Reise von * * * nach Mariä Hülf auf dem Eichsfeld

Aus diesem Briefe, der von einem Frauenzimmer voll Geist an einen ihrer Freunde wirklich geschrieben worden, hat man kürzlich mit Vergnügen, in Herrn Prof. Schlözers Briefwechsel (18 Heft. S. 362 – 369) einen Auszug gelesen. So viel Angenehmes auch dort noch übrig geblieben, und so lehrreich und unterhaltend das Hinzugesetzte ist; so werden doch gewis unsere Leser uns Dank für die Mittheilung des ganzen Briefes wissen, wozu wir die Erlaubnis der vortreflichen Verfasserin erhalten haben.

Anm. d. Herausgeber

den 8ten Jun. (1)778

Eine Reise, die Sie schwerlich errathen werden, bringt Sie diesesmal um meinen Besuch, und mich um das längst gewünschte Glück, einige Tage bei Ihnen zu leben. Es war eine Reise nach Mariä Hülf, oder dem sogenanten Hülfensberge, um dort die grosse Wallfahrt mit anzusehen.

In meiner zarten Kindheit war ich schon einmal mit meiner Mutter daselbst gewesen, die damals ihre Verwandten zu T... besuchte, das dicht am Fusse des Berges liegt. Die Lage des Berges, der ganz einzeln steht, und über viele andere hohe Berge herabsieht; der alte heidnische Hain; die alte Kirche vom heiligen Bonifaz wahrscheinlich am allerersten unter allen denen selbst erbaut, die er erbauet haben soll; die Heiligthümer daselbst; die erstaunende Menge von Andächtlern, Religiösen und Nichtreligiösen; die herliche Aussicht vom Berge herab fast über das ganze gebirgige Eichsfeld und ein Stück von Hessen: alle diese Dinge standen so fest in meiner Idee, daß ich einmal sagte: ich dächte, ich wolte fast jede Fensterscheibe der alten Kirche wissen, wenn man mich wieder dahin brächte. Mein Mann behauptete das Gegentheil; die Dinge schienen uns in unserer Jugend ganz anders, als bei reiferm Alter, denn wir sähen sie nicht mehr mit jugendlicher Empfindung. Gib Achtung, sagte er, was dir deine jugendliche Einbildungskraft alles vorfantasirt hat, wenn du Gelegenheit hast, den Ort wieder zu sehn! Um nun zu sehen, wer von uns beiden Recht hätte, wolte ich im Ernste meine damaligen und gegenwärtigen Ideen vergleichen, und reisete wirklich am vergangenen Sonnabend mit Herrn N... meinen Kindern und einer Magd dorthin ab. Für die Kinder hatte ich die Nebenabsicht, ihnen den römischen Gottesdienst zu zeigen. Denn selbst zu Rom mus man das nicht sehen können, was man hier zu sehen bekömt.

In Heiligenstädt nüzte ich die Zeit, in der gefüttert wurde, und führte die Kinder in allen Kirchen herum, die sich denn an den vielen Bildern und dem Puzwerk ungemein ergözten. Alles war voll von Wallenden, die hier beichteten und ihre Last nicht den Berg hinauf schleppen wolten. Nahe bei der Egidienkirche stand eine kleine alte Kapelle offen, auf deren Stufen ich immer Menschen knieen sah. Dies bewegte mich zu fragen, was sie hier verehrten? Es ist die elende Jungfer, sagte eine alte Frau, und da diese Antwort meine Neugierde nicht genug befriedigte, war ich unheilig genug, um die elende Jungfer recht anzusehen, die heiligen Stufen hinaufzusteigen, auf denen andere nur knieeten. Ein armseliges, altes, gelbes Marienbild, in allem Verstand elende Jungfer, war es, was ich hier fand, und aus dem Gebet des Volks vernahm ich, daß sie ihnen gegen das Elend (Epilepsie) helfen sollte. Ich ging hierauf nach dem Jesuiterklofter und wurde von einem mir sehr verehrungswürdigen Exjesuiten allenthalben herumgeführt. Ich fand die Wohnungen derer, so sich hier gewissermaßen der Welt entziehen wollten, so schön, daß ich mich nicht enthalten konte zu sagen: hier ist gut seyn, Herr Pater! Es war nicht möglich, mich irgendwo lange aufzuhalten, da die Zeit so kurz war; denn ich wolle noch nach Mariä Hülf, und hatte hierzu eia Paar tüchtige Meilen, zwei Uhr Nachmittags, und einen ganz unbekanten Weg.

Dieser war anfangs ungleich besser, als der von ... nach Heiligenstädt. Nach einer Anhöhe führt er in ein flaches Thal mit Wiesengrund, und aus diesem in einen angenehmen Wald, wo er so eben und breit wurde, daß die Aussicht zwischen frei blieb.

Die Menge derer Wallenden vermehrte sich mit jedem Schritt der Pferde nach dem heiligen Orte zu. Mitten im Walde war Bier und Brandwein feil. Die Leute sassen und lagen unter einander auf der Erde, und immer mitten darunter ein Pfarrherr. Wir aber verweilten uns bei der Fröhlichkeit der Bussenden. Am Ende des Waldes fängt das Eichsfeld wieder an traurig zu werden. Man fährt auf einer langen Anhöhe, durch dürre, elende Felder, auf denen die Halmen zu zahlen wären, sieht und hört kein Dorf, und die Aussicht schließen dürre unfruchtbare Berge.

Die vielen heiligen Stöcke auf diesem Wege, deren, wie ich glaube, alle 50 Schritte einer steht, und vor denen immer Menschen knieeten, so wie überhaupt das viele gehende Volk, machte hier unsere Unterhaltung. Jedes Bild dieser Heiligenstöcke zeigt, eins wie das andre, einen Christus der das Kreuz trägt; wie aus einer Druckerform waren sie alle, ein Gesicht, eine Hand, und ein Gewand; Nur hatten die Kriegsknechte manchmal eine Keule, manchmal eine Geissel, bisweilen einen Säbel, und wol gar eine Flinte in der Hand. Mir fiel dabei ein anderes Gemälde ein, welches die Belagerung von Jerusalem vorstellte, wo die Römer preußisch mondirt waren, einen FR. auf der Grenadiermüze führten und Kanonen hatten.

Eine Menge von Betteljungen fielen uns nun an wie die Heuschrecken. Ihre Mutter Gottes Gebetchen um einen Pfennig Seligkeit für mich, ergözten mich ungemein, und erschöpften meine Barmherzigkeit bis auf den lezten Dreier.

Endlich hatten wir Heiligenstöcke, Volk, und Betteljungen, dürren Weg, und magres Feld hinter uns. Wir befanden uns auf der Höhe bei einer Klause, und sahen den längst gewünschten Hülfensberg, freilich noch fern, aber doch schon das rothe Kirchdach.

Da stand er gegenwärtig, noch wie er so lang in meiner Phantasie gestanden hatte. Wie hüpfte mein Herz! Ich dünkte mich wieder Kind, und hätte alles drum gegeben, wenn mein Mann, der Widersprecher, auch da gewesen wäre. In der Klause hing der Heiland mit den Schächern in Lebensgrösse am Kreuz, abscheulich in Gips geformt, vermutlich noch aus der Kindheit der Kunst. Unter ihm standen die gewönlichen Personen, Johannes und Maria. Weil es Fest war, hatte man den leidenden Christus gepuzt, ihm einen Blumenkranz aufgesezt, und in jede Hand eine Päonie gegeben. Der gute Schächer hatte auch einen Kranz von Buchsbaum bekommen, aber der böse Dornreiser und Spinngewebe. Die Andacht des Volkes in der Klause war gros.

Auf dieser Höhe ist die Gegend reizend. Das Auge verliert sich und hat unzälige Berge, Bergschlösser, Klöster, Feld, Waldung, nur freilich nicht viele Dörfer, unter sich. Von hier ging es ein steiles, fürchterliches Thal hinab. Doch nur fürchterlich wegen des Abschusses; denn unten war Wald und Feld und das Dorf Berndrode.

Mir fing es algemach an ärgerlich und zugleich lächerlich zu werden, daß mir jeder Mensch, den ich fragte, wie weit T... von hier sei, antwortete: vier Stunden; so hatte man schon zu Heiligenstädt gesagt, und nach dem langen Fahren war es schon 8 Uhr, und die Sonne ging hinter die Berge. Halb zu Fus und halb zu Kutsche kamen wir endlich in T... an, als eben die Jungfer Base, bei der ich Herbergen wolte, im Begrif war zu Bette zu gehen, denn es hatte zehn geschlagen.

Auch hier gingen meine Gedanken zuerst auf die Pfarre, wo ich als Kind einmal 12 Tage gelebt und gespielt hatte – glücklich gewesen war. Es war in dieser langen Zeit kein Stein daran verrückt. Aber aufs Herz fiel mirs doch, wie viele man da alle binnen dieser Zeit todt herausgetragen hatte. Wo ist die Zeit hin! dachte ich; und wo alle die, so damals lebten, und dir Freude machten? Die lezten unter deinen Füssen ,(denn ich stand auf dem Gottesacker, wo viele meiner Verwandten begraben liegen) ihre Grabstätte sind von Gänsen und Schweinen eben gelaufen, und mit dem dritten Pfarrer sind auch alle in diesem Dorfe vergessen. Du bist noch da, und unter welcher irdischen glücklichen Veränderung! eine Königin gegen alle die, die hier mit weit wenigerm eben so vergnügt, und gesünder waren, als du. Hier fühlte ich doch etwas von der Wahrheit, daß unsere Jugend und besonders unsere Kindheit ein glückliches Empfindungsvermögen habe, welches uns auch Millionen bei reiferm Alter nicht geben können. Ein Blick in die Zukunft, wie schnell sie noch bis zu einer solchen Ruhe fürüber fährt, und ein paar Thränen für die, so hier im Herrn schon ruheten und mich was angegangen waren – und nun geschwind vor die Thüre der erwähnten Jungfer Base?

Ich und mein Kopfpuz waren beide so sehr gewachsen, daß ich nicht zu ihrer Thüre hinein konte, ohne mich zu bücken. Sie selbst wohnte izt in einem elenden, dumpfigen, rauchigen, abscheulichen Bauerhäuschen, dem es an Bequemlichkeiten fehlte, die sich kein Eremit versagt. Da dachte ich an die elende Jungfer zu Heiligenstädt, und lachte, als ich durch ihre holpriche Diele zur Stubenthür hineinfiel.

Aber die Herrenkinder warfen die Nase auf, und wollen sich nicht sezen, denn kein Stul schien ihnen gut genug dazu. Auf dem Tische stand eine rauchende Oellampe, und alle Lebensmittel für die halbe Woche. Mama (schlich sich eins nach dem andern heran) werden wir denn hier schlafen? Ja freilich! Auf ihren Gesichtern konte ich lesen: das kan ich nicht! und aus dem Wunsche: o! wenn es doch schon wieder Tag wäre! vernahm ich, daß ich recht gelesen hatte. Das war eine sehr sittliche Erfahrung für mich, wie unglücklich nun meine Kinder wären, wenn sie aus einem geräumigen und wohl eingerichteten Hause, in das Haus einer Jungfer Base zu T... ziehen müsten.

Ich hatte Flaschenkeller und kalte Küche bei mir, und fragte nach nichts, als nach einem Bette, welches uns sehr reinlich und gut angewiesen wurde; aber es muste erst durch das Hinaufsteigen auf einer leiterförmigen Treppe mit Lebensgefahr erkauft werden.

„Herr N... (sagte die Vase ganz treuherzig) mus mit in meiner Stube schlafen; es wird doch nichts thuen? Ich sagte eben so aufrichtig: o nein! sah Herrn N... an, lachte und dachte an die 60 Jahre.

Die Nacht war herlich. Der Mond stand (zwar nicht mehr voll) neben dem Hülfsberge. Aber er schien so anmutig durch meine dicken Fensterscheiben, daß ich aufstand und alle Schieber aufzog, damit er recht hinein konte. Auf dem Berge gingen die Glocken die ganze Nacht hindurch. Es war noch derselbe Ton, den ich als Kind gehört hatte. Ich hätte für Freuden mit anbeten mögen. Diese und der andächtige vollstimmige Gesang der Wallenden auf dem Berge, die die ganze Nacht hindurch sangen, die stille heitre Nacht, mein lieber Freund der Mond – alles machte mir diese Nacht zu einer der feierlichsten, die ich jemals in meinem Leben gehabt habe. Ich nahm mir vor, sie recht zu fühlen und zu geniessen, nicht wie die Modeempfindler, die immer an einem Blätchen kleben bleiben, sondern als eine wahre Verehrerin der Herlichkeit und Majestät Gottes. Ich wolle nicht die lezte seyn, die ihn unter so viel tausenden in diesem Bezirk anbetete, und war nicht so stolz zu denken, ob mein Opfer ihm auch wol besser, als jener ihres gefallen möchte. Denn wir alle hatten doch einerlei Absicht, die, unsern Gott anzubeten.

Die Morgenglocke wekte meine Kinder aus dem Schlafe, und die Jungfer Base kam: wir mögten doch aufstehen, ehe der Rauch käme, denn ihr Haus habe keinen Schornstein, und sie wolte uns Kaffee machen. Wir stiegen, wie die Engel in Jakobs Traum, unsere Leiter zu unsern armen N... herab, den die plauderhafte Base und das Bellen der Dorfhunde die ganze Nackt nicht hatten schlafen lassen. Nun eileten wir zu unserer Wallfahrt, und wallten unter einer Menge Bauren diesen sehr hohen, aber wegen abwechselnder Waldung und Felder angenehmen Berg hinauf. Jede funfzig Schritte wurde uns unsere Mühe durch eine neue Aussicht vergolten. Ich fand alles, alles, so wie es in meinem Gedächtnis haften geblieben war. Auf dem Berge selbst waren schon mehr als 5000 Menschen in voller Andacht begriffen, ob es schon noch nicht 5 Uhr war.

Und wenn mir auch der ernsthafteste Philosoph weiß machen wolle, daß ihn das Sinliche des römischen Gottesdienstes gar nicht rühre, so sage ich nach meiner Empfindung: es ist wenigstens für mich nicht wahr. Immer hätte ich mit diesen 5000 Menschen zugleich hinknieen, und meinen Gott auf meine Manier anbeten mögen. Denn die Einfalt und Andacht des Volks rührte mich bis zu Thränen.

Die Kirche, die Kapelle, welche alleine steht, und die ein Landgraf von Hessen Rothenburg hat erbauen lassen, das Nonnenhaus mit samt dem pestilenzialischen Geruch darin, alles war noch so, und das Volk der Eichsfelder mit ihren Kopflappen und Bauchgürteln dasselbe.

Nun komme ich zur Hauptsache— zum Gottesdienste. Die äusserliche Andacht gerechnet, mit welcher er verrichtet wird, die ein Muster bleibt und von erleuchtetern Christen Nachahmung verdiente, ist er jedem, der solchen nur selten siehet, auffallend; aber zu einem so grossen Staatssystem, als das Römischkatholische zu feyn scheint, gehört vielleicht alles das, was wir aus jener Religion hinweg wünschen. Selbst das unaufhörliche, betäubende Singen. Es erhält, wo nicht immer die Andacht, doch den Glauben, weil sich unter diesen kein Mensch besinnen kan, was er will.

Da sangen sie in der Kirche ein Lied, wo in lauter Mistönen alle Augenblicke vorkam: gelobt sey Jesus Christus. Dort in der Kapelle theilte man das Hochwürdige aus, und sang Nachtmalslieder. Das Volk, das nicht in beide ging, oder vielmehr nicht hinein konte, sang das Lied, wohin es eben wallte, mit. Nun kamen jeden Augenblick ganze und grosse Gemeinden, weit und breit her, mit ihren Fahnen und Kerzen auch singend angezogen, wallfahrteten mit Gesang dreimal um die Kirche herum, und andere, die es eben gethan hatten, beteten in einem dreymaligen Umgänge ebenfalls laut ihr: gegrüsset seyst du Maria. Dort lagen wieder andere vor dem wunderthätigen Marienbilde und schrieen: o du allerheiligste Jungfrau; ich opfere dir und im Namen meines Schuzpatrons . Ein paar Tage nach einander auf diesem Berge, ich weis nicht, was aus mir geworden wäre! Wir gingen in das Nonnenhaus, um von der Gallerie die Prozessionen zu sehn. Himmel, was gabs da! Einen Viehmarkt! Pferde, Schafe, denn andächtig ging der Bauer mit diesen Thieren in Prozession; die Thiere, weil sie auch krank waren, gingen eben so andächtig, als ihre Herren mit, die sie am Strick führten.

Ich sah vieles Volk mit einer Art von Puppen in der Hand herumgehn, die, weil sie keinem Menschen noch Thiere in der Welt ähnlich sahen, auch von mir unter keinem linnäischen Namen angeführt werden können. Sie waren aus Handschuhleder gemacht und mit Haaren ausgestopft. Was diese bedeuten, werde ich in der Folge erzählen.

Wir wollten gern in die Kirche, aber dies wäre selbst für Geld nicht möglich gewesen; denn das Volk, welches dort die Benediktion kriegte, wolte sich erdrücken. Das Abendmal konten wir geben sehen, weil die Kapelle, wo es gereicht wird, abhängig am Berge, und ein grosses Thor bergauf daran offen stehet. Die Priester wechseln immer ab; Denn 3 Tage dauret dieses Fest, und der gröste Theil, welcher hieher wallfahrtet, nimt gewönlich das Abendmal. Einige tausend Menschen damit zu versehen, ist daher für die Priester keine geringe Arbeit. Ich fand besonders die Anzal der Marien Magdalenen ungleich grösser, als die der männlichen Sünder. Auch hier merke ich an, wie vorteilhaft alles für Sünder und Beichtige eingerichtet ist. Hier kent sich niemand, und mancher trägt seine Sündenlast hieher, damit es der ehrwürdige Herr im Dorfe nicht erfahre. Dadurch wissen aber die Mönche, was auf dem ganzen Eichsfelde geschieht. Ueberhaupt bringen solche Wallfahrten die christliche Kirche zusammen, machen den Glauben fester, bringen Geld in die Gegend und besonders in die Klöster. Hier ist ein kleines, in die Augen fallendes Verzeichnis zur Bestätigung der Wahrheit des leztern:

1) Jeder Mensch, der hinauf geht, opfert ohne Ausnahme der heiligen Jungfrau, jeder nach seinem Vermögen, man sagte mir auch, der Aermste 2 Gr. Sezen Sie diese Summe wenigstens auf 10000 2 Gr. Stücke feste.

2) Die Weiber opfern auch Flachs, Eyer, Speck/ Würste, Leinewand.

3) Jede Gemeinde kauft eine Kerze, nach dem Verhältnis ihres Vermögens, zu 2, 3. auch 4- 6 Rthl. diese wird nach dem Umgange geopfert.

4) Nun komt das Auffallendste. In der Klause, welche mit der Kirche zusammenhängt, ist eine ordentliche Bude. Da hängen an einer grünen hölzernen Tafel, welche an der Mauer fest gemacht ist, allerlei Gliedmassen von Menschen und Thieren in Wachs pussiret. Vor dieser Tafel steht, wie in jeder andern Krambude, ein langer Tisch, oben mit einem Loch, wo das Geld hineingesteckt wird, und vorne bei dem Eingange mit einer Thür verwahrt; hinter diesem sizt gewönlich eine Nonne aus dem Kloster Annarode. Hier kauft nun ein jeder das, was an ihm ungesund ist, betet die diktirten Ave Marie und Vater Unser, geht dreimal um die Kirche mit lautem Geschrei, fält vor dem wunderthätigen Marienbild nieder, bringt das, was er gekauft, wieder zurück, und opfert

5) noch einmal. Wie oft nun ein und dasselbige Glied in einem Tage gekauft und auch wieder geopfert wird, kan man sich in unserm siechen Zeitalter ungefähr denken.

6) Die es nun recht gut machen wollen, kaufen auch noch kleine geweihte Kerzen für 6 – 8 Pf. auch 1 Gr. Diese hat ein Mann an derselben Klause feil. Reiche opfern auch wol grosse, deren Preis ich bestimt habe, brennen diese in der Klause auf dem Altar der Maria an und machen es auf oben erwähnte Weise.

7) Verkaufen auch noch die Nonnen alles Wasser, welches hier getrunken wird. Den Preis davon weis ich nicht zu bestimmen; lassen Sie aber auch die Kanne nur 2 Pf. gelten; was wird in der Hize nicht getrunken? Ich sah eine Menge Tonnen im Nonnenhause leer stehen.

In dem Nonnenhause sowol, als auf dem Berge, liefen allerlei Ordensleute durch einander her, und es durfte sich keiner blicken lassen, so lief das Volk, welches beichten wolte, ihm nach. Dann gingen sie, wohin sie eben kommen konten in die nächsten Winkel und hörten Beichte.

Die Kinder wollen gerne wissen, von welchem Orden dieser oder der wäre. Kein Mensch wüste es. Nun so fragte ich meine etwas erleuchtetere katholische Magd. Dieser da, sagte sie, der wird ein Barfüsser seyn, denn er hat keine Strümpfe an; und der da ist ein Berliner, oder wie sie heissen; (Benediktiner wolte sie vermutlich sagen) ich aber dachte dabei an einen gewissen weit erleuchtetern Orden der Bibliothekare die man hier so nennt, und es ward mir schwer nicht zu lachen.

Die Nonnen selbst zu sehen, war uns nun noch übrig, aber unmöglich darzu zu gelangen. Ein gutherziger Mann brachte uns endlich durch eine kleine Hinterthüre in die vorerwähnte Klause. Man wolte mich anfänglich nicht durchlaffen, aber da ich sah, daß man opferte, zog ich auch ein Geldstück aus der Tasche und hielt es auf gut Pharisäisch hoch daher; da lies man mich durch. Eine alte Frau, die mich opfern sah, sagte mir: ich solle einmal sehen, wie mich die heilige Jungfrau segnen würde; denn sie gebe alles 10000fältig wieder. Zum Glück, dachte ich, sezest du in diese Lotterie, wie in jede andere für Armen- und Waisenhäuser, und hoffest nicht zu gewinnen.

Die ledernen Puppen, wovon ich vorhin sprach, kaufen die Bauern auch und tragen solche beschriebenermassen für ihre kranken Thiere herum. Ein Bauer opferte sehr traurig fein bestes Schaf aus einer verpesteten Heerde, um damit den Rest zu gewinnen.

Alles war noch so, wie es gewesen war; nur der heilige Bonifaz hatte seine Umstände verbessert. Er hängt eigentlich als Märtyrer nackend wie Christus am Kreuze; wird aber auch auf dieses Fest gepuzt und hatte, da ich ihn das erstemal sah, ein Schillertaffend Gewand an. Dieses hatte eine fromme wphlthätige Hand in ein Silberstofnes verbessert und unter diesem Rocke opferte man.              Es sah artig aus, wie die würdigen, Jungfern, die Nonnen, hier so geschäftig waren, das Opfer zu nehmen.

So sah es auf dem Berge aus – alles in Entzückung und Andacht. Am Abhange schenkte man Bier und Brandwein, verkaufte Eßwaaren und Paternoster, war äusserst lustig und sang: Schäzchen, warum bist du traurig. Um 10 Uhr musten wir schon wieder von dem Berge, denn unser Weg war der weiteste. Es war innigliche Lust, von allen Ecken und Enden grossen Gemeinden zu begegnen, die alle singend uns vorüber zogen. Die Andächtigen gingen oft mit blossem Haupte bei heißem Sonnenstich viele Meilen weit nach dem heiligen Orte. Von den Wundern, welche auf diesem Berge alle geschehen seyn sollen, ließe sich ein Buch schreiben. Einige davon haben mich sehr unterhalten; aber ich fürchte nach einem so langen Briefe Ihre Geduld durch meine Erzählung zu ermüden ...

Autorin: unbekannt
(Quelle: „Deutsches Museum, Zweiter Band, Julius bis Dezember 1778.
Leipzig, in der Weygandschen Buchhandlung. S. 431 – 442)