Unser täglich Brot gib uns heute ... (1992)

Während unserer Kindheit – Jahre vor dem 2. Weltkrieg – wurde fast in jedem Haus in unserem Dorf durch die Hausfrau und Mutter Brot gebacken. Fast jeder Dorfbewohner hatte einen Acker oder betrieb eine Landwirtschaft, so dass Korn selbst angebaut wurde.

Entweder wurde im Sommer während der Ernte sofort bei einem größeren Bauern das Getreide gedroschen oder im Spätherbst rückte der Dreschmaschinenbesitzer von Scheune zu Scheune. Dann war gegenseitige Nachbarschaftshilfe sehr gefragt und wurde in hohem Maße tagtäglich praktiziert. Schließlich benötigte man zum Drusch mehr als ein Dutzend Leute.

Es war eine harte, schwere und staubige Angelegenheit, trotzdem machte es immer wieder Spaß und Freude, sich gegenseitig zu helfen. Zunächst wurden die Getreidegarben von oben aus der Scheune auf die Dreschmaschine geworfen, das machten meistens die Kinder, welche an diesem Tag auch mal die Schule schwänzen durften. Zum Schluss kam meistens der ebenerdige Bansen in der Scheune dran, dann mussten die Bündel von unten hoch auf die Dreschmaschine gegabelt werden. Das gedroschene Korn musste von kräftigen Männern einige Treppen hoch auf den obersten Boden des Hauses getragen werden und wurde aus den Säcken auf einen Haufen geschüttet. Andererseits musste das gedroschene Stroh in der Scheune wieder mit der Gabel hochbugsiert werden. Hatte die Dreschmaschine keinen Selbstbinder mit Presse, so mussten geschickte Frauenhände Strohseile binden, womit das Bündelstroh eingebunden wurde.

Ein schönes Erlebnis waren natürlich die nach Stunden schwerer Arbeit eingelegten Pausen. Die Hausfrau stellte etwas Deftiges auf den Tisch und alle langten kräftig zu, um neue Kräfte zu sammeln. Auch wurde hierbei auch mal ein gebürtiger „Nordhäuser Korn“ eingefahren.

Die kleineren und unerfahrenen Jungen wurden zum Schluss aus Schalk zu einem Nachbarn oder Bekannten geschickt und mussten den sogenannten „Bansenscheller“ holen. Hier wurden ihnen dann meistens schwere Gewichte und ein alter Reisigbesen in einen Sack gesteckt, und dann kamen die Knirpse keuchend damit angeschleppt, öfters wurden sie von den Erwachsenen über den geglückten Scherz ausgelacht.

Waren die Ernte und der Drusch gut, hatte man für das nächste Jahr Vorrat für Mensch und Vieh auf dem Boden.

So kam zu dieser Zeit wöchentlich ein Pferdegespann von der Obermühle Lengenfeld zu uns ins Dorf und holte das bereitgestellte Korn ab, um es zu Mehl zu vermahlen. In der Woche darauf wurde das gemahlene Mehl wieder zurückgebracht. Ein treuer Kutscher, der seinen Kunden sehr gefällig war, ist unser Mitbürger Franz Jagoda, den wir alle kennen. Dieser Turnus wiederholte sich wöchentlich das ganze Jahr über.

Wie eingangs schon erwähnt, wurde fast in jedem Haus Brot gebacken, und ich erinnere mich noch ganz genau, wenn meine Mutter jede Woche einmal Brot gebacken hat. Nachmittags mussten wir Kinder zum Bäcker und einen Teller voll Sauerteig holen. Der Sauerteig wurde am Abend mit Roggenmehl und warmem Wasser in einem großen Holztrog zu einem Brei vermengt, diesen Vorgang nannten wir „säuern“. Wir Kinder durften immer mit einem Töpfchen das warme Wasser zwischen das Mehl und den Sauerteig gießen, während unsere Mutter dieses mit beiden Händen zu einem flüssigen Brei vermengte. Dieser Trog stand neben dem warmen Ofen und wurde zum Schluss mit dicken Decken schön warm zugedeckt, so dass das Gesäuerte über Nacht stehen blieb und praktisch einen Säuerungsprozess durchmachte. Am anderen Morgen, in aller Frühe, wurde dem Gesäuerten noch Mehl beigemengt und der Bäcker holte den fertigen Brotteig in dem großen Holztrog mit einem übergroßen Spezial-Handwagen ab und hat das Brot davon gebacken.

Mittags nach der Schule mussten wir Kinder dann das knusperfrische Brot beim Bäcker abholen, das waren so wöchentlich 8 bis 10 Brote für unsere neunköpfige Familie. Der Duft des frischen Brotes regte unseren Geschmackssinn dermaßen an, dass wir unterwegs öfters von der frischen Rinde abgeknuppert haben oder mit dem Finger ein Loch in den Brotlaib bohrten. Wenn wir dann nach Hause kamen, hat die Mutter deshalb nie geschimpft, sondern sie sagte dann: „Do waren ja de Miese schun wedder draane!“ (auch meine Enkel machen das heute wieder). Im Gewölbekeller war eine Holzhänge angebracht, wo für eine ganze Woche der Brotvorrat lag, und ich kann mich nicht erinnern, dass meine Mutter ein Stück Brot umkommen ließ. Brot war für uns „heilig“, so hatten wir es von unseren Großeltern und Eltern gelernt!

Frischgebackenes Bauernbrot, zu dieser Jahreszeit dünn mit Gänsefett bestrichen, schmeckt mir heute noch vorzüglich. Probieren Sie es mal. Das sind Erinnerungen aus der Kindheit, an die man gern mal zurückdenkt.

Willi Tasch
(Quelle: Obereichsfeld-Bote, Nr. 47/1992)