Hahnscher Steingarten mit plätscherndem Gewässer als Lengenfelder Attraktion im 20. Jahrhundert

Vor dem Zweiten Weltkrieg warb Lengenfeld unterm Stein für sich als eine Ortschaft, die ideale Sommerfrische für Erholungssuchende bietet. Dort könne sich der Naturfreund und Kenner an Felsbildungen des Bundsandsteins und der Muschelkalkformation genauso erfreuen wie an schönen und seltenen Pflanzen, die in vielen anderen Gegenden nicht zu finden sind. Die Einwohnerschaft sei bemüht, es ihren Gästen so angenehm wie möglich zu machen.[1] Dazu trug zweifellos ein nach bestimmten Regeln der Gartenkunst gestaltetes Parkgelände unterhalb des früheren Schlosses Bischofstein bei. Anton Fick erwähnte es in seinem Verzeichnis der Lengenfelder Flurnamen als Flur „Am Eselsbrunnen (im Hahnschen Naturschutzpark an der Zollstede gelegen)“.[2] Es befand sich in der Flur „Hainzrain“[3] neben der früher „Zollstede“ genannten Fläche zwischen der ehemaligen Hagemühle und dem Schlossweg, für deren Nutzung die Hagemüller vor Jahrhunderten einen festgelegten „Zoll“ entrichten mussten.[4] Seit einigen Generationen gehörte es den Besitzern der ehemaligen Lengenfelder Mittelmühle beziehungsweise ihren Nachfahren. Zwischen zahlreichen Muschelkalksteinen waren in ihm außergewöhnliche Pflanzen zu finden. Die Einwohner nannten es daher meistens Steingarten der Familie Hahn.

Auf diesem Gelände versuchte Michael Hahn vor dem Ersten Weltkrieg einen Bundsandsteinbruch einzurichten und Sand abzubauen. Weil der wirtschaftliche Erfolg dieser Unternehmung ausblieb, rekultivierte sein Sohn Peter die Abbaufläche, als er aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte. Er legte einen terrassenförmigen Garten mit zahlreichen Steingartengewächsen aus verschiedenen Regionen der Erde an (Abb. 1). Als Mitglied des Vereins „Bund für Vogelschutz“ brachte er in ihm mehrere Nisthilfen zum Schutz der einheimischen Vogelwelt an.[5] Peters Tochter Gabriele Sonnabend besitzt Bilder, Aufzeichnungen und eigene Erinnerungen an das Erscheinungsbild der Anlage, wie es bis zum Beginn der 1980er Jahre bestand.

An den Gartenhängen gediehen unter anderem seltene Orchideen. Steine waren als Hangbefestigungen, als Dekoration und zur Wegführung angeordnet (Abb. 2). Sie bildeten teilweise natürliche oder arrangierte Steingebilde aus Muschelkalk, deren Anblick die Fantasie anregte. Gartenbesucher erkannten 16 durch Steine gebildete tierische oder menschliche Gestalten. Sie erblickten angeblich den Froschkönig, den Teichschalk, den Fischotter, den Igel, den Iltis, den Fuchs, die Meerkatze, den Adler mit Beute, den treuen Hofhund Harald, den Großvater mit der Enkelin, die Seerosenkönigin, zwei spanische Mädchen, eine Badende, ein Affengesicht und einem Mumienkopf.[6]

Einen Anziehungspunkt des Gartens bildete der Teich mit Sitzgelegenheit. In ihn ergoss sich Wasser aus einem Rohr, das aus dem Berghang ragte (Abb. 3). Es kam von einer Quelle oberhalb des Schlosses. Die Gartenbesucher konnten dort eine Zeitlang verharren und dem Plätschergeräusch lauschen. Die Abbildung 3 zeigt Peter Hahn am Teichrand zusammen mit Lambert Rummel,[7] der für seine Abhandlungen zur Insektenkunde, Geologie und Geschichte im Heimatgebiet bekannt ist.

Den Garten besuchten viele Einheimische und Fremde, mit denen die Familie Hahn private oder geschäftliche Kontakte pflegte. Aufgrund der freundschaftlichen Beziehungen zur Familie des Landerziehungsheimleiters Ripke kamen auch die Schüler der Internatsschule und zahlreiche Familiengäste Ripkes in den angrenzenden Garten. Das geschah oft, ohne dass die Gartenbesitzer anwesend waren.[8]

Das Gartenidyll besichtigten zwischen 1948 und 1984 zahlreiche im Schlossgebäude untergebrachte Feriengäste. Das FDGB-Ferienheim für Lehrer und Erzieher beherbergte anfangs bis zu 50 Urlauber und später bis zu 171 Personen gleichzeitig.[9] Die mehr als 1000 Heimgäste pro Jahr konnten Sport treiben und verschiedene kulturelle Angebote, wie Theateraufführungen, Konzerte, Buchlesungen oder Vorträge, nutzen.[10] Über einen kurzen Weg vom Schlosspark aus erhielten sie die Möglichkeit, den Steingarten aufzusuchen. Peter Hahn stellte ihnen gern die Besonderheiten seiner Gartenkunst vor. Er arrangierte zusätzlich Ausstellungen und Theaterstücke für die Gartenbesucher. In seiner Abwesenheit führten oftmals Ferienheimangestellte interessierte Feriengäste durch den Garten.[11] Sie konnten eine nach dem Krieg veränderte Teichgestaltung (Abb. 4) bewundern.

Welche Resonanz der Gartenbesuch auslöste, zeigen zwei erhalten gebliebene Gästebücher. Die vielen Eintragungen stammen aus den 1930er Jahren oder aus der Zeit zwischen 1950 und 1970. Vor dem Krieg überwogen Besucher aus der näheren Umgebung, aus Thüringen und Westfalen. Zu Zeiten des FDGB-Heims kamen Heimgäste aus den südlichen und mittleren DDR-Bezirken. Viele lobten besonders die lauschige Atmosphäre und die freundliche Unterweisung im Garten. So fand 1939 eine Familie aus Dingelstädt vor allem den „Märchenhain“ und die plätschernde Quelle am Teich beeindruckend. Besucher aus Potsdam und Erfurt genossen 1950 die Faszination, die von den leisen Wassergeräuschen beim Verweilen in der Anlage ausging. Eine Familie aus Dresden würdigt 1962 die vielen seltenen Pflanzen und die zahlreichen Vogelnistkästen. Manche Gartenbesucher drückten ihre Eindrücke in Gedichtform und Zeichnungen aus.[12]

Nach dem Tod Peter Hahns 1964 fiel den Familienangehörigen die angemessene Gartenpflege immer schwerer. Eine Zeitlang übernahm der Hausmeister des Ferienheims notwendige Pflegearbeiten. In den 1980er Jahren verwilderte die Gartenlandschaft.[13] An ihrem Beispiel zeigt sich die Vergänglichkeit der Werke menschlichen Schaffens. Heutzutage erinnert kaum noch etwas an ihr einstmals beeindruckendes Erscheinungsbild, das die Anziehungskraft der Lengenfelder Umgebung steigerte.

Kurt Porkert,
Juli 2020

Fußnoten

[1] Vgl. Lengenfeld unterm Stein : die ideale Sommerfrische (1938) : ein Ort, der reich an Geschichte ist : für Erholungssuchende der gegebene Platz. In: Eichsfelder Heimatbote 17 (1938) vom 20. August 1938, zitiert nach Lengenfelder Echo vom August 2017, S. 10.

[2] Vgl. Fick, Anton: Die Flurnamen der Gemarkung Lengenfeld. In: Eichsfelder Heimatglocken 2 (1953), S. 67-70; zitiert nach Krebs, Oliver: Die Flurnamen der Gemarkung Lengenfeld nach Anton Fick. Lengenfeld 2010 (Schriftliche Auskunft).

[3] Vgl. Gemeinde Lengenfeld unterm Stein (Hg.): Kleine Chronik der Gemeinde Lengenfeld unterm Stein. Duderstadt 1997, S. [120]. In der aktuellen Geodateninfrastrukturkarte BORIS-TH ist dagegen der Flurname „Vor dem Schlosse“ vermerkt.

[4] Vgl. Rummel, Lambert: Chronik Lengenfelds und Bischofstein bis 1815. Lengenfelder Echo, August 2010, S. 11, zitiert nach: Die Geschichte unserer Mühlen. In: Das Südeichsfeld damals und heute – Archiv des HeimatStudios, //eichsfeld-archiv.de/dokument/Die_Geschichte_unserer_Mühlen, Zugriff: 23.05.2020.

[5] Auskunft von Gabriele Sonnabend.

[6] Vgl. Aufzeichnungen der Familie Hahn.

[7] Auskunft von Gabriele Sonnabend.

[8] Auskunft von Gabriele Sonnabend.

[9] Vgl. Kleine Chronik der Gemeinde Lengenfeld (Anm. 3), S. 39.

[10] Vgl. ebd.

[11] Auskunft von Gabriele Sonnabend.

[12] Vgl. Gästebücher der Familie Hahn.

[13] Auskunft von Gabriele Sonnabend.

Abbildungen und Bildunterschriften

Abb. 1: Gartenbereich mit stärkerer Regelmäßigkeit in der Steinanordnung. Foto: Sammlung Gabriele Sonnabend.

Abb. 2: Gartenbereich mit natürlicher Steinanordnung. Foto: Sammlung Gabriele Sonnabend.

Abb. 3: Gartenteich in den 1930er Jahren. Foto: Sammlung Gabriele Sonnabend.

Abb. 4: Gartenteich nach dem 2. Weltkrieg mit veränderten Zulauf. Foto: Heinrich Hardegen, Archiv der Gemeinde Lengenfeld unterm Stein.

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