Das Ende des 2. Weltkrieges in Lengenfeld unterm Stein – Erinnerungen von Karl Hagemann (2025)

Kriegsende im Eichsfeld: Amerikanische Panzer in der Frieda und ein ungewöhnliches Frühstück
Karl Hagemann erlebte als Zehnjähriger das Kriegsende in Lengenfeld unterm Stein. Seine Eltern Konrad und Katharina betrieben dort eine Fleischerei.

Karl Hagemann erlebt als Zehnjähriger das Kriegsende in Lengenfeld unterm Stein. Er durchlebt Schreckmomente mit den Besatzern, aber auch Augenblicke zum Schmunzeln.

Dass Karl Hagemann inzwischen auf 90 Lebensjahre zurückblickt, merkt man ihm nicht an. Der Leinefelder wirkt etwa zehn bis 15 jünger. Seine Erinnerungen an das Kriegsende sind so rege wie er selbst. Hagemann ist zehn Jahre alt, als in seinem Heimatort Lengenfeld unterm Stein der Zweite Weltkrieg mit dem Einzug der amerikanischen Soldaten sein Ende findet.

Als Kind habe er die Luftangriffe auf Nordhausen und Kassel verfolgt, berichtet er. Auch über Lengenfeld unterm Stein gibt es Luftkämpfe zwischen amerikanischen Bombern und deutschen Jagdmaschinen, erinnert er sich zurück. „Ein Bomber wurde direkt über unserem Dorf getroffen und stürzte ab. Ich habe die Bilder heute noch im Kopf. Vom Küchenfenster aus habe ich gesehen, wie das Flugzeug mit brennenden Motoren senkrecht zur Erde fiel.“ Zwei Besatzungsmitglieder haben sich retten können und wurden später festgenommen.

Als die Amerikaner ins Dorf einrücken, machen sie zunächst vor dem Bürgermeisteramt Halt. „Der damalige Bürgermeister Franz Müller war ein sehr besonnener Mann. Er hat ihnen das Dorf übergeben. Wir haben als Kinder gar nicht richtig zur Kenntnis genommen, dass in diesem Moment der Krieg für uns aus war“, blickt Hagemann zurück.


Päckchenweise Kaugummi und Panzerwäsche in der Frieda

Doch endgültig ist die Gefahr noch nicht gebannt. „In den Wäldern rings um Lengenfeld hatten sich versprengte Soldatentrupps versteckt und leisteten Widerstand. Das hörte erst auf, als die Amerikaner Struth einnahmen“, erzählt der 90-Jährige. In seinem Elternhaus werden derweil mehrere GI’s untergebracht, die Familie muss das erste Obergeschoss für sie räumen.

„Die Amerikaner waren immer sehr vorsichtig. Im Treppenhaus, auf der obersten Stufe zum ersten Obergeschoss, stand immer eine Wache. Eines Morgens wollte ich hinauf zu meiner Oma Christine und musste an dem Soldaten vorbei. Er war allerdings eingeschlafen. Als ich dicht vor ihm stand, schreckte er plötzlich auf und richtete sein Gewehr auf mich. Doch ich winkte ab, und er nahm sein Gewehr runter und lächelte“, rekapituliert Karl Hagemann den heiklen Moment. Selbst aufs Plumpsklo, so berichtet der pensionierte Architekt schmunzelnd, seien die Soldaten immer zu zweit gegangen, damit einer von ihnen sichern konnte.

„Wir Kinder haben uns gut mit den amerikanischen Soldaten verstanden und viel mit ihnen gesprochen. Sie haben uns immer päckchenweise Kaugummi geschenkt“, erinnert sich der Leinefelder. „Sie haben auch einmal pro Woche ihre Panzer im Flüsschen Frieda gewaschen, der vor unserer Haustür verlief. So war es jedes Mal ein Spektakel, wenn die Panzer anrollten, gewaschen und abgespritzt wurden und anschließend wieder sauber zum Bahnhof fuhren.“


Schreckmoment mit russischen Offizieren endet unerwartet

Als die Amerikaner den Ort verließen, mussten zwei der Soldaten, die im Haus der Hagemanns untergebracht waren, noch eiligst ihre Sachen holen. „Sie hatten jedoch ihre Schlüssel vergessen. In ihrer Hast überlegten sie nicht lange und traten einfach die Türen ein. So gingen insgesamt fünf Türschlösser bei uns zu Bruch. Zum Glück war mein Onkel Tischler und hat die Schließbleche wieder einigermaßen einsetzen können.“

Am 30. Juni 1945, so blickt Hagemann zurück, zogen die Amerikaner ab. „Am 1. Juli, morgens um 7 Uhr, kamen die Russen. Ich sehe das noch heute klar vor mir. Wir haben am Fenster hinter den Gardinen gestanden. Es kam ein Pferdewagen mit einem Pferd davor, und auf diesem Wagen saßen die russischen Soldaten. Danach kam eine ganze Kompanie. Die wurden am Schlossweg in einem Doppelhaus untergebracht. Die Bewohner mussten natürlich ausziehen“, erzählt der 90-Jährige.

Im Zusammenhang mit den Sowjets ist Karl Hagemann besonders ein Ereignis im Gedächtnis geblieben: „Wir hatten neben der Fleischerei noch eine Gastwirtschaft, drei Häuser entfernt. Sie wurde nachmittags von meinen beiden älteren Schwestern betrieben. Eines Tages waren auch zwei russische Soldaten, ein Leutnant und ein Feldwebel, dort Gast. Was genau vorgefallen ist, weiß ich nicht genau. Aber am nächsten Tag kamen beide in unsere Küche, und der Offizier holte seine Pistole heraus und richtete sie auf eine meiner Schwestern. Nach kurzer Debatte steckte er die Pistole wieder ein. Meine Schwestern holten Brot und Wurst und eine Flasche Schnaps her. Dann haben sie friedlich zusammen gefrühstückt.“

Daniel Wiegand
(Quelle: „Thüringer Allgemeine“ vom 03.04.2025)