Sechzig Jahre Freundschaft mit Käthe Kollwitz

Unter diesem Titel erschien 1948 ein Buch, dessen Verfasserin Beate Bonus war. Diese hat als beachtliche Schriftstellerin 30 Jahre auf dem Eichsfeld gelebt, zunächst von 1924 bis 1941 in Schloss Bischofstein, dann nach dem Tode ihres Mannes in Lengenfeld u. St. und zuletzt in Kloster Zella, wo sie am 22. März 1954 gestorben ist.

Ihre Freundschaft mit Käthe Kollwitz war eine Jugendfreundschaft, und noch im Alter redeten sich beide mit ihren Mädchennamen an: Jeep und Schmidt. Gemeinsamer Erfolg und gemeinsames Leid hatten diese Freundschaft unlösbar gekittet. Darüber unterrichtet das Buch anschaulich und ist besonders durch die zahlreichen Briefe der heute sehr gefeierten Künstlerin wertvoll.

Neben persönlichen Mitteilungen der Verfasserin und ihres Sohnes Dr. Heinz Bonus sowie des Dr. Ripke sei im Folgenden nur das mitgeteilt, was sich auf unsere Heimat, besonders den Bischofstein, bezieht.

Die Beziehungen bahnten sich dadurch an, dass Heinz Bonus im Herbst 1918 Schüler des Landerziehungsheims Bischofstein wurde. Beate Bonus schreibt darüber: „Bei uns entwickelte sich etwas Neues, in das Käthe Kollwitz umso mehr verflochten war, als sie doch endlich kam und sogar bei den Vorbereitungen behilflich war. Es galt der Ausrüstung unseres Sohnes, der in das Landerziehungsheim Schloss Bischofstein kommen sollte, zu dem sich Berührungen gefunden hatten. Die Schmidt, unser Gast in dem kleinen Taufkirchner Häuschen, stand auch gelegentlich am Bügelbrett, um irgendeinen Gegenstand auszustreichen. – Wir wollten unserem Sohn Unabhängigkeit verschaffen. Er wuchs sich ganz an uns fest und musste doch künftig ohne uns bestehen. Die Trennung wurde mir sehr schwer, und ich musste es noch verhehlen, um es dem Jungen nicht noch schwerer zu machen. Ein Trost war, dass die Schmidt mit ihm fuhr. Bis Saalfeld hatten sie den gleichen Weg, und das Stückchen, das dann noch fehlte, würde sie sicher noch zugeben, um ihn selber an seinem neuen Ort unterzubringen.“ Sie entschloss sich aber anders und ließ ihn in Saalfeld allein. Davon schreibt sie: „Als ich Euern Heinz gestern verließ und der liebe Junge mir so lange winkte, war mir doch etwas weh, und ich wünschte, ich wäre mitgefahren ... Jeep, die Tage bei Euch waren mir so wunderschön, Du weißt es. Je älter ich werde, desto mehr kann ich Menschen, auch andre als die ganz nahen, stark liebhaben und mich ihnen wirklich Freund fühlen.“

Als dann Heinz Bonus 1920 das Abitur bestanden hatte und in Berlin bei einer Bank Beschäftigung fand, wohnte er bei der Familie Kollwitz und wurde hier wie der eigene Sohn gehalten.

Auch nachdem er Bischofstein verlassen hatte, blieben die freundschaftlichen Beziehungen seiner Eltern zu Dr. Ripke und seiner Frau bestehen. Diese luden sie während der Inflationszeit ein, von Taufkirchen bei München nach Bischofstein überzusiedeln, wo sie die Möglichkeit hatten, ganz ihren literarischen und wissenschaftlichen Interessen zu leben. Diesen Vorschlag hatte Frau Bonus ihrer Freundin Käthe Kollwitz mitgeteilt, und diese antwortete erfreut: „Ist es wirklich so, Jeep, dass, wenn ihr an so einer Schule seid, Du Dich um nichts weiter zu kümmern brauchst, so viel Du willst schreiben kannst? Das wäre ja für Dich ein herrlicher Tausch, wo Dein Reichtum sich ordentlich entfalten kann. Und für Deinen Mann denk ich mir das auch schön und vor allem für die Kinder, die Religionsunterricht bei ihm haben können. Ich bin sehr gespannt, ob es so werden wird mit Euch und ob Ihr das Häuschen in Taufkirchen, das so ganz durchtränkt ist mit Bonusschem Wesen, wirklich lassen werdet.”

1924 zogen Bonus’ nach Bischofstein, wo sie sich 17 Jahre lang wohlfühlten und an dem dortigen Anstaltsbetrieb innerlich und äußerlich regen Anteil nahmen. Als sie sich eingelebt hatten, luden sie die Freundin zu einem Besuch ein, aber Käthe Kollwitz lehnte ab: „[…] Nein, ich kann nicht, obwohl ich Euch so gerne, frisch von Paris gekommen, erlebt hätte, und trotz Heinzens Beredsamkeit. Ich fahre morgen mit meinem Mann für ein paar Tage nach Hamburg – er wegen der Ärztewoche – ich Hamburgs wegen und um mir Courage zu machen. Es geht mir miesepetrig, und ich trau mir nicht mehr was zu. Da ist Hamburg der Ruck, den man sich geben soll. Ich hätte ihn mir ja auch nach Bischofstein zu Euch geben können, aber ich trau mich meines dummen Herzens wegen wieder nicht von meinem Mann fort.” Und später schrieb sie „[…] Bischofstein liegt wirklich niederträchtig aus dem Wege, und selbst wenn ich von Kassel mit dem Auto abgeholt werden könnte, hat es einen Haken. Ich bin rheumatisch, und die Hopser im Auto – selbst hier bei kleinen Strecken – lösen Rückenschmerzen aus; aber genug von all den kleinen Miseren.“

Dr. Ripke berichtete über die Anwesenheit der Künstlerin: „Käthe Kollwitz ist zweimal mit ihrem Mann zusammen in Bischofstein gewesen; ich kann mich aber nicht entsinnen, in welchen Jahren das gewesen ist. Ich weiß auch nicht, welch einen Eindruck das Eichsfeld auf sie gemacht hat; von der Landschaft war sie jedenfalls sehr entzückt. Herr und Frau Kollwitz haben während ihres hiesigen Aufenthaltes auch immer an unserem Gemeinschaftsleben teilgenommen, und ich kann mich noch genau entsinnen, wie der damals 70-jährige Dr. Kollwitz am Geburtstage meiner Frau, der immer mit allen unseren Leuten zusammen gefeiert wurde, mit großer Ausdauer und Rüstigkeit das Tanzbein schwang.”

Auch Dr. Bonus hat bestätigt, dass beide Gäste von der landschaftlichen Schönheit des Eichsfeldes, dem Schlossgarten und dem Verkehr mit seinen Besitzern sehr beeindruckt waren. „Es handelte sich um einen Erholungsbesuch, künstlerisch hat sich Käthe Kollwitz im Bischofstein nicht beschäftigt.“

Wohl aber hat sie korrespondiert. Ein Brief an Damaschke, datiert Bischofstein 15.7.1932, beweist, dass sie im Juli 1932 dort war.

Aus dem regen Briefwechsel hier nur ein Geburtstagsbrief von Käthe Kollwitz zum 21. Januar 1934: „[…] Nun bist du wirklich 70 Jahre alt, und fast ein halbes Jahrhundert liegt zwischen heut und damals, als wir uns kennenlernten. Wir haben immer treulich zueinander gehalten, als wir jung waren, und dann damals, als wir nicht mehr jung waren und beide das Schwerste in unserem Leben durchzuleben hatten – und auch jetzt. Wie ist das wunderschön und freundlich vom Geschick. Euch beiden aber, Deinem Mann und Dir, wünsche ich vor allem, dass ihr noch lange zusammen sein könnt.”

Da Ernst Barlach ja auch Beziehungen zu unserer Heimat und auch zu Käthe Kollwitz hatte, schalte ich hier einen Brief von ihr ein: „Es ist vielleicht bis zu Euch gedrungen, dass der Bildhauer Barlach gestorben ist. Die Zeitungen berichteten es freilich mit der jetzt vorgeschriebenen Wurschtigkeit. Aber für mich hat Barlach viel bedeutet, und so fuhr ich am Donnerstag mit hinaus nach Güstrow, wo er lange Jahre gelebt hat, um der Trauerfeier beizuwohnen. Da kam ich durch einen Zufall früher als die andern in das Haus und in sein Atelier, mitten unter seine schweigenden Gestalten. Und wie ich mich umsah, erschrak ich fast. Er selbst lag da im noch offenen Sarg, ich hatte geglaubt, der Sarg wäre schon in seiner Heimat. Jeep, ich sah schon manchen Toten, aber so zum Erbarmen klein, wie dies Irdische von Barlach war, hab ich noch nichts gesehen. Der Kopf lag ganz und gar zur Seite, als ob er sich verbergen wollte. Und die kleinen Hände, die er vor sich ausgestreckt hatte! So war ich mindestens 10 Minuten allein mit ihm und seinen Arbeiten und seinem Werkzeug. Später war der Sarg geschlossen. Es waren da vielleicht 100 Leute zusammen. Aus Berlin, aus Rostock, aus Güstrow. Ein Pfarrer, der acht Jahre mit ihm in Güstrow gelebt hat und der seine letzten Leidensjahre mit ihm erlebt hatte, sprach sehr gut. Auch noch einige andere. Und dann wieder Musik.“

Gegen Ende des zweiten Weltkrieges kamen sich die beiden Freundinnen räumlich näher. Käthe Kollwitz zog nach Nordhausen zu Frau Marga Böning. Über ihren Aufenthalt in Nordhausen berichtet sie:

„Ich lebe wie auf einer Insel, wo alles, was ringsum passiert, in tausend Facetten sich bricht. Meine Ohren und mein Kopf und sogar mein Gefühl können auf das alles gar nicht mehr reagieren. […] Das Leben kommt mir jetzt besonders zackig vor und ungleichmäßig. Innerhalb eines Tages wechseln Eindrücke von großem Abstand. Hinter Gutem steht immer der Krieg. Und was für ein Krieg. In welchen Formen! Was nützt es einem, wenn man sagt: Das alles wird einmal vorüber sein. Die Tatsache, dass es da ist, ist doch die Realität. Realität, dass innerhalb von wenigen Minuten Wohnstätten, bewohnt von lieben Menschen, an denen andere Menschen hängen, zerstört, verschüttet, vernichtet werden – nicht nur können, sondern werden – Millionen! Und dass andere Menschen – sogenannte Feinde – darüber Freude empfinden. Die Menschen sind rein wahnsinnig geworden, es ist wirklich, als wenn die Welt untergehen soll.”

Dreimal hat Beate Bonus ihre Freundin in Nordhausen besucht; einmal zu ihrem Geburtstag, über den sie berichtet: „Es wurde ein feiner Geburtstag mit schönen Blumen und selbstgebackenem Kuchen und einem mehrstimmigen Liedchen, das die Margret und ihre beiden Kinder früh an ihrem Bett gesungen hatten, wovon ihr Herz froh geworden war. Ich nahm an, dass ich sie noch öfter in Nordhausen aufstöbern konnte. Sie saß mit ihren entzündeten Augen, denen sie abwechselnd kühlende Läppchen aufdrückte, von mir abgewandt am Tisch. Über ihre Schulter hinüber reichte ich ihr die Hand, und wir sagten in aller Heiterkeit unseren Abschiedsspruch: „Wenn wir uns Wiedersehen, dann lächeln wir ...” und sie fügte das Schlusswort an: „– Wenn nicht, ist dieses Scheiden wohlgetan!” – Es war das letzte Mal.

Zwar kamen noch aus Dresden, wohin Käthe Kollwitz wegen der in Nordhausen immer größer werdenden Bombengefahr verzogen war, vereinzelt Nachrichten von ihr, aber dann kam der Tod und endete wohl das Leben der Freundin, aber nicht die Freundschaft. Beate Bonus hat ihr nach ihrem Tode und sich selbst durch ihr Buch ein Freundschaftsdenkmal errichtet.

Autor: H.-A.
(Quelle: „Eichsfelder Heimatborn“, Ausgabe vom 1. Oktober 1955)