Transalpine Run - Ein Lauf der besonderen Art - Teil 2


Manfred und Holger auf der Rappenscharte in 3.012 Metern Man konnte die Spannung am heutigen Tag förmlich spüren. Seltsam still und nachdenklich waren die Läufer heute. Jeder wusste, was heute anstand. Eine wahre Hammeretappe über 42,195 km mit 2234 Höhenmetern im Aufstieg.
Die erste Hürde für mich war schon das Frühstück. Es mochte nicht so richtig schmecken und lag zudem auch noch wie ein Stein im Magen. Manfred dagegen haute ordentlich rein und der Kaffee schmeckte ihm auch sehr gut. So gingen wir um 8 Uhr an den Start und machten uns auf die Reise. Unser Weg führte uns heute von Ischgl durch das Fimbertal hinauf zum Fimberpass auf 2608 m. Weiter ging es wieder ins Tal hinab auf 1860 m, wo auch die Verpflegungsstelle eingerichtet war. Diese waren immer super: mit Wasser, Isogetränken, Kuchen, Obst, Nüssen, Energieriegeln und teilweise auch mit Brot und Schinken. Von dort ging es frisch gestärkt weiter, hinauf zur Fuorcla Campatsch auf 2730 m. Mittlerweile ist es richtig heiß geworden und die Anstiege sind brutal steil und ewig lang. Doch unser 2er Team funktionierte bestens, jeder nahm auf den anderen Rücksicht und so kamen wir unserem Ziel in der schönen Schweiz immer näher. Ein kurzer Blick zur Uhr – die 5-Stunden-Marke war erreicht – und wir sahen den Zielort Scoul im Tal liegen. Langsam meldeten sich meine Beine, zudem ging es über Wiesen des Skigebiets extrem steil bergab. Besonders die „Bergab-Muskeln“ und meine Riesenblase am Fuß schmerzten bei jedem Schritt. Aber irgendwie geht es immer weiter, das Ziel vor den Augen – und ich schaff das – lassen den Schmerz vergessen. Im Ziel ist es mittlerweile 30°C – wir beide happy – und nach 5 Stunden und 33 Minuten doch etwas erschöpft. Zum Glück stand morgen „Ruhetag“ auf dem Programm nur kurz unterbrochen von einem Bergsprint über 6,2 km und 800 Höhenmetern – eigentlich die reinste Erholung. In Scoul, einem wirklich wunderschönen Örtchen, genossen wir noch das dortige Thermalbad und bummelten ein wenig durch das Dorf.

Am nächsten Tag war Ausschlafen angesagt, der reinste Luxus. Das Frühstück nicht um 6:30 Uhr, sondern so gegen 10 Uhr. Wir nahmen uns richtig Zeit, denn der Sprint begann erst 15:30 Uhr. Nach ausgiebigem Relaxen und Wundenlecken war es dann auch schon so weit. Gestartet wurde in umgekehrter Reihenfolge, also die Langsamsten zuerst und die schnellsten zum Schluss. Manfred und ich waren gegen 16:30Uhr dran und diesmal konnte jeder für sich laufen. Am Ende wurden die zwei Zeiten addiert. An diesem Tag erreichten wir den 5. Platz in unserer Klasse, was uns natürlich hoch zufrieden stimmte. So gönnten wir uns am Abend auch mal wieder ein richtiges Bierchen.

Läufer entlang der Uina-Schlucht Dafür hieß es am nächsten Tag um 5 Uhr: Nachtruhe beenden. Wegen hoher Gewittergefahr am Nachmittag wurde der Start schon auf 7 Uhr vorverlegt. Schließlich waren wieder 37,1 km und 1332 Höhenmeter im Aufstieg und 1500 m im Abstieg zu bewältigen. Heute sollte die landschaftlich schönste und wohl spektakulärste Etappe vor uns liegen. Von Scoul in der Schweiz liefen wir durch die berühmt-berüchtigte Uina-Schlucht. Dieser uralte Alpenpfad wurde direkt in den senkrechten Fels gesprengt. Schade, dass man so wenig Zeit hatte (oder sich gönnte), um hier etwas länger zu verweilen. Hier passierten wir auch die Landesgrenze Schweiz – Italien und liefen auf relativ flachen Wiesen und Wegen zur Pforzheimer Hütte auf 2210 m. Von dort aus ging es dann „nur noch“ bergab, was gar nicht so meine Stärke ist. Die Muskeln schmerzten, die Blase schmerzt, aber im Ziel ist auch das wieder alles vergessen – bis zum nächsten Tag zumindest. Heute kamen wir nach 4 Stunden und 22 Minuten im schönen Etschtal in Mals an. Bei herrlichem Wetter ließen wir den Tag ruhig ausklingen, um auch morgen wieder unser Bestes geben zu können.

Die vorletzte Etappe sollte uns von Mals nach Schlanders ins sonnige Vinschgau führen. Es war noch mal ein Stück von 34,5 km abzuspulen, welche auf dem Streckenprofil sehr einfach aussahen. Auf der einen Seite hinauf und auf der anderen hinab ins Tal. Der Haken war nur: es ging diesmal bis auf 3012 m hinauf zur Rappenscharte. Nach einem guten Frühstück ging es um 8:30 Uhr los und die ersten 10 km liefen wir recht locker auf Forst und Asphaltstraßen. Mittlerweile hatten wir uns so gut an die Höhe angepasst, sodass unser Puls selbst bei starker Belastung kaum über 140 Schläge pro Minute stieg. Bei Kilometer 15 war es aber erst mal vorbei mir dem Spaß. Wir stiegen von ca.1890 m auf 3012 m hinauf und standen nach 4 km glücklich auf der Rappenscharte. Von Laufen konnte hier keine Rede mehr sein. Teilweise ging es völlig weglos über Geröll, was natürlich auch enorm anstrengend war. Aber der schwierigste Teil sollte noch vor uns liegen. Der Abstieg von 2339 Höhenmetern – und zwar nonstop. Es ging über extrem steile Wege hinab nach Schlanders (Italien). Für diese hammerharte Etappe brauchten wir 5 Stunden und 14 Minuten und erreichten Platz 9 in unserer Altersklasse. Frisch geduscht und gestärkt genossen wir die lockere Stimmung an diesem Abend. Man merkte förmlich, wie eine Last von uns allen abfiel. Morgen stand die letzte Etappe auf dem Programm und die wollte jeder schaffen, zur Not auch auf allen Vieren. Am nächsten Morgen standen alle gut gelaunt am Start. Nach bisher gelaufenen 216 km sollten die letzten 28 km nun wirklich kein Problem mehr sein. Nach dem Start ging es über Waldwege sehr steil hinauf zur Göflarner Scharte auf 2396 m. Von dort weiter auf dem wunderschönen Marteller Höhenweg mit traumhaftem Blick zum Ortler, welcher mit seinen schneebedeckten Gipfeln zu sehen war. Hinunter ins Tal windet sich der Weg in weiten, flachen Serpentinen. Hier lassen Manfred und ich es noch mal richtig krachen. Drei Teams können wir noch überholen, bis endlich in weiter ferne der Kirchturm von Latsch (Italien) auftaucht. Durch unendlich lange, aber doch wunderschöne Apfelplantagen nähern wir uns dem lang ersehnten Ziel. Auf den letzten Metern schossen mir die Tränen ins Gesicht und Hand und Hand liefen Manfred und ich nach 4:02 h überglücklich ins Ziel. Ein sagenhaftes Gefühl, welches nicht zu beschreiben ist. Ich glaube es kann nur jener, der es selbst erlebt hat, verstehen. Mit diesen überwältigenden Eindrücken ging eine unvergesslich geile, schmerzhafte, aber doch wunderschöne Woche zu Ende. Nach 244 km und fast 15000 Höhenmetern hieß es Abschiednehmen. Jedes Team hatte sein Bestes gegeben und die Grenzen der Möglichen neu ausgelotet. Kondition und Lauftalent reichten allerdings nicht aus, um so eine Woche zu überstehen, ohne Team- und Sportgeist wäre absolut nichts gegangen. Manfred und ich landeten übrigens in der Endwertung nach 33 Stunden und 28 Minuten auf Platz 8 in unserer Altersklasse, in der 35 Teams am Start waren.
Auch in diesem Jahr gibt es wieder einen Transalpine-Lauf – der nur auf euch wartet!