Der Eisenbahnbau im Südeichsfeld 1875 – 1880

Für die wirtschaftliche Hebung einer Ortschaft ist der Anschluss an eine Eisenbahnlinie von größter Bedeutung. Darum verdient der Bau unserer Berliner-Wetzlarer oder Eschweger-Leinefelder Eisenbahn besonderer Würdigung. Nach dem siegreichen französischen Kriege, als der Milliardensegen sich über Deutschland ergoss, fasste man zur Vorsorge gegen Revanche-Gelüste möglichst schnelle und gute Verbindungsstrecken nach dem Westen ins Auge und so beschloss man in Berlin auch unsere Bahnstrecke, obwohl infolge der vielen Berge sie äußerst schwierig und teuer werden musste.

Das erste Projekt, das auch schon vermessen war, führte nicht östlich, sondern westlich vom Luttertal, also vom Hübenthaltunnel, den Mühlberg, Klusberg, Mittelberg entlang, vom großen Driesch einen gewaltigen Viadukt nach dem Südende von Ershausen vorsehend. Das Gefälle schien aber den Sachverständigen zu stark, deswegen wurde dies Projekt fallen gelassen und die jetzige Linie als vortrefflichere gewählt.

Bei Erwerb der nötigen Länderei ging die Eisenbahnverwaltung sehr schlau vor, sie verhandelte in den öffentlichen Lokalen und mit den arglosen Leuten, mit den gewitzteren aber in besonderen Besprechungen und mit vorteilhafterem Angebot. So kam sie eher zum Ziel, erregte aber viel Unzufriedenheit.

In der Zeit des Bahnbaues herrschte hier ein wildes Treiben. Die Privat­häuser und die vielen neuerbauten Baracken lagen dicht besetzt von fremden Arbeitern, namentlich Italienern, Böhmen, Kroaten. Zeitweilig sollen es allein in unserer Dorfmark 500 – 600 gewesen sein. Zank und Schlägerei war fast jeden Sonntag, oft an 2 bis 3 Enden des Tanzvergnügens an einem Tag. Das Geld wurde reichlich verdient und alsbald wieder in Schnaps, Bier und auch Wein umgesetzt. In unserem Dorf (Großbartloff) allein waren damals 10 Gastwirtschaften, dazu kamen noch folgende Baracken mit Alkoholausschank:

  • 1. in Herrode (Adam Müller),
  • 2. im Habichtstale,
  • 3. am Heiligenberge (nahe der Haltestelle),
  • 4. im Rottenbach,
  • 5. im Luttergrund bei der Obermühle (Ign. Koch, Müller);
  • 6. bei den 9 Börnern (Bismarck),
  • 7. im Hübenthal beim Ausgang des großen Tunnels, die letzten vier am großartigsten.

5 Kegelbahnen waren mit den Baracken verbunden, auf denen nicht selten um Goldstücke gespielt wurde. Auch waren mehrere Tanzsäle vorhanden, so in Rottenbach. Es blühte die Schwelgerei und Liederlichkeit, selbst bei den Unternehmern, die sich auf Staatskosten und durch vielfach unsolide Arbeit bereicherten. Die Gastwirtschaften im Dorfe selbst waren: Gemeinde-Schänke, Gemeinde-Backhaus, Fiedlers Gasthaus zur Krone, die Schmiede (Heinr. Koch vor Der Biege), Heinr. Goldmann (Traube), Heinrich Koch gegenüber, Heinrich Raub (Schulze), Werner Goldmann (jetzt Karl Menge), Post, Anton Löffler (Untertor).

Diese Gastwirte hatten große Einnahmen, aber es ruhte nicht Gottes Segen darauf, vielfach waren sie in ihrem eigenen Hause ihres Lebens vor den wüsten Gesellen nicht sicher, und büßten mitunter viel Geld ein. Mehrere Mordtaten wurden verübt, an Fastnacht 1878 wurde der Jüngling Johannes Pape unschuldig vor dem Eingang des väterlichen Hauses von einem Italiener (wahrscheinlich Franzisco Zigiotti, der floh) durch die Kehle geschnitten; es hatte einem anderen Zechgenossen gegolten, ihn aber getroffen.

Ein Jahr später, am 2. Januar 1879 wurde die Leiche eines Italieners im Bett aufgefunden in Herrode. Um Kirche und Religion kümmerten sich diese Gesellen wenig, als der Ortsgeistliche einmal vor dem häufigen Tanz die Dorfmädchen warnte, wurde ihm mit dem Tode gedroht, nur auf St. Barbara (4. Dezember) ließen die Italiener Tunnelarbeiter ein Amt ihrer Schutzpatronin jährlich halten am Nebenaltare. Für die Protestanten wurde damals öfter Gottesdienst in der Hahnenmühle gehalten und auch bei Anton Bust.

Eröffnet wurde die Strecke für den Verkehr am 15. Mai 1880.Die ganze Strecke Dingelstädt-Eschwege ist 35 ¾ Kilometer lang und kostet nahezu 14 Mill. Mark, a Kilometer 400.000 Mk., das laufende Meter des Küllstedter Tunnels hat, wie mir die Kasseler Eisenbahndirektion amtlich mitteilte, rund 1.730 Mk. gekostet, beim Mühlenbergtunnel 1.350, beim Entenberg 1.160 Mk., beim Rensfelder Tunnel aber 2.390 Mk.

Die Unterhaltskosten der Bahnanlagen betrugen durchschnittlich vor dem Kriege pro Kilometer und Jahr rund 6.500 Mk., ausschließlich Betriebsmittel. Also eine sehr teure Bahn, die sich kaum verzinste! Das rührt zum Teil her von den vielen Rutschungen und Tunnelschäden, die in den letzten Jahren Reparaturen notwendig machten, welche Millionen kosteten. Gewissenlose Unternehmer waren mit schuldig durch unsolide Tunnelbauten.

Heute würde diese Bahn wohl niemals errichtet werden, ja man soll schon die Stilllegung der Linie ernstlich erwogen haben. Speziell für unsere Dörfer bedeutet indessen die Bahn einen gewaltigen Vorteil, denn sonst lägen wir auch heute noch abseits von jeglichem Verkehr. Unsere Haltestelle Großbartloff wurde erst am 1. Dezember 1894 eröffnet, für das Stationshäuschen betrug der Gemeindeanteil 2.700 Mark, das Übrige zahlte der Eisenbahnfiskus. Früher mussten unsere Dorfbewohner nach Küllstedt oder Geismar zum Zuge wandern, da auch Station Effelder erst 1904 und Lengenfeld cr. 1890 erst angelegt wurde.

Hätte sich Großbartloff mit Effelder einigen können und insbesondere sich entschlossen, eine Chaussee bis ins Rottenbach zu bauen, so wäre sogar ein gemeinsamer Güterbahnhof für unsere 2 Dörfer an den Roten Rain gekommen, wie noch 1904 die Eisenbahnverwaltung ausdrücklich zugestand, ja wünschte. Es fehlte an Einsicht und so zerschlugen sich die Verhandlungen. Die Effelderschen errangen sich mit ziemlichen Opfern zunächst eine eigene Haltestelle (1904/05), einige Jahre später haben das Nachsehen, wir müssen bis heute unser Stückgut von Station Effelder und unser Frachtgut vom Güterbahnhof Geismar holen.

Nikolaus Görich (Pfarrer in Großbartloff)
(Quelle: Ortschronik von Großbartloff, 1923)