„Der große Vorteil, den wir haben, ist die Einmaligkeit“

LE: Herr Stöber, der Kanonenbahnvereinexistiert nun schon seit mehr als 5 Jahrenund hat sich zu einer festen Größe im Eichsfelder Tourismus etabliert. An was denken Sie, wenn Sie zu den Anfängenzurückblicken?

Winfried Stöber: Gut Ding braucht Weile. Hätten wir damals gewusst, wie lang und beschwerlichder Weg ist, ich glaube, der Verein hätte sich nicht gegründet. Aber dennoch: Wenn ich an die ersten Draisinenfahrten mit der großen Handhebeldraisine denke, damals zum Denkmaltag 2002, und wie viele Leute sich seitdem für das Viadukt und die Kanonenbahn interessiert haben – das gab einem immer wieder Zuversicht, um weiterzumachen. Damals hatte,um die Genehmigung bei der Deutschen Bahn zu bekommen, immer der kleine Dienstweg gereicht.Irgendwann läuteten auch in Leipzig die Glocken und einige Male war es bis einen Tag vor Himmelfahrt unklar, ob wir die Draisinenzum Kanonenbahnfest fahren lassen konnten oder nicht.

LE: Können Sie kurz umreißen, was das Ziel des Vereins ist und was in diesem Zusammenhang bislang erreicht wurde?

Winfried Stöber: Die Ziele des Vereins sind seit 2002 unverändert. Die Errichtung einerDraisinenbahnstrecke von Dingelstädt bis Geismar, sowie die Realisierung des Radwanderweges auf dem ehemaligen zweiten Gleisbett als Bindeglied zwischen den Unstrut- und den Werraradweg. Die Grundlagen dafür werden zurzeit geschaffen. Zum Erreichten lässt sich sagen: Wir haben in den vergangenen 5 Jahren ca. 30.000 Gäste nach Lengenfeld unterm Stein gelockt und haben ihnen gezeigt, in welch herrlicher Gegend wir wohnen.

LE: Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn und was macht die Gespräche mit diesem Verhandlungspartner bekanntermaßen so schwierig?

Winfried Stöber: Wie schon angedeutet, der Kirchturm ist weit weg und bis man einen kleinen Verein ernst nimmt, vergehen Jahre. Es gab einige Fürsprecher, die wir für unsere Idee gewinnen konnten, aber auch einige, die gewaltig dagegen sprachen. Zum anderen ist es auch die Eigenart der Kanonenbahnstrecke mit ihren vielen Brücken und Tunneln, welche viele erst einmal sehr zweifeln ließen. Seit einem Jahr jedoch, seit dem die Besucherzahlen bekannt sind, ist die Zusammenarbeit mit der DB recht zufriedenstellend.

LE: Immer wieder interessieren sich die Einwohner Lengenfelds für die vielen Besucher, die bereits ab dem Frühjahr ins Südeichsfeld strömen, um das „Erlebnis Draisine“ kennenzulernen. Können Sie uns einige statistische Fakten und Zahlen hierzu nennen?

Winfried Stöber: Im Jahre 2006 hatten wir knapp 8.700 Fahrgäste. Im vorigen Jahr waren es ca. 17.600, also eine deutliche Steigerung. Interessant ist, dass es keine speziellen Altersgruppen gibt, die bevorzugt Draisinen fahren. Ob Schulklassen, junge Familien, das „Mittel-Alter“ oder Senioren – alle hatten ihren Spaß an diesem Erlebnis. An vielen Wochenenden hatte man als spontaner Fahrgast kaum eine Chance,noch einen Draisine zu bekommen. Diese waren meist schon drei Wochen vorher ausgebucht. Die Besucher kamen aus ganz Deutschland. Die weitesten aus Australien, den USA, Frankreich und ein netter Bischof aus Nigeria. Wenn man bedenkt, dass einige Draisinennutzer als Tagestouristen bis zu 250 km fahren, um nach Lengenfeld unterm Stein zu kommen, ist das schon erstaunlich.

LE: Die Draisinenstrecke wurde in ihrenAnfängen einmal als „Motor für den Tourismus“ bezeichnet. Denken Sie, dass diese Formulierung auch heute noch zutreffendist?

Winfried Stöber: Stärker denn je. Die 30.000 Gäste haben hier in der Region ihre Spuren hinterlassen. Sie haben getankt, gegessen, getrunken und sind Draisine gefahren. Wenn die Anbindung an das Fahrradwegenetz vorhanden ist, werden wir dieses noch mehr zu spüren bekommen.

LE: Haben Sie mit einem derartigen Ansturm gerechnet, den das „Erlebnis Draisine“ im vergangenen Jahr erlebt hat und was sind die Eindrücke der zahlreichen Besucher?

Winfried Stöber: Ich hatte mir vor fast 5 Jahren eine Draisinenstrecke in Rheinland-Pfalz angesehen. Ich wollte damals im Herbst eine Draisine buchen, um die Strecke kennenzulernen. Es war nicht möglich, drei Wochen vor Fahrtantritt eine Draisine zu bekommen. Wir sind dennoch hingefahren und haben uns zwei Draisinenbahnhöfe angeschaut. Damals fuhren auf einer Länge von ca. 40 km 80 Draisinen, heute sind es 110. Da kann es einfach nur heißen: Was woanders geht, muss bei uns auch funktionieren. Der große Vorteil, den wir haben,ist die Einmaligkeit. Neben der Landschaft (hat die Pfalz-Bahn auch), haben wir die Bauwerke. Nicht nur das Viadukt, sondern auch die bis zu 30 m hohen Bahndämme und die vielen Tunnelbauten. Zudem gab es kaum unzufriedene Besucher. Nach der anstrengenden Fahrt bergauf kam nach wenigen Metern bergab das Lächeln in den Gesichtern wieder. Das Manko war bisher jedoch, dass man immer im Pulk fahren musste. Derjenige, der schnell in Großbartloff war, musste zum Teil recht lange bis auf den Letzten warten. Für den Letzten, der gerade oben angekommen war, hieß es sofort umdrehen und zurück. Aber es lies sich nicht anders realisieren.

LE: In wenigen Wochen startet die neue Saison auf der Kanonenbahn. Was erwartet die Besucher in diesem Jahr und welche Neuerungen wird es geben?

Winfried Stöber: In der erster Linie hoffen wir,dass das lästige in-der-Gruppe-fahren der Vergangenheit angehört. Erreichen wollen wir das durch die Verlängerung der Strecke auf 10 km bis zum Küllstedter Tunnel und durch variable Abfahrtszeiten. Alle 1 bis 1,5 km werden dann Haltestellen sein, wo man die Möglichkeit hat,seine Draisine herauszuheben. Schneller Fahrende können so vorbeigelassen werden. Die Fahrtdauer erhöht sich auf max. 3,5 Stunden. Angedacht sind auch geführte Mondscheinfahrten im Fackellicht. Für das Kanonenbahnfest am Himmelfahrtwochenende ist für den Samstag eine weitere Neuerung vorgesehen: Die Austragung der ersten „Mitteldeutschen Draisinenmeisterschaften“. Der Ablauf dafür wird noch bekannt gegeben. Auch ist geplant, jeden ersten Sonntag im Monat am Bahnhof eine musikalische Umrahmung anzubieten.

LE: In diesem Zusammenhang noch eine Frage, die sicherlich viele Lengenfelder interessieren wird. Gibt es konkrete Pläne zur Erhaltung und Nutzung des Lengenfelder Bahnhofs?

Winfried Stöber: Für den Lengenfelder Bahnhof gibt es gemeinsam mit der Gemeinde konkrete Ziele. Wichtig für dieses Jahr, dass der Kioskbetrieb optimiert wird. Auch muss die touristische Infrastruktur um den Bahnhofdeutlich verbessert werden. Informationstafeln, Parkplatzerweiterung, sowie ein Spielplatz sind angedacht.

LE: Sind sie zuversichtlich, dass sich auch die anderen Gemeinden entlang der Kanonenbahnaktiv für dieses Projekt begeistern können?

Winfried Stöber: Die Anliegergemeinden sind im Wesentlichen vom touristischen Potenzial der Strecke überzeugt. Was bis vor kurzem kommunalrechtlich und -politisch recht schwierig war, wird sich in naher Zukunft zum Guten wenden. Die Stadt Dingelstädt war bereits im vorigen Jahr(und momentan wieder) mit dem Freischneiden auf der Strecke aktiv. Die VG Küllstedt ist mit 6 Arbeitskräften seit Dezember mit dem Freischneiden vom Küllstedter Tunnel bis Großbartloff beschäftigt (2km sind schon geschafft). 2009 feiert Dingelstädt 150 Jahre Stadtfest. Bis dahin, so der Wunsch des Stadtrates, sollen die Draisinen bis Dingelstädt rollen.

LE: Abschließend noch eine visionäre Frage. Wo sehen Sie die Kanonenbahn in 10 Jahren?

Winfried Stöber: Vielleicht können wir die gesamte Strecke nicht langfristig erhalten, aber wenn wir es geschafft haben die Kanonenbahnauf ein gewisses Niveau zu heben, dass sie aus der Tourismusbranche in Thüringen nicht mehr wegzudenken ist, dann, bin ich überzeugt, können wir das Lengenfelder Viadukt und auch andere Bauwerke entsprechend sanieren.

LE: Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!