Die (Eichsfelder) Tunnelbauten auf der Strecke Nordhausen – Wetzlar (ein bautechnischer Bericht aus dem Jahre 1883)

Editorische Notiz:

Der nachfolgende Bericht wurde auf die Tunnelbauten, welche im Eichsfeld liegen, gekürzt. Eigentlicher Schwerpunkt der Abhandlung ist der Remsfelder Tunnel (Schwalm-Eder-Kreis/Hessen) und die Schwierigkeiten bei der Erbauung desselben.

Der Autor des Beitrages ist Julius Lehwald, welcher die „technische Oberleitung für die Baustrecke Nordhausen – Wetzlar“ innehatte. Kürzungen und Auslassungen des Originaltextes wurden durch „[...]“ kenntlich gemacht.

Oliver Krebs

Einleitung

Wie schon bei der Beschreibung der größeren Kunstbauten der Strecke Nordhausen – Wetzlar erwähnt worden ist, überschreitet die Bahnlinie nicht allein mehrere Wasserscheiden, sondern durchschneidet auch in den von ihr verfolgten FIuss- und Bachthälern eine größere Anzahl stark vorspringender Bergnasen, wodurch die Herstellung mehrerer Tunnels in größerer und geringerer Länge bedingt wurde. Im Ganzen waren 8 Tunnels mit einer Gesamtlänge von 5969,9 m und einem Gesamt-Kostenaufwande von 9 730949 M. auszuführen, und zwar:

1) der Remsfelder- (Wasserscheide) Tunnel,
2) der Bischofferoder- (Wasserscheide) Tunnel,
3) der Frieda-Tunnel,
4) der Entenberg-Tunnel,
5) der Heiligenberg-Tunnel,
6) der Mühlenberg-Tunnel I,
7) der Mühlenberg-Tunnel II,
8) der Küllstädter- (Wasserscheide) Tunnel.

Für den Zweck der nachstehenden Abhandlung wird es genügen, wenn der speciellen Beschreibung über die Bauausführung eines Tunnels noch Notizen über die bei anderen Tunnelausführungen etwa vorgekommenen Abweichungen und einige allgemeine Betrachtungen zugefügt werden.

[…]

Baudisposition

Wesentlichen Einfluss auf die correcte und glatte Durchführung eines Tunnelbaues übt die vorher eingehend durchgearbeitete Aufstellung eines Baudispositionsplanes. Für die Aufstellung desselben ist zunächst die Lange der vorhandenen Bauzeit bis zur vollständigen Fertigstellung der Bahn überhaupt, maassgebend. Man muss selbstverständlich die Bauzeit für den Tunnel stets um einen entsprechenden Zeittheil kürzer als die Bauzeit bis zur Fertigstellung der ganzen Bahn normiren, einerseits, weil unvorhergesehene Schwierigkeiten gerade bei Tunnelanlagen zu häufig die Fertigstellung um ein Bedeutendes verzögern und dann die rechtzeitige Eröffnung der ganzen Bahn in Frage stellen können, andererseits, weil es behufs rationeller Disposition über die Herstellung des Oberbaues, zur Erleichterung der Communication zwischen den auf beiden Seiten des Tunnels liegenden Baustellen, sowie ferner bei der event. plötzlich eintretenden Nothwendigkeit, Materialien etc. auf kürzestem Wege über die Tunnelbaustelle nach entfernt liegenden Arbeitsstellen transportiren zu müssen, – im höchsten Grade wünschenswerth sein muss, den Tunnel schon längere Zeit vor der Betriebseröffnung passiren zu können.

Ein anderer sehr wichtiger Umstand für die Arbeitsdisposition ist die Anzahl der projectirten Arbeitsstellen. Hierbei kommt in Betracht, dass im Anfange der Bauzeit auf eine stetige Vermehrung der Arbeitskräfte Bedacht zu nehmen ist; dass dagegen, sobald die Ausführung im vollen Gange ist, auf einen gleichmässigen Fortschritt derselben hingewirkt, d. h, strenge darauf gehalten werden muss, dass stets eine möglichst gleiche Anzahl von Arbeitsstellen sich im Betriebe befindet, damit nicht plötzlich Arbeiter zu entlassen sind oder angenommen werden müssen. Letzteres hat – wenn nicht immer sofort eine genügende Anzahl von Arbeitern zur Disposition steht, was auf den meistens isolirt liegenden Tunnelbaustellen in der Regel nicht der Fall ist, – zur Folge, dass einzelne Ausweitungen zu lange in der Auszimmerung stehen müssen, was stets nachtheilig ist, bei druckhaftem Gebirge aber sehr gefährlich werden kann. Der erstere Fall, Arbeiter plötzlich entlassen zu müssen, ist zwar augenblicklich von keinerlei Nachtheil für die Bauausführung, hat aber zur Folge, dass behufs Einhaltung der Bauzeit über kurz oder lang der zweite Fall mit seinen vorerwähnten nachtheiligen Einflüssen eintreten muss.

Nach den vorstehenden Gesichtspunkten ist demnach zunächst der Arbeitsbetrieb zur Herstellung des Sohlenstollens zweckentsprechend zu disponiren, ferner die Anzahl der event. abzuteufenden Schächte so wie die der Aufbrüche und der damit zusammenhängenden Angriffspunkte für die Ausführung genau festzustellen. Bei der Anordnung der Schächte ist ausserdem auch noch die Gradiente der Tunnelsohle resp. die von dieser Gradiente abhängende Entwässerung der Tunnelbaustellen, so weit als irgend thunlich, in Betracht zu ziehen.

[…]

Baukosten

Entsprechend den grossen zu überwindenden Schwierigkeiten sind auch die Baukosten für den Remsfelder Tunnel verhältnissmässig sehr hohe geworden. Dieselben betragen incl. 20250 M. für die beiden Portale in Sa. 2 180250 M. Hieraus berechnet sich ohne Berücksichtigung der Kosten für die Portale ein Einheitspreis von rot. 2389 M. Wie aus der nachfolgenden Zusammenstellung der Kosten der sämmtlichen auf der Strecke Nordhausen-Wetzlar zur Ausführung gekommenen Tunnels hervorgeht, wird dieser Einheitspreis bei keinem der anderen Tunnel auch nur annähernd erreicht. Der nächst theuerste ist der Küllstädter Tunnel bei einem Einheitspreise von rot. 1728 M pro lfd. m, während der Entenberg-Tunnel den niedrigsten Einheitspreis von 1160 M pro lfdn. m aufweist.

Da der Tunnel durch den St. Gotthard zu 3733 Frs. oder 2986,4 M. pro lfd. m veranschlagt war, so sind die Herstellungskosten des Remsfelder Tunnels nur um etwa 25 % billiger als die des ersteren Tunnels ausgefallen.

Ein Vergleich der wirklichen Baukosten mit den im Kostenanschlage vorgesehenen ergiebt, dass nur 3 Tunnels, der Bischofferoder, der Frieda- und der Entenberg-Tunnel, billiger als veranschlagt, ausgeführt sind, während die Überschreitung gegen den Anschlag bei dem Remsfelder Tunnel etwa 40 % und beim Heiligenberg- und Küllstädter Tunnel etwa 15 % beträgt,

Schlussbemerkungen

Die bereits im Eingange angedeuteten Abweichungen bei der Ausführung der übrigen Tunnels sind im Durchschnitt so geringfügiger Art gewesen, dass über dieselben nur wenig zu sagen übrig bleibt. Namentlich sind besonders erwähnenswerthe Abweichungen von den vorbeschriebenen Ausbau-Methoden bei den übrigen Tunnels nicht vorgekommen.

Mit Ausnahme des Bischofferoder Tunnels, bei welchem, wie erwähnt, der Ausbau mit schmiedeeisernen Bögen hauptsächlich zur Anwendung kam, ist bei sämmtlichen übrigen Tunnels der Ausbau mittelst Holzzimmerung, und zwar vorzugsweise im Wandruthenbau erfolgt.

Diese Holzzimmerung ist allerdings je nach der Beschaffenheit des Gebirges ganz verschieden gestaltet gewesen. Insbesondere ist bei Ausführung der Tunnels auf dem Eichsfelde eine ausserordentlich große Anzahl verschiedener Auszimmerungen, jedoch weniger dem System nach, als vielmehr in Betreff der mehr oder weniger verstärkten Anordnung desselben, zur Anwendung gekommen, und zwar von der einfachsten, mit einem Hilzverbrauch von 2,18 cbm, bis zur complicirtesten, bei welcher ein Holzverbrauch von 13,94 cbm pro lfd. m Tunnel stattgefunden hat. Zum besseren Verständniss sind einzelne dieser Auszimmerungen auf Blatt 23 dargestellt.

[…]

Der Vollständigkeit halber dürften ferner noch die für kurze Zeit bei Ausführung des Küllstädter Tunnels zur Anwendung gekommene Maschinenbohrung kurz zu erwähnen sein. Der bei diesem Tunnel zu durchbrechende Muschelkalk trat im westlichen Voreinschnitt in so festen und mächtigen Bänken auf, dass der Ausbruch auf dieser Seite des Tunnels mittelst Maschinenbohrung für durchaus angezeigt gehalten werden musste. Es wurden deshalb die zu dieser Bohrung erforderlichen Einrichtungen, Beschaffung und Aufstellung einer Compressionsmaschine etc., rechtzeitig getroffen.

Nach Aufstellung der Compressionsmaschine und nachdem die Luftleitung vom Luftreservoir durch Schacht I nach dem in westlicher Lichtung vorgetriebenen Sohlenstollen gelegt worden war, wurde am 3. October 1876 mit dem weiteren Vortrieb desselben mittelst Frauvors & Dubois’scher Bohrmaschinen begonnen. Bis zum 1. November wurden 17,0 m und vom 1. bis zum 22. November 1876, vom Tage der Einstellung der Maschinenbohrung, 18,85 m Stollen abgefahren, was einer Durchschnittsleistung von 0,59 resp. 0,86 m pro Tag entspricht. Abgesehen von dem Umstande, dass die an der Maschine beschäftigten Arbeiter zunächst mit der Bedienung und den Eigenthümlichkeiten derselben vertraut werden mussten, auch an den Maschinen selbst, wie dies in der Regel bei neu in Betrieb gesetzten Maschinen der Fall ist, noch mehrfache Änderungen vorgenommen werden mussten, ist der hauptsächlichste Grund der sehr geringen Durchschnittsleistung darin zu suchen, dass das zu durchfahrende Gebirge für die Maschinenbohrung nicht geeignet war. Bei der horizontalen Schichtung der größtentheils schwachen Bänke des Kalkfelsens konnte den Bohrlöchern keine genügend geneigte Lage gegen die Schichtungsfläche, wie dies beim Handbohren möglich, gegeben werden, so dass eine völlige Ausnutzung der Sprengwirkung nicht zu erreichen war. Da in Folge dessen das Maschinenbohren kostspieliger wie das Handbohren wurde, auch nach Maßgabe der inzwischen im westlichen Voreinschnitt gemachten Beobachtungen ein mehr geeignetes Gebirge nicht mehr zu erwarten war, wurde am 22. November 1876 die Maschinenbohrung eingestellt.

Die zum Betrieb der Bohrmaschinen ausgeführten maschinellen Anlagen sind auf Blatt 24 dargestellt.

Von weiteren Vorkommnissen bei Ausführung der Tunnels dürfte zum Schlusse hier noch die Art und Weise der Ableitung des Wassers aus besonders nassen Gebirgsstrecken über dem Tunnelgewölbe zu erwähnen sein.

Es ist selbstverständlich, dass die zur Abführung des Wassers zu ergreifenden Mittel stets den localen Verhältnissen anzupassen und daher sehr verschieden sind. Von größerem Interesse dürften in dieser Beziehung zwei im Küllstädter Tunnel bewirkte Ausführungen sein.

Die erste dieser Ausführungen erstreckte sich auf die Tunnelstrecke zwischen Station 1800 + 596 und Station 1800 + 620.

Bei Station 1800 + 620 stürzte das Wasser in Strömen durch die Fugen der linken Gewölbeseite. Zur Abführung desselben wurde an einer trockenen Stolle, und zwar an der nächstliegenden Nische (conf. Schnitt AB, Fig, 7 auf Bl. 23) eingebrochen und von hier aus, wie im Längenschnitt Fig. 9 angedeutet, ein Stollen bis zu der nassen Stelle aufgefahren. Vom Ende des Stollens aus wurde die nasse Stelle des Gewölbes, welche etwa 7 m lang und 3,5 m breit war (siehe Schnitt CD) Fig. 8) freigelegt und, nachdem die Fugen sorgfältig mit Cement ausgegossen waren, auf das Gewölbe noch ein besonderer Cementguss aufgebracht. Der ausgebrochene Raum sowie der Stollen wurden mit Steinen verpackt. Außerdem wurde noch in Kämpferhöhe (s. Schnitt CD) ein kurzer Stollen vorgetrieben, da der erste Stollen nicht sämtliches Wasser abführte.

Der Erfolg war ein vollständiger. Das Mauerwerk ist trocken gelegt und die Wasser fließen jetzt durch die betr. beiden Stollen des Widerlagers nach der Tunnelsohle und von hier nach dem Entwässerungscanal ab.

Die zweite sehr nasse Stelle befand sich zwischen Stat. 1809 + 28,8 bis Stat. 1809 + 40,2.

Bei starkem Regen und Thauwetter strömte in dieser Zone das Wasser durch alle Fugen des Gewölbemauerworks. Zum Zwecke der Entwässerung wurde, wie in den beiden Figuren 10 und 11 auf Bl. 23 dargestellt ist, auf beiden Seiten des Tunnels eingebrochen, an den Widerlagern entlang Stollen getrieben und von hier aus das Gebirge über dem Gewölbe in Ringen von etwa 1,5 m Breite ausgebrochen. Um einen nicht zu großen Raum aufzuschließen, wurde nicht der ganze Ring auf einmal, sondern zunächst nur die eine Hälfte (also vom Widerlager bis zum Gewölbescheitel) und erst nach Auspackung derselben die andere Hälfte hergestellt. Die Skizze von Profil AB, Fig. 11, entspricht demnach nicht genau der wirklichen Ausführung, indem hier der Deutlichkeit halber der ganze Ring als ausgebrochen dargestellt ist.

Nach Freilegung der Gewölbeoberfläche wurden die Fugen ausgegossen, ein Cementschlag aufgebracht und demnächst der Raum mit Steinen fest ausgepackt. – Die Ausführung, welche zu einer Zeit erfolgte, als die Materialienzüge schon im Gange waren, ging gut von Statten, und wurde der beabsichtigte Zweck vollständig erreicht.


Julius Lehwald,
Königlicher Regierungs- und Baurath
Frankfurt a/M. im März 1882
(Quelle: Zeitschrift für Bauwesen. Berlin, 1883)