Eine Riesenschüssel Kräppel stand in jedem Haus - Wie auf dem Eichsfelde Fastnacht gefeiert wurde

Den Auftakt brachte der „fette Donnerstag“. Keiner weiß, warum gerade am letzten Donnerstag vor Aschermittwoch üppiger als an den übrigen Werktagen gegessen wurde, doch es wird heute noch so gehalten, dass an diesem Morgen schon die Kinder ein besseres Frühstück in die Schule mitbekommen. Auf dem Lande hatte vor Fastnacht fast jede Familie wenigstens ein Schweinchen geschlachtet. Gab es sonst nur ein Fett- oder Musbrot, am fetten Donnerstag musste es ein Stück Wurst sein, je länger, je lieber, wenn es auch nur Weckewurst war. Vernünftige Mütter übertrieben es nicht, um unter den Kindern keinen Neid anzustacheln: denn es kamen immer auch einige mit kleinen Portionen. Woher sollten Mütter ein großes Stück Wurst nehmen, wenn das „Rätzchen“ sich „strack“ gemacht hatte? Das kam doch vor! Es kam aber auch vor – und es war schön –, dass Kinder ihren Nachbarn ein ganzes Frühstück mitbrachten oder von der eigenen Wurst die Hälfte zusteckten.

Mittags gab es Sauerkraut mit Schweinefleisch. Auch da fielen die Portionen reichlicher als an gewöhnlichen Tagen aus. Spätestens am Nachmittag wurden in Fett oder Öl „Kräppel“ gebacken. Man hatte sich schon lange auf die „Spinnstobn“ gefreut, die mit Vorliebe am Abend des fetten Donnerstag gehalten wurde. Nicht nur in den Häusern, wo junge Mädchen ihre Freier erwarteten, stellte sich Besuch ein, auch ältere Leute kamen mit ihren Verwandten und Freunden zusammen. Und da musste auf dem großen Tisch eine Riesenschüssel Kräppel stehen. Es gab Kaffee, vielleicht sogar ein Fässchen Bier. An einem solchen Abend wurden alle alten Volkslieder gesungen, die man meistens bis zur letzten Strophe auswendig kannte. Wer die zweite Stimme nach dem Gehör singen konnte, durfte darauf ein bisschen stolz sein. Wo der Platz ausreichte, wurden Bänke und Stühle an die Wände gerückt. Die Jugend tanzte nach der Ziehharmonika. Ältere Leute erzählten Dorfgeschichten oder Erlebnisse in der Fremde. Fast alle hatten ja einen Teil ihres Lebens draußen zugebracht, die Männer als Saisonarbeiter oder Handelsleute, Frauen auf Rüben- oder Spargelfeldern. Gespannt lauschten in einem Eckchen die größeren Kinder, wenn ein alter Vogelhändler über seine Reisen nach Amsterdam und London plauderte.

Ein eigenes Vergnügen machten sich schelmische Burschen daraus, an solchen Abenden in einem unbewachten Augenblick in die Küche der Häuser zu schleichen, in denen lustige Gesellschaften beieinander saßen. Wenn sie es beim Verstecken des Kaffeewassers bewenden ließen, so dass die Hausfrau den Topf nach einigem Suchen wiederfand oder doch mit einer Wurst oder ein paar Kräppeln einlösen konnte, so wurde der Spaß mit Lachen hingenommen. Anders war es schon, wenn der Kaffee auf den Tisch kam und beim ersten Schluck bemerkt wurde, dass er versalzen war. Es soll sogar geschehen sein, dass schon mittags der Kochtopf mit dem guten Sauerkraut und Fleisch verschwunden war oder eine Wurstschüssel, die den Gästen vorgesetzt werden sollte, sich nicht mehr sehen ließ.

Wilhelm Kolbe schrieb noch 1903, früher seien am fetten Donnerstag die Schäfer mit ihren treuen Hunden durch das Dorf gezogen. Sie hätten an einer langen, mit Bändern geschmückten Holzgaffel (Schöttelgabbel) Würste eingesammelt. Der Ertrag sei gemeinschaftlich verzehrt worden.

Karl Wüstefeld schreibt (1919) im „Eichsfelder Volksleben“ vom Untereichsfelde, an den drei Fastnachtstagen sei es früher in den Dorfwirtshäusem recht ausgelassen zugegangen. „Da leisteten die jungen Burschen im Essen und Trinken, im Tanzen und Singen Erstaunliches. Mancher lustige Bruder schlug an diesen Tagen sein Heim dauernd im Wirtshaus auf. Einige Stunden Schlaf auf der harten Bank genügten ihm, um neue Kräfte für den Vergnügungsrummel zu sammeln.“ Die Fastnachtsumzüge hat Wüstefeld in seinem Geburtsort Obernfeld noch selbst gesehen. „Gegen 9 Uhr vormittags (am Dienstag) ordnete sich der Zug vor dem Wirtshaus. Voran ritten zu Pferde zwei Herolde in bunten Gewändern; der eine hatte in der Hand das Nachtwächterhorn, der andere das Tutehorn des Kuhhirten; sie gaben damit ihre „Fanfaren“ ab. Das Musikkorps befand sich auf einem Leiterwagen, der mit einem großen Leinenlaken derart verhüllt war, dass man von den Musikanten nichts wahrnehmen konnte. Auf dem Hinterteile des Wagens saß ein phantastisch gekleideter Mann mit einem großen Schleifsteine. Er drehte die Kurbel desselben, sobald die Musik in dem geschlossenen Wagen ihre Weisen ertönen ließ. Neben dem Wagen trabte ein Schimmelreiter, d. h. ein Bursche, der sich in einem hölzernen Gestelle bewegte, das durch Überhängen von weißen Laken zu einem Schimmel herausstaffiert war. Hinter dem Wagen ging ein Bärentreiber mit seinem Tiere. Der an eine Kette gefesselte „Bär“ war mit Werg und Erbsenstroh umwickelt. Ab und zu musste er auf den Hinterbeinen tanzen, wobei ihm ein dicker Knüppel in die Vordertatzen gegeben wurde. Trieben Schulbuben die Hänselei mit ihm zu arg, so haute er um sich. Dabei verstand er das Brummen ausgezeichnet. Auch ein „Esel“, dessen Ohren mehrere Fuß lang waren, trabte träge auf allen Vieren hinterher. Er hatte durch die losen Buben besonders viel auszustehen und gab seiner Klage oft durch ein langgezogenes i – a Ausdruck. Ingleichen folgte allerlei Zigeunervolk im Zuge. Die buntgekleideten „Weiber“ gingen von Fenster zu Fenster und wahrsagten den jungen Mädchen, wofür sie einige Kupfermünzen erhielten. Einige Zigeuner trugen lange Hopfenstangen, an denen Ofengabeln befestigt waren. Sie sammelten besonders vor solchen Häusern, in denen tanzfähige Mädchen waren, „krumme Würste“ ein. War eine Gabel voll, so wurden die Würste in eine der Kiepen geschüttet, welche von den Zigeunerinnen getragen wurden. Unter solchem und ähnlichem Mummenschanz wurden alle Straßen des Dorfes „abgekloppt“, bis der Zug gegen Mittag wieder im Wirtshaus eintrat, wo dann gründlich von den eingesammelten Würsten gefrühstückt wurde. Jeder junge Bursche, der das erste Mal am Fastnachtsumzuge teilnahm, musste sich beim Frühstück durch Spendung von einem halben Maß (Liter) Branntwein einkaufen.“ W. erzählt weiter, um 1 Uhr habe der Tanz begonnen. Gegen 11 Uhr abends habe die Wirtin mehrere Becken Schmierkäse auf den Tisch gesetzt. „Brach dann mit dem Glockenschlage 12 der Aschermittwoch an, so wurde vom Wirt nichts mehr verabreicht. Selbst die lustigsten Kumpane mussten das Wirtshaus verlassen, und am Mittwochmorgen gegen 8 Uhr fehlte wohl kaum einer in der Kirche beim Aschenkreuze.“

Wir sehen, dass im Fastnacht Ober- und Untereichsfeld einig waren. Kleine Abweichungen ja, die gab es. In manchen Orten werden Fastnachtsumzüge mit all dem Mummenschanz auch heute noch veranstaltet. Dabei gibt es auch noch „Bären“.

Schon im 15. Jahrhundert haben die Duderstädter Statuten das an sich harmlose Wurstsammeln und das Anzünden von Fastnachtsfeuern innerhalb und außerhalb der Stadt verboten. Dieser letzte Brauch, der die Feldflur vor Hagelschaden bewahren sollte, war nach Wüstefeld „zweifellos heidnischen Ursprungs“. Das unsinnige „Fitzeln“, das Kolbe und Wüstefeld erwähnen, ist längst vergessen. Dagegen soll das Begraben der Fastnacht hier und da noch gebräuchlich sein. Eine Flasche Branntwein wird außerhalb des Dorfes vergraben und im folgenden Jahre zur Fastnacht feierlich zurückgeholt. Die Flasche geht dann bei den Burschen von Mund zu Mund, wodurch auch die Eintracht bekräftigt werden soll.

Autor: unbekannt
(Quelle: „Eichsfelder Heimatborn, Ausgabe vom 19.02.1955)