. Plötzlich kam die Stimme des Schulleiters durch die Lautsprecher und er bat um eine Schweigeminute. Niemand wusste, was passiert war. Nach dem Unterricht holte mich meine Mutter mit dem Auto von der Schule ab, was sehr ungewöhnlich war. Auf dem Parkplatz war eine Totenstille. Niemand sprach miteinander. Auf dem Weg nach Hause sagte mir meine Mutter, was passiert war, und sie musste mir erklären, was die Ausdrücke „Entführer“ und „Terrorismus“ überhaupt bedeuteten. Ich war schockiert und völlig verwirrt. Am nächsten Tag hatte die große Rauch- und Staubwolke auch unser Wohngebiet erreicht.

LE: Wie geht New York heutzutage mit diesem schrecklichen Ereignis um?

Stefanie: Das Leben hat sich wieder normalisiert, aber noch immer denken viele Menschen an diesen Tag und haben Angst. Aber ich denke, dass die Angst seit diesem Tag überall, auf die ganze Welt, übertragen wurde.

LE: Noch zwei letzte Fragen – fühlst Du Dich eher amerikanisch oder deutsch und könntest Du Dir vorstellen, dauerhaft in Deutschland zu leben?

Zu Hause fühlt man sich immer dort, wo die eigenen Wurzeln liegen. Natürlich bin ich mehr Amerikanerin, aber ich mag die deutsche Kultur sehr. Für die Zukunft plane ich, in Deutschland zu studieren. Was danach wird, kann ich jetzt noch nicht sagen, doch falls ich später in den USA leben sollte, werde ich auf jeden Fall immer wieder nach Deutschland zurückkommen, um meine Verwandtschaft, meine Freunde und natürlich Lengenfeld zu besuchen.

Vielen Dank für das interkulturelle Gespräch!