Eichsfelder Zustände im großen Kriege - Ein Zeitbild von Archivrat Dr. G. Liebe, Kgl. Archivar in Magdeburg (1906/1907)

Kriege von langer Dauer pflegen neben dem wirtschaftlichen auch den sittlichen Zustand der Bevölkerung schädlich zu beeinflussen. Die Lockerung der rechtlichen und sozialen Verhältnisse vermehrt die Zahl der Deklassierten und eine unabweisliche Folge langer Kriegszeiten ist stets eine Zunahme der Kriminalistik und des Landstreichertums. Am stärksten hat sich dieser Einfluss immer in den von Soldheeren geführten Kriegen geltend gemacht, wo die schwache Disziplin jenen Elementen aus den Heeren selbst Zuzug verschaffte. Auf diese Folgen im Besonderen ist für die Zeiten nach dem Siebenjährigen und dem Dreißigjährigen Kriege schon mehrfach hingewiesen worden.[1]

Das Eichsfeld hat wie andre Kriegsschäden auch diesen auskosten müssen. Ein armes Gebiet, zwischen solchen reicherer Kultur gelegen, war es nur zu geeignet, räuberische Gelüste zu wecken und bot durch seine Unwegsamkeit bequeme Schlupfwinkel. Gleichen Gründen verdanken ja Böhmerwald und Hunsrück ihre kriminalistische Berühmtheit. Viel schon hatte das Land durch Truppendurchzüge leiden müssen, aber grauenhaft ist es zu sehen, wie in den müden letzten Jahren des großen Krieges die Lösung aller gesetzlichen Ordnung die rohesten Instinkte auslöst. Wenn Wolf[2] über die Einfälle der Nachbarn in das Eichsfeld Klage führt, so werden wir auch die Kehrseite dieses Bildes kennen lernen.

Ungünstig für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit musste die weite Entfernung des Landesherrn sein. Seine Vertreter waren Dr. Urban Polenz, Kurfürstlicher Rat, und Johann Zwehl, Oberlandgerichtsassessor, Landschreiber und Stadtschultheiß zu Heiligenstadt, eine ungewöhnlich interessante Persönlichkeit. Er hatte 1632 versucht, durch einen Aufstand des Landvolkes mit Hilfe kaiserlicher Truppen Herzog Wilhelm[3], den Bruder Bernhards von Weimar, zu vertreiben, dem Gustav Adolf auf seinem Siegeszuge das Eichsfeld versprochen hatte. In Heiligenstadt gelang dies zunächst, aber trotz tapfern Widerstandes ging die Stadt wieder verloren und der entschlossene Führer der Belagerten entging flüchtig den erbitterten Schweden nur dadurch, dass er seinen Bart färbte. Ein Mühlhäuser Bürger, der grade auf Posten stand, rief dem als Bauer Verkleideten zu: „Wenn Du keinen schwarzen Bart hättest, glaubte ich, Du wärst der rote Zwehl.“ Zum Dank für die Rettung stiftete er nach seiner Rückkehr den Altar der Vierzehn Nothelfer[4] in der Ägidienkirche. Er nahm zunächst Dienste unter Pappenheim als Rittmeister und erhielt vom Kaiser 1633 den Adel. Seine Umsicht bewies er auch durch den Bau einer Papiermühle zu Heiligenstadt 1621, einer der ersten in Mitteldeutschland. Auch nach seiner Rückkehr stand er mit seinem Kollegen Polenz den größten Schwierigkeiten bis zu persönlicher Gefährdung gegenüber und beide vermochten nur, wie der Kurfürst 1642 diplomatisch schreibt, „der Direktion in gedachtem unserm Land sich aller Möglichkeit nach zu unterziehen“. Beide wurden samt ihren Familien 1641 zu Göttingen gefangen gehalten, bis sie der mit dem Fürstentum Kalenberg und der Lüneburger Garnison zu Göttingen geschlossene Waffenstillstand wieder befreite.[5] In dieser Zeit setzen unsere Nachrichten ein.[6]

Die kurmainzischen Raäe hielten es für nötig, am 20. Mai 1640 an sämtliche Amtsvögte des Eichsfelds einen Erlass ergehen zu lassen: „Unß kompt euserlich aber doch sehr befrembdlich vohr, alß liessen sich etliche Haußgesessene Eichsfeldische Bauren oder Underthanen gelusten zusammen zu werffen oder sich einer oder andern unterhaltenen Rentier- und Soldatenparthey zuzugesellen, reisende leuthe anzugreifen, zu berauben und theilst wohl gar zu ermorden.“ Den Beamten wird aufgegeben, „den Unterthanen bey leib, leben und guth verlust zu publiciren, sich solcher offersionen und hochstrafbahren Missethaten genzlich zu enthalten oder exemplarischer Straf onfehlbarlich zu erwarten.“ Die Nachricht, dass eichsfeldische Untertanen sich einer Wolfenbüttelischen Partei zur Plünderung des hessischen Dorfes Etzenborn angeschlossen hatten, veranlasste am 9. Juni eine erneute Ermahnung. Leider aber mussten sich die Räte auf papierne Maßregeln beschränken. Zugleich mit einem Befehl vom 7. November an die, welche den von Bodenhausen auf Arnstein zwei Tage zuvor beraubt hatten, die Beute auszuliefern und innerhalb vierundzwanzig Stunden das Land zu räumen, sahen sie sich zu einem geharnischten Protest wider die abfällige Kritik des Hauptmanns zu Ludwigstein, Franz Wasserhuhn, genötigt. „Daß der Herr schreiben darf, es hette fast das ansehen, dasß nur solche onverantwortliche thaten genehm halten theilen, weil uf beschehenes Klagen und verschiedener Deliquenten Specification kein remidirung erfolget wehre, befrembdet unß nit wenig, und wirt derselbe unß mit solchen und dergleichen ehrenrührigen Schreiben hinführo verschonen oder billiche andung erwarten. Wir haben ja bei Leib und Leben Straf dergleichen verbotten, die Thetter und auch die Cooperatorn für Strassenrauber ercleret und respective handfest zu machen angeordnet; daß aber wir die Wirklichkeit darüber nit praestiren können, haben nit wir sondern vielmehr diejenige zu verantworten, denen die leidige Empörung und Zertrümmerung in Teutschland beliebet und zu solchen zerrütteten Wesen Vorschub gethan haben und des Kriegß fruchte oder monstra verursachen.“

Mit der Ohnmacht der Behörden wuchs die Frechheit der Übelthäter und der Vogt zu Bischofstein, Peter Jodocus, sah sich genötigt, von Treffurt aus seine Klagen an Polenz zu richten, so am 8. Februar 1641: „Der Herr kann nit glauben, was es für leichte Vogel sein, sie achten weder Gott noch ihre Obern, denen sie bedraulich und schimpflich nachreden; es gelten keine rationes bei ihnen, zu Zeiten halten sich ufm Bischofstein auf, dahero ich fürchte, es möchten die Hessen oder Schweden das Hauß in Brand stecken.“

Als Führer einer berittenen Bande, die im April bei Geismar von den Schweden niedergemacht wurde, nennt er „den kleinen Andres, des Poppiermachers zu Mulhausen Moritzen Tochtermann“, der Dank seinem guten Pferde entkommen sei. Das Schlimmste war die Förderung, die die Raubgesellen von angesehenen Leuten erhielten. Der Schultheiß von Heyrode bot ihnen Unterschlupf und verhandelte gestohlenes Vieh, sodass die Mühlhäusischen Soldaten das Dorf bedrohten. Als „Schnaphanischer General“ wird Adam Friedrich von Haustein bezeichnet, der am 10. April bei Wanfried von Eschwege kommenden Mühlhäusern 30 Taler Wert abnimmt und am 3. Juli „mit seiner mörderischen, diebischen und räuberischen Armee“ das Dorf Helder ausplündert und das geraubte Vieh mit 20 Talern auslösen lässt. Der Beschuldigte selbst freilich richtet am 26. Juni an Polenz ein tägliches Schreiben, worin er alle Untaten den kaiserlichen und schwedischen Parteien zuschiebt, wegen deren er sich „armselig in Holz und Feld aufhalten“ müsse, nur zu Repressalien sei er mit einer Wolfenbüttelschen Partei in Hessen eingefallen. Darauf erwidern die Räte am 9. Juli: „Daß er Hanstein dem Feind, so gut er könnte, abbruch thete, wann er in Kriegsdiensten begriffen wehre, wurde ihm niemand verdenken, sondern zu rühmen sein, daß aber einer uf seine Hand einen Haufen herrenloß Gesindlein zusammen locken und fuhren oder vielmehr Buschklepper und latrunculum agiren will, ist keines orts verantwortlich noch passirlich.“ Es wird ihm also bei Verlust von Erbe und Lehen aufgegeben, sich in wirkliche Kriegsdienste zu begeben oder von solcher Rauber-Bursch[7] und Plackereien abzulassen.

Dass solches Unwesen in den angrenzenden Territorien lästig empfunden wurde, ist verständlich. Am 22. Mai richtete Herzog Ernst der Fromme von Sachsen an die Räte die Forderung, „daß diesem ganzen unverantwortlichen Wesen gesteuert und fernere gute Nachbarschaft fovirt und gehalten werde.“ Noch entschiedener trat Landgraf Hermann von Hessen in einem Schreiben vom 8. Juli an Kurfürst Anselm Kasimir auf. Die meisten hessischen Ortschaften an der Werra seien nachts von eichsfeldischen Untertanen, besonders denen von Hanstein zu Geismar überfallen worden, so am 1. Juli Treffurt und Niederhone bei Eschwege, wobei dem Landgrafen 1200 Schafe, den Einwohnern für 1000 Taler Pferde und Kühe entwendet wurden. Der Landgraf verlangt, dass dem Unwesen durch Aufgebot der Untertanen gesteuert und auch „Kram- und Schacherei“ mit dem Raube verboten werde. Den ganzen Jammer des Landes fassen die Räte in einem Bericht vom 11. Juli an den Kurfürsten zusammen. „Ob Unß zwar das genug krenket, das wir so lang im Exilio sitzen, das land im elend sehen und das Unsere quittiren müssen, so afficirt Unß doch fast ja so sehr der benachbarten Herrschaften bethädigen, jetzo aber wegen Adam Friedrichs von Hanstein zu Geismar im Amt Bischofstein seßhaft und seiner Buschklopfer gesellschaft, vor denen auch Euer Churfürstlichen Gnaden Vögte und Underthanen nit mehr sicher sein, abermals neuwe Clagen einkommen, auch so weit, daß Sie in Hessen raub und plunderns nit satsamb finden können, sondern eingesessene und reysende unschuldige leuthe herhalten müssen. Und weil diesen maleficianten wissend, daß wir itzo selbst im lande nit geduldet werden, noch zur Execution Mittel haben, so achten sie keiner dehortation oder poenal mandaten, sondern werden von tage zu tage mörderischer, verkehrter und consideriren weder Gott noch Menschen. Andere benachbarte theils angebottene hulf zu ihrer Extirpirung zu nehmen oder zu begehren ist fast bedenklich und gleichwohl suchen die beschädigte ihre rewangue, wie dem die schöne Dörfer des amtß Bischofftein, Geißmar, Großbartloff und Lengefeldt dieser bösewichter halber in der asche ligen und aller endß die Eichsfeldifche Exulanten oder negotianten diese Buben vor den ohren hören und ihrenthalben leiden müssen. Diese Buschklepper bilden sich ein, wan sie vormahlß einen Schwedischen Soldaten niedergemacht, daß doch zehnfach retaliirt worden, oder itzo in die Nachbarschaft fallen, sie theilen den Keyserischen Soldaten ja Euer Churfürstlichen Gnaden selbst ein angenehm Dienst. Eß ist aber ihnen gahr nit umb die Schwedische, sondern umb gute faule tage und die fülle zu thun, dan Sie haben niemahl in diesen zweyen jahren die auß Duderstadt oder Gleichenstein zu Erbringung der Contribution außgeschickte Exscutores geschrecket oder ufgefchlagen oder einigem Menschen was genützet, und ist ohne das ihr thun de genere prohibitorum. Nun solten sie zwahr nit viel oder lang bravirens oder plackens machen wan wir im lande oder die zerstreute leuthe mit wehr und waffen oder wir mit behörigen Mitteln versehen und das land nit noch mit dem Schwedischen Joch onerirt wehre. Und gleichwohl erfordert die euserste notturft, diesen bösewichtern zu steuren, deren etwa zehn oder funfzehn sein, die ongescheuwet herumb vagiren, einfallen, plündern und sich hernach uf solchen klippen und holtzern ufzuhalten, zu verkrichen und kundschaft zu haben wissen, daß man ihnen so balt nit beykommen kann.“

Auf dieses mit den Farben eines Grimmelshausen entworfene Gemälde wußte der Kurfürst am 24. Juli nichts zu erwidern als: „Aldieweil wir bey annoch continuirendem Übeln zustand unsers Lands, des Eichsfelds, welches der Almächtige Gott gnädigst bald abwenden wolle, wie die Execution mit dießen streifenden Partheyen biß zu besseren Zeiten an Hand genohmen werden könte, kein mittel sehen, alß bevehlen wir Euch hiemit, Ihr wollet unß ein solch Mittel an die Hand geben, womit bei so gestalten zeiten, da der feind noch alles in Handen, die Execution mit dießen Rettelführern und ihren gesellen könte abgestraft und daß Vagirn gesteuret werden.“ Den Räten blieben somit auch weiterhin nur papierne Waffen zur Verfügung; Verordnungen ergingen am 8. Januar und 19. April 1642, 7. Januar und 30. September 1643. Erst am 12. Oktober 1644 wurden von Heiligenstadt aus Bestimmungen getroffen, die wirklich praktische Maßregeln ins Auge fassten. Es handelte sich dabei um eine Verwendung des alten Instituts der Landfolge, dem bis zur Begründung des modernen Staates die Handhabung der Sicherheitspolizei hauptsächlich oblag und das man um die Wende des sechzehnten Jahrhunderts des Soldheers überdrüssig vergeblich militärisch zu organisieren versucht hatte. Die in den Städten von Schultheißen, Bürgermeistern und Räten, in den Ämtern von den Vögten bestellte Mannschaft sollte von andern Personallasten (z. B. Wachen) befreit fein. Sie war zur Nacheile aus einem Gerichtsbezirk in den andern und zur Benutzung der angetroffenen Pferde berechtigt. Für das ordnungsmäßige Wachen der Dörfer auf Feldern und Kirchtürmen waren die Schultheißen verantwortlich. Das Glockenstürmen oder Lösen einer Büchse sollte von einem Dorf zum andern ausgenommen und ein weißes Tuch oder eine rote Fahne in der Fluchtrichtung der Räuber ausgesteckt werden, um den Verfolgern den Weg zu weisen. Verweigerung der Hilfe zog Strafe und Ersatzpflicht für den Raub nach sich. Alle Behörden, besonders an den Grenzen, sollten von jeder streifenden Partei Bericht ans Oberamt nach Heiligenstadt tun, „wan auch nur zwei oder drei Reuter oder fußgenger argwöhnlich sich vermerken laßen sollen.“ An Mannschaft, die zur Folge verpflichtet war, werden aufgeführt: Neuendorf 2 Mann, Böseckendorf 2 Mann, Duderstadt 30 Mann, Gieboldehaufen 20 Mann, Lindau 4 Mann.

Als Beispiel der Zustimmung angrenzender Territorien liegt ein Schreiben des Erfurter Obristen vom 21. Juni an den Obristleutnant von Westernhagen vor: „Eß mögen sich wohl solche Mauße partheyen zusahmen schlagen und alle für Erffurthsch außgeben, so bitte ich nichts mehrs, mein hochgeerter Herr Bruder wolle da, wo sich dero gleichen mehr vermerken laßen, feur unter sie geben laßen und verhoffentlich solche plackerey wohl nachpleiben müßen.“ Aus dem Amt Gieboldehausen sind die Präsentationsvermerke der Gemeinden erhalten, bei denen das Patent zirkulierte. Wie weit die praktischen Maßregeln wirklich ins Werk gesetzt wurden, darüber liegen keine Nachrichten vor. –

Dr. Georg Liebe (Königlicher Archivar in Magdeburg)
(Quelle: „Mühlhäuser Geschichtsblätter“, Jahrgang VII., 1906/1907, S. 120 – 124)

[1] Vergl. 1. Brückner, Die Bettler zu Effelder 1667 und ihre Zeit („Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte.“ 1856.) 2. Detlefsen, Beitrag zur Geschichte des Bettels im Kirchspiel Neuenkirchen an der Stör 1644 („Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Geschichte.“ 1901.) 3. Einert, Die Landstreicherplage in Thüringen nach dem Siebenjährigen Kriege („Zeitschrift für Kulturgeschichte.“ 1895.)

[2] Wolf, Politische Geschichte des Eichsfeldes, 2 Bände, (Göttingen 1792 und 1793) Seite 184.

[3] Vergl. auch R. Jordan, Herzog Wilhelm von Weimar, die Stadt Mühlhausen und das Eichsfeld 1632. 1. Teil (bisher erschienen) [Aus alter Zeit“, Zwanglose Beiblätter zum Mühlhäuser Anzeiger Nr. 65 – 76. (20. September 1905 – 28. April 1906]. Als Buch: „Aus alter Zeit“ Heft 2, (Mühlhausen i. Th., Danner, 1906.)

[4] Vergl. „Der Vierzehn Nothelfer-Altar in der Aegidi-Kirche zu Heiligenstadt“ („Heimatland“, Illustrierte Blätter für die Heimatkunde des Kreises Grafschaft Hohenstein, des Eichsfeldes und der angrenzenden Gebiete. Herausggb. von W. Kolbe in Bleicherode. 1. Jahrg., 1904/05. Seite 52 – 53, 74 – 75.)

[5] Vergl. Urkundenbuch der Familie von Zwehl, Von C. J. v. Zwehl, 1898.

[6] Vergl. Kgl. Preuß. Staatsarchiv Magdeburg, Acta Erfurt XIX 58: „Die Korrespondenz der Räte mit dem Kurfürsten und den Amtsvögten.“

[7] Hier noch in der alten Singularform, also – Gesellschaft.