Vor 100 Jahren starb P. Marcellus Oldemöll OFM

Ein Beitrag zum Kulturkampf auf dem Eichsfeld

1865 kam P. Marcellus Oldemöll (1817 – 17.01.1879) auf den Hülfensberg. Hier war P. Josef Kaufmann Präses. Als dieser 1866 zum Kerbschen Berg versetzt wurde, bekam P. Marcellus die Leitung des Hülfensberges. 1872 löste ihn P. Schirdewahn als Präses ab.

P. Marcellus hatte sich inzwischen die Liebe und Achtung der Eichsfelder erworben. Nicht nur auf dem Hülfensberg, sondern auch in den Ortschaften hatte er segensvoll gewirkt. Da kam das Unheil, mit dem Kulturkampf auch die Vertreibung der Patres vom Hülfensberge. Am 1. Oktober 1872 erschien der Landrat und schloss das Kloster. P. Marcellus ging nach Döringsdorf zur Familie Johannes Lorenz, wo er liebevolle Aufnahme fand. Die Bischöfe hatten den ausgewiesen Patres erlaubt, auch in Privathäusern die hl. Messe halten zu können. Das große Zimmer oben im Hause wurde als Kapelle eingerichtet und hier brachte P. Marcellus ganz im Stillen nur mit den Hausbewohnern das hl. Messopfer dar.

Ungefähr acht Tage blieb er hier, dann war er acht Tage Gast auf dem Gute Keudelstein bei einem Neffen des Bischofs, der auch Konrad Martin hieß. Auch hier wurde in dem geräumigen Saal des 1. Stockwerks hl. Messe gefeiert. Die Woche darauf war er wieder in Döringsdorf, dann wieder auf dem Keudelstein. Dies dauerte bis Weihnachten.

Von da an weilte P. Marcellus meist auf dem Keudelstein und fungierte als Verwalter, Bauer, Knecht und Schäfer. Den Ordenshabit konnte P. Marcellus natürlich nicht mehr tragen. Er ließ sich von seinem Habit einen weltlichen Anzug und 2 Überzieher machen und kaufte eine Mütze in Dingelstädt. In dieser Kleidung konnte er sich zeigen, ohne gleich als Ordensmann erkannt zu werden. Mitunter kleidete sich P. Marcellus auch ganz anders. Als die Möbel des Bischofs von Paderborn in Eschwege ankamen, ging noch abends im Dunkeln P. Marcellus den Knechten mit der Laterne entgegen, er selbst angetan mit dem blau-leinenen Eichsfelder Fuhrmannskittel.

Manche Seelsorgsarbeit konnte er aber auch verrichten. Die Bewohner von Geismar und Umgebung suchten ihn gern auf und waren froh, ihn wiederzusehen. Oft musste ein Kornhaufen oder ein Baumstumpf im Walde den Beichtstuhl ersetzen. Mitunter suchte er auch die Leute, besonders Kranke in ihrer Wohnung auf. Dann kam er wie ein altes Mütterchen mit dem Eichsfelder Mantel bekleidet, das Kopftuch tief im Gesicht.

Oft musste er größte Vorsicht walten lassen, denn er wurde steckbrieflich gesucht und von Spähern verfolgt. Darum wechselte er öfter seinen Aufenthalt, ging auch zum Greifenstein und verbarg sich dort oder nach Treffurt zum Hause der befreundeten Familie Döring. Wiederholt war ihm der Gendarm auf den Fersen, aber immer fand er auch mit List einen Ausweg. Einmal stand er als Schäfer bei den Schafen. Da kam plötzlich ein Gendarm aus dem Walde auf ihn zu und fragte, ob er den Pater Marcellus nicht gesehen habe. „O, gewiss“, gab er zur Antwort, „eben war er noch auf dem Gut.“ Durch seine schlagfertige Antwort war er gerettet, der Gendarm aber begab sich eilends aufs Gut, hoffend, den schon lange Gesuchten zu erwischen.

Ein andermal wurde P. Marcellus in Schrecken gesetzt, als ein Fremder auf dem Schlosshof erschien, dessen energischer Gang ganz zu einem verkleideten Polizisten passte. P. Marcellus verließ schleunigst das Haus auf der entgegengesetzten Seite und verbarg sich im Walde. Wie angenehm war man aber überrascht, als man von dem Fremden erfuhr, dass es P. Coelestin Lemper war. Groß war nun die Freude des Wiedersehens und beide machten ihre weltliche Kleidung zum Gegenstand des Scherzes.

Nicht selten wurde aber die Lage des Flüchtlings sehr ernst. So hatte man erfahren, dass Späher hinter den Gutsmauern lauerten. Sofort machte sich die treue Magd Katharina Schmidt aus Geismar mit ihm auch in Frauenkleidung auf den Weg durch Geismar und Großtöpfer zum Gut Greifenstein hinauf. Am anderen Morgen traf wieder der Gendarm auf dem Keudelstein ein, um endlich den „ungehorsamen“ Mönch zu verhaften, aber alles Suchen war umsonst.

Aber auch auf dem Greifenstein blieb P. Marcellus nicht unbehelligt. Eines Abends hieß es: Der Wachtmeister kommt! Schnell eilte P. Marcellus in den Pferdestall, legte sich in die Krippe und deckte sich mit Heu und Stroh zu. Einmal erschien die Flucht als das einzig mögliche Mittel. In stockfinsterer Nacht hatte er den Weg verloren, er musste durch Gestrüpp steil abwärts und landete in einem Steinbruch. Mühsam raffte er sich wieder auf, hinkend und blutend kam er an die Frieda, wollte hinüberspringen, aber es gelang nicht, er stürzte in das Wasser.

Völlig durchnässt kam er auf dem Keudelstein an. Ein großer Trost war ihm die Anhänglichkeit des Eichsfelder Volkes. Nur ein junger Mann, der ein tadelnswertes Leben führte, machte eine Ausnahme. Diese Judasseele wollte P. Marcellus anzeigen. Nun wandte sich P. Marcellus nach Treffurt zur guten Familie Dionys Döring. Hier blieb er einige Zeit. Aber auch hier ließ man ihm keine Ruhe. Bei lieben Freunden in der Nähe des Hülfensberges konnte er sich in Sicherheit bringen.

Aber die Seelsorgsarbeit wurde immer schwerer und gefährlicher. Mehr als je musste er auf der Hut sein. Langsam kam in ihm auch die Sehnsucht nach den Mitbrüdern im Kloster auf. So entschloss er sich schweren Herzens, das ihm ans Herz gewachsene Eichsfeld zu verlassen, um bei den Mitbrüdern in Holland ein ruhigeres Plätzchen zu suchen. Sein unerschrockenes Aushalten auf seinem Posten und sein Mut hatten ihn überdies in ihren Augen zu einem wahren Helden erscheinen lassen. Von Eschwege fuhr er mit dem Zug nach Aachen, von dort war es nicht weit zur Grenze und nach Nlyerheide, zum Kloster.

Autor: H. G.
(Quelle: „Eichsfelder Heimatstimmen, 1979, Heft 1, S. 22-25)